Koffeinkeule gegen das Böse

Ein paar Fans der schwarzen Limonade aus Hamburg wollen das Pepsi/Coke-Imperium erschüttern – zwei Konkurrenten mit einer Mission mitten in der Krise des Markts

VON JAN FREITAG

Der Golden Pudel Club, wo sonst. Hamburgs Undergroundinstitution, Absprungrampe diverser popkultureller Musikstile und gelegentlich Büroraum zweier juveniler Trendsetter wie aus dem Hochglanzretropopmagazin. Hier, mit Elbblick, sitzen sie. Der eine, Miguel, trägt Koteletten zum Schnauzbart, Afro, Old-School-Sneakers. Der andere, Uwe, Koteletten zur Glatze und Turnschuhe. Beide pflegen eine absolut szenetaugliche Sprache – lässig die des Körpers, schnodderig die der Zunge.

„Alder, wir machen wirklich ein gutes Szenegetränk“, sagt denn auch der 27 Jahre alte Uwe, dessen Nachname (Lübbermann) – wir sind hier auf dem Kiez – nichts zur Sache tut. Wenigstens schämt er sich gleich für seinen sprachlichen Fehlgriff. Das Wort „Szene“ hört man in diesen Kreisen nicht gern. „Szene ist hip, stylisch, trendy, Scheiße“, fasst Uwe zusammen. Aber was soll’s – es geht hier um eine Limonade, die nun mal in den einschlägigen Vierteln getrunken wird, die im Kleinen den Großen von Pepsi/Coke ein paar Marktanteile abzujagen trachtet.

Es ist ein kalter Tag, kurz vor Mitternacht. Mit Siebzigerjahretapeten im Rücken trinken Uwe und Miguel wie stets um diese Zeit Koffein mit viel Zucker – ihr eigenes Produkt. Premium-Cola heißt der Wachmacher, schwarz wie die Seele und mit 250 Milligramm des verpönten Kaffeewirkstoffs Trimethylxanthin auf 0,33 Liter die Adrenalinspritze unter den Erfrischungsdrinks. Weniger sollten es nicht sein, „aber auch kein einziges Nanogramm mehr“, erklärt Uwe lebensmittelgesetzeskundig. Andernfalls stiege Premium-Cola in die Liga von Red Bull und anderen flüssigen Gummibärchensurrogaten ab; moralisch auf gleicher Stufe mit Technobrausen und Alcopops. Vor allem aber von Erzfeind Afri-Cola.

Anfang 2002 haben Uwe und Miguel die eigene Marke aus der Taufe gehoben, als Antwort auf, fast als Rache an Afri, dem – Verzeihung – Kultgetränk deutscher Softdrinkkultur. Als Mineralbrunnen die Cola mit der Palme 1999 übernommen hat, „da wurde das alte Rezept völlig verwässert“, klagt Miguel. Afri-Cola, 1931 selbst als koffeinreiche Alternative zum anschwellenden Coke- Imperium entwickelt, wurde koffeinärmer, angepasster. Ein Sündenfall. „Lange Zeit haben wir auf Mineralbrunnen eingeprügelt: Gebt uns unsere Koffeindosis zurück! Schluss mit der PET-Flasche! Stoppt die Lite-Kultur!“ Alles vergebens. „Das sind BWLer, die ihre Kunden nicht kennen.“

Die Interessengemeinschaft Premium ist das genaue Gegenteil: Marktanarchisten, Geschmackspuristen, Dopingexperten, Partypeople verschiedenster Herkunft, unhierarchisch. An ihrer Spitze dennoch der Markeninhaber Uwe und Kumpel Miguel. Sie fanden einen früheren Afri-Brauer in Würzburg, der nun mit dem alten Rezept neue Premiumflaschen füllt. 12.000 im Monat, dreimal so viel wie vor eineinhalb Jahren. Die Marke boomt. Auch wenn die Macher davon nichts wissen wollen. Es gehe um die Philosophie, sagt Miguel, die sei auf der Homepage nachzulesen. „Keinen Bock auf künstliche Pseudohipstermarken?“, fragen sie dort rhetorisch und versichern, „unpassende Läden, Medien, Partner“ abzulehnen.

Das schafft Revoluzzerteamgeist, Graswurzeldurstlöschung, Avantgardefeeling (zumal die Etiketten rückseitig mit Kunst bedruckt werden) – und zwar mittlerweile weit über Hamburg hinaus. Grenzen gibt es keine – außer ethischen. „Wir können gern viel verkaufen“, beteuert Miguel, „aber nicht uns.“ Es geht um bewusstes Trinken und ein wenig um Politik.

Trotzdem heißt der Hauptkonkurrent nicht Coke, ja nicht mal Afri-, sondern Fritz-Kola. Die braugleiche Szenebrause aus dem eigenen Jagdrevier. Allein die Namensnennung provoziert Abwehrreflexe. Es herrsche Waffenstillstand, die seien karriereorientiert „und machen uns jeden Scheißschritt nach“, stänkert Miguel. „Das nervt!“ Und während die beiden noch über sozialkritische Stoßrichtungen streiten, gewinnt der Begriff „Pseudohipster“ plötzlich Konturen. Sie sind schwarz-weiß, lächeln schief und prangen auf einer Drittelliterflasche mit schwarzem Etikett.

Im Gloria, einer gediegenen Bar im Hamburger Studi-Stadtteil Eimsbüttel, ist es trotz identischen Inhalts rot, und die Karikaturen darauf sitzen lebend vor zwei Schalen Milchkaffee. „Wir wollen die Kola Nummer eins werden und den Multi vom Thron stoßen“, sagt einer der beiden Endzwanziger unverblümt. Dafür stehen sie mit verfremdeten Gesichtern auf dem Etikett.

Kriegserklärungen in Richtung Atlanta? Bekenntnisse zum Erfolg? Markenbewusstsein? Für Mirco Wolf und Lorenz Hampel sind das politisch völlig korrekte Kategorien. Fritz-Kola gibt es nicht nur in über achtzig Hamburger Bars, sondern auch bei Spar. Fritz expandiert bundesweit in alle Himmelsrichtungen und stellt Kommerz über Community.

Zweieinhalb Jahre nach der Erfindung verkauft sie sich an die 10.000-mal im Monat, wird mit antiamerikanischem K geschrieben und beliefert das Gloria mit einer Sonderedition. Alles Dinge, die den Premium-Machern Schauer über den Rücken jagen. „Die sind eben superselektiv“, sagt Mirco über die Kollegen und lächelt arglos. „Wir nicht so.“

Schon sonderbar: Die Undergroundbrauer aus dem Pudel Club sind poppig gestylte Marketingprofis in aussichtsreichen Positionen, die Start-up-Unternehmer aus dem Gloria eher stinogekleidete Außenhandelsstudenten mit Aushilfsjobs. Auch die Beziehung zum Getränk ist bei beiden unterschiedlich. Premium verlinken eine Homepage über die Segnungen des Koffeins; Mirco Wolf sagt selbstlos, der Wirkstoff sei ein gefährliches Nervengift mit Totenkopfsymbol auf dem Lieferfass. Die Fritz-Kola-Macher haben sich nicht dem Koffein verschworen: Seit ein paar Wochen sind von ihnen auch Limonaden in vier Geschmackssorten (Melone, Apfel, Kirsch, Zitrone) auf dem Markt.

Doch Schluss mit Differenzen – es geht um eine Mission, und die verschweißt: Beide Sorten werden bewusst in kleinen Klitschen gebraut, beide schmecken trotz eines Hauchs Zitrone in Fritz-Kola fast identisch, enthalten nahezu den siebenfachen Koffeingehalt herkömmlicher Cola-Sorten und stehen zum Standort. Hamburg, sagt Miguel als Bewohner und Produzent, ist ein Grund, stolz zu sein. Hamburg, sagt Lorenz kettenrauchend, ist einfach alles für uns. Hamburg, sagt die Branche, ist für Szenegetränke jeder Art das ideale Testterrain.

„München ist zu konservativ, Berlin braucht zu lang, der Rest ist zu klein“, urteilt zum Beispiel Peter Kowalsky. Hamburg dagegen habe für die gesamte Branche absolute Vorbildfunktion. Kowalsky ist Geschäftsführer der Bionade GmbH und muss es wissen. Drei von vier Millionen verkauften Flaschen der bayerischen Biolimo gingen im Vorjahr über hanseatische Tresen und Theken. Und für drei Jahre Absatzverdopplung in Folge macht Kowalsky vor allem die richtigen Zielgruppen an der Elbe verantwortlich: „Da leben Werber, Grafiker, Kultur Schaffende.“

Meinungsführer allesamt. Und zwar auf engstem Raum, das ist auch vom Bundesverband der Getränkegroßhändler (Geva) im rheinischen Frechen zu hören. Es gebe in der Werberstadt an der Elbe Agenturen, die pro Woche 50 Kisten der Geschmackssorten Holunder, Litschi und Kräuter ordern, frohlockt Kowalsky. Und natürlich gibt es die Brause auch im Golden Pudel Club – wenngleich das Kiezpublikum auf die Prosecco-Fraktion aus der Glamourkaste nicht gut zu sprechen ist. „Mate und Almdudler kommen wie wir von unten und fühlen sich da auch wohl“, bleibt Uwe superselektiv. „Bionade will dagegen groß werden.“

Warum auch nicht, könnte die Antwort aus Ostheim an der Rhön, wo jede Flasche Bionade befüllt wird, lauten. Das läge voll im Trend. Rund 15 Jahre nachdem die große Verdrängungswelle auf dem Getränkemarkt Fahrt aufgenommen hat, als kleinere Firmen immer häufiger von rasant wachsenden Großunternehmen wie Brau und Brunnen, Nestlé, Danone, Holsten oder Mineralbrunnen geschluckt wurden, bläst die durstige Basis zur Revolte. Was auf dem Cola-Markt Premium, Fritz, die koffeinfreie Honigbrause „Saps“, weiter östlich „Club“ und „Vita“ oder noch etwas weiter östlich die bizarre „Mecca Cola“, sind auf dem Limonadensektor Bionade, Club-Mate und das österreichische Kräutergebräu Almdudler. Sie alle machen den Multis kräftig Feuer unterm Hintern.

Und das mitten in der Krise. Der Erfrischungsgetränkemarkt stagniert seit Jahren auf hohem Niveau; nur die Emporkömmlinge aus dem Off wildern teilweise mit zweistelligen Zuwachsraten im Brausesegment. Immer wieder, sagen die Renegaten, klopfen Coke und Co. mit hochziffrigen Schecks an. Auch untreue Gastronomen berichten von Besuchen aus den Konzernzentralen der Multis, von Rückwerbungsversuchen abtrünniger Kunden.

Doch große Wachstumsperspektiven sind vorerst nicht drin. Zu hoch sind die Kosten für Kino- oder Fernsehspots. Und so hängen die Jungs von Fritz und Premium weiter kleine Plakate in Kneipen, schmücken ihre Homepage mit ihren Philosophien, arbeiten mehr, als ihnen gut tut, und verpassen sich entsprechende Dosen koffeinschwangeren Zuckerwassers. „Irgendwann mal“, erzählt Mirco und blickt versonnen durch die Bar, „drehen wir einen Werbespot, bei dem der bescheuerte Weihnachtstruck von Coke brennt.“

JAN FREITAG, 34, lebt als freier Journalist in Hamburg. Der Kaffeejunkie liebt seine Stadt so sehr, wie er jede Art Cola hasst