lexikon der globalisierung
: Was heißt Eigenverantwortung?

„Eigenverantwortung“ ist jenes steuerungspolitische Wundermittel, das regelmäßig wieder entdeckt wird, wenn der Staat knapp bei Kasse ist. Dann revidieren die politischen Eliten das alte sozialstaatliche Versprechen, Risiken der individuellen Existenzsicherung kollektiv abzusichern, deren Eintritt die Betroffenen nicht selbst zu verantworten haben. Und sie können sich auch noch gut dabei fühlen: Als Liberale, die gegen die staatliche Bevormundung der mündigen, nach finanzieller Selbstbestimmung strebenden Bürgerschaft zu Felde ziehen. Im gleichen Atemzug beanspruchen sie, die sozialpolitische Ordnung nach den eigenen Vorstellungen neu zu regeln. Dann werden die Bürgerinnen und Bürger zur Eigenverantwortung aufgefordert, was heißt, die Kosten ihrer Alters-, Gesundheits- und Erwerbsvorsorge selbst zu übernehmen – mit „Riester-Rente“, „Praxisgebühr“ und „neuer Zumutbarkeit“.

Was jedoch bei Bundesministern bestenfalls dummes, wahrscheinlicher aber zynisches Gerede ist, stellt sich dem Durchschnittsmenschen als existenzielle Herausforderung dar. Eine politische Elite, die wirklich von sich behaupten könnte, Verantwortung zu tragen, wäre sich dieser Tatsache bewusst. Sie wüsste um die vielfältigen materiellen Voraussetzungen dafür, die bürgerlichen Freiheitsrechte effektiv wahrzunehmen. Und um die der Chance auf individuelle Eigenverantwortung notwendig vorausgehende gesellschaftliche Verantwortung, ebendiese Voraussetzungen zu schaffen. Bei der offensiven Einforderung dieser gesellschaftlichen Verantwortung ist heute wie in Zukunft in der Tat „mehr Eigenverantwortung“ gefragt. Von uns allen.

STEPHAN LESSENICH

Das Lexikon ensteht in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac und erscheint jeden Montag