on the rail again
: Die Welt ist eine Schlampe

HENNING KOBER bereist per Interrail Europa. Heute: Out of Tanger

Mittwoch, 16.10 Uhr. Luftlose Hitze. Liege, schwebe angenehm verspult auf dem Bett im Hotel Mamora. Merci dem Brockenpeace, den mein Fünf-Euro-Schein bei dem Jungen mit den pickligen Schultern gekauft hat. Durchs Fenster ein Dada-Mix: Daft Punk, asiatische Kampffilme und orientalische Musik.

Mittwoch, 16.55 Uhr. Blick aus dem Fenster, auf das Match in der engen Gasse. Kinder spielen Fußbasket mit einem Ball. Das Geheimnis Marokkos: Die Jungen tragen alle T-Shirts, die jungen Frauen dünne Stoffgewänder, ihre Gesichter: hungrig.

Mittwoch, 19.14 Uhr. Schmerzen klopfen in meinem Kopf. Ich nehme zwei Aspirin, sofort fliest das Blut dünner. Peace rauchen ist wie einen Tiger am Schwanz zu ziehen – ein Risikospiel.

Mittwoch, 19.45 Uhr. Sitze im Männerteil des Café de Paris. Dunkelbraune Lederpolster, an der Wand grüner Marmor, Kork und Spiegel. Fühle mich matt. Sind das die Peace-Nachschwingungen (absehbar) oder das Leitungswasser (Paranoia), das ich ohne Bedenken getrunken habe?

Mittwoch, 22.08 Uhr. Habe mich total verlaufen. Ich stehe am Hafen, vor mir einer im XXL-T-Shirt mit Phil-Collins-Print. „Where are you from?“ – „Berlin“ – „Deutschland. Hab Freund da. Komm, Heroin rauchen.“

Mittwoch, 23.04 Uhr. Im Hotel. Den Phil-Collins-Typen bin ich mit 20 Dinar los geworden. Ich liege auf dem Bett und vertreibe die Angst wegen den roten Pusteln in meinen Armbeugen mit Wodka-Schlückchen.

Donnerstag, 9.44 Uhr. Das Fair-Terminal in Tanger, Grenzkontrolle: Neben mir Sam aus dem Senegal. Beide wollen wir einen Ausreisestempel in den Pass. Ich lasse 2 Euro fallen. Sam drei Scheine, 250 Dinar, etwa 25 Euro. Die Welt ist eine Schlampe.

Donnerstag, 19.07 Uhr. Draußen rollt so was wie Mexiko vorbei, ist aber immer noch Südspanien. Mir ist l-a-n-g-w-e-i-l-i-g. Trinke im Speisewagen Weißwein. Zwei flüstern. Vier kichern.

Donnerstag, 21.33 Uhr. Parkplatz neben dem Atocha-Bahnhof. Bin raus, weil ich keine Menschen mehr sehen konnte. Zwei Jungen gehen vorbei, schauen nicht einmal. Trotz Gepäckkontrolle auf den Bahnsteigen ist Spanien das entspannteste Land nach Terroranschlägen.

Freitag, 10.19 Uhr. Im Bistro des TGV kurz vor Bordeaux. Das Fahren erinnert an die Rohrpost. Ich wette mit mir selbst, Frankreich ohne ein Wort Französisch zu durchqueren und schwöre: Nie wieder Liegewagen.