„Wo die Liebe hinfällt, wächst kein Gras mehr“

Judith Holofernes, Sängerin von „Wir sind Helden“, spricht über ihre lesbische Mutter, spießige Schulen und die Macht der guten Gefühle. Als Romantikerin glaubt sie an Treue und Ewigkeit

INTERVIEW PHILIPP GESSLER

taz: Frau Holofernes, erinnern Sie sich, wie das war, als Ihre Mutter Ihnen erzählte, dass sie jetzt mit einer Frau zusammen ist?

Judith Holofernes: Da war ich anderthalb. Da erinnere ich mich nicht so richtig bewusst dran. Ich bin damit aufgewachsen, dass das einfach so ist.

Auch keine Erinnerung daran, ob das als kleines Mädchen etwas Normales war für Sie?

Doch. Es gab natürlich immer mal wieder Momente, wo einem auffiel, dass es bei anderen Leuten nicht unbedingt so ist. Es gibt so ein Alter, mit acht Jahren oder so, wenn es einem noch einen Schritt mehr bewusst wird – in der Grundschule etwa.

Wie?

Da wurde ich immer mal wieder gefragt: „Warum hat deine Mutter nicht wieder geheiratet?“ Vor allem, wenn man auf so ’ne spießige Grundschule verpflanzt wurde wie ich.

Wo war die denn – in Berlin?

Nee, in Freiburg. Das war für mich ein kleiner Kulturschock. Vorher war ich in Berlin in einem Kinderladen, wo sowieso alles so ein bisschen unorthodoxer ablief – und dann diese grundevangelische Schule in Freiburg.

Waren Sie beschämt, dass Ihre Mama mit einer Frau zusammen ist?

Eigentlich nicht. Ich war da auch als Kind immer sehr loyal, aber natürlich war das schon eine Aufgabe für mich. Die anderen Kinder haben sich eher darüber lustig gemacht, dass ich nicht getauft bin und eben aus Berlin komme. Die haben gesagt: „Du bist ja ’n Punker.“

Sahen Sie so aus?

Nee, gar nicht. Ich war halt ein kleines, wild zerzaustes Berliner Kinderladenkind, ganz normal. Dass meine Mutter lesbisch ist, hat gar keine große Rolle dabei gespielt.

Hatten Sie wenigstens Narrenfreiheit?

Vielleicht. Ich war immer mal unsicher, wenn ich bei anderen Leuten zu Hause war, aber eher bei der Frage: Wie spielt man mit einer Barbie?

Die klassische Familie samt Vater und Mutter – hatten Sie sich nach der gesehnt?

Eigentlich nicht, denn ich bin in einem Umfeld groß geworden, wo es alle möglichen Familienkonstellationen gab. Ich hatte die klassischere Familie auch, dadurch, dass mein Vater wieder geheiratet hat und ich so zwei Brüder bekam. Beides hat sich richtig angefühlt. Ich habe schon als Kind gewusst, dass alles in Ordnung ist, wenn die Liebe da ist. Und weil ich auf der anderen Seite Normalofamilien kennen gelernt habe, in denen der Vater die Kinder geschlagen hat.

War es für Ihre Mutter schwer, sich in der badischen Provinz zu outen?

Ich glaube, sie hat sich nie bewusst geoutet. Lesbischsein, das ist ein Teil ihrer Person, der immer mitgekauft wird, wenn die Leute sie kennen lernen.

Mit dem Zusammengehen Ihrer Mutter mit einer Frau ist Ihre Dreierfamilie zerbrochen. Hat das Lesbischsein Ihrer Mutter dadurch einen schlechten Beigeschmack bekommen?

In meinem Fall überhaupt nicht, weil ich eben anderthalb war, als es passiert ist. Natürlich hat man dann irgendwelche Trennungsmacken, die alle Kinder mitkriegen, bei denen sich die Eltern trennen. Andere Kinder haben andere Macken, weil die Eltern sich nicht trennen und sich stattdessen die Köpfe einschlagen. Es war nie so, dass ich dachte: „Jetzt ist meine Mutter mit einer Frau zusammen und jetzt bricht meine Welt zusammen.“ Meine Welt hat sich aber schon verändert, aber nicht im Bösen.

Darf ich nach Ihren Macken fragen?

Trennungsmacken?

Gern.

Ich bin sehr anhänglich, glaube ich. Auch nicht die allerschlechteste Macke, ehrlich gesagt.

Schön gesagt!

Ich bin anderen Menschen sehr zugeneigt. Und bei Freunden und in der Liebe bin ich sehr treu.

Es soll Kinder von homosexuellen Paaren geben, die als Erwachsene Schwierigkeiten haben, sich selber zu mögen.

Echt? Bei mir nicht. Ich bin sehr überzeugt, dass alles Mögliche im Leben Schwierigkeiten mit sich bringt. Das Lesbischsein meiner Mutter hat mir eher das Rückgrat gestärkt. Und das hat mich auch sehr loyal gemacht ihr gegenüber.

Die Liebe zu Ihrer Mutter war nie eingetrübt?

Niemals. Weil ich einfach wusste, dass das gut ist. Weil ich wusste, wir haben ein gutes Leben. Gerade wenn man das manchmal der Außenwelt erklären muss, kann das ja auch festigen.

Soviel ich weiß, sind Sie heterosexuell orientiert – gab es bei Ihnen irgendwann einmal das Gefühl, Ihre Mutter erwartet es oder drängt Sie dazu, sich lesbisch zu orientieren?

Quatsch.

Haben Sie etwas von Ihrer Mutter gerne gelernt?

Klar.

Was?

Dass Verliebtheit nicht allein etwas mit sexueller Attraktion zu tun hat.

Wie hat Ihre Mutter reagiert, als Sie erstmals mit einem Freund angekommen sind?

Seltsame Frage. Ich kann mir vorstellen, dass es manche Frauen gab und gibt, die es schwierig fanden mit ihrem Lesbischsein in ihrem Dorf, und dass die sich sehr wünschten, ihre Kinder sollten das auf keinen Fall nachmachen, um es nicht so schwierig zu haben.

Das hört man öfter.

Ich kann mir auch vorstellen, dass es vereinzelte Fälle gibt, ganz seltene Fälle, bei denen Frauen traumatische Erfahrungen mit Männern gemacht haben. Aber das sind Ausnahmen. Es gibt in allen Familien so oder so auf den ersten Freund bizarre Reaktionen. Viele Väter stehen dann Kopf, meine Mutter stand nie Kopf, jedenfalls nicht bei dem Thema.

Sie sagten neulich, Sie könnten sich auch vorstellen, eine Frau als Partnerin zu haben.

Ja, das war sehr witzig,

Warum?

Ich habe auch mal erzählt, dass es mich nicht schockiert hat, dass meine beste Freundin in mich verliebt war. Wo die Liebe hinfällt, wächst kein Gras mehr. Ich könnte mir wirklich vorstellen, mit einer Frau zusammen zu sein. Wer wäre ich, das auszuschließen? Aber ich bin fürchterlich verliebt, heterosexuell. Und als echte Romantikerin will ich bis zum Ende meiner Tage mit ihm zusammen sein.

Ist Treue schön?

Ja.

Nervt es, mit dem Lesbenthema behelligt zu werden?

Nein, es ist doch schön, wenn man Ängste nehmen kann. Es geht um Liebe, nicht um Geschlechter. Klar ist das komisch, wenn in den MTV-News gesagt wird: „Judith Holofernes könnte sich auch vorstellen, mal an einer Frau rumzuschrauben.“ Das fand ich echt skurril.

Es gibt eine Diskussion in der lesbisch-schwulen Szene über die Adoption von Kindern in eine homosexuelle Familie hinein: Was ist da Ihre Position?

Ich bin total dafür. In erster Linie zählt, dass man seine Kinder liebt und sich in allem, was man macht, Mühe gibt. Wenn jemand ein Kind adoptieren will, dann ist da ein deutlicherer Impuls da, dass man es haben will, um es zu lieben und ihm ein gutes Zuhause zu geben, als bei den unfassbar vielen Paaren, die Kinder haben, weil sie heterosexuell sind und das mit den Kindern eben so mal passiert ist.

Keine Gegenstimmen?

Eine sehr gute Freundin – wir kennen uns seit Babyzeiten – sagte mal: „Die Natur hat das so nicht gemeint.“

Hat das die Freundschaft angeknackst?

Nein, dafür ist sie viel zu stabil. Aber der habe ich schon ordentlich eins gehustet.

Gehen Sie zum CSD in Berlin?

Nein, ich bin auch nicht in der Stadt. Aber ich war schon häufiger da und habe ihn mir mit anderen vom großen Balkon einer Freundin mit viel Begeisterung angeschaut. Mitgelaufen bin ich nicht – ich habe es nicht so mit Massenveranstaltungen. Aber es ist sehr gut, dass es ihn gibt.