a última verdade
: Schuss im Hof

DAS WORT AUS DEUTSCHLAND: Das Leben als Nachwuchsfußballer fordert Opfer – sogar beim Liebesleben

Zwar tobt derzeit ein übler Scheinkampf um die Völler-Nachfolge, gleichzeitig heißt es aber inzwischen, deutscher Fußball sei nur von ganz unten zu heilen. Aber: Wo ist ganz unten, wenn man schon ganz unten ist? Richtig, des Rätsels Lösung lautet: Straßenfußball! Aber: „Wo sind unsere Straßenfußballer“, schreit man allerorten, ganz so, als wäre nichts einfacher, ein paar Wohngegenden der Republik zu autofreien Zonen zu erklären und nach einem Jahr die Talentspäher auszusenden ins Fußballland: „Melde mich hier aus Berlin-Kreuzberg. Ungeheuerlich, der kleine Peer hat einen gewaltigen Wumms, und Murat ist auch nicht schlecht, wir müssten ihn nur noch einbürgern …“

Warum eigentlich sollte man den armen Moppels den Spaß verderben, sie von der Straße holen und in einen Verein zwingen? Die Straßenfußballer meiner Nachbarschaft jedenfalls scheinen mir nicht versessen darauf, um Verkehrshütchen herumzudribbeln und Laufeinheiten zu absolvieren. Sie spielen zu fünft; ihr Ziel ist es, über drei Stationen auf ein Hoftor zu kicken. Das kann Stunden dauern. Wenn sie keine Lust mehr haben, stürzen sie sich auf ihre Fahrräder und jagen wohl hundertmal um den Block.

Ein Leistungssportlerleben ist längst nicht so schön, wie ich als ehemalige Schwimmerin weiß. Noch heute bin ich meiner damaligen Freundin Kathrin dankbar dafür, dass sie sich eines Tages beschwerte: Vier wahrhaft ermüdende Trainingseinheiten in der Woche, am Wochenende meistens ein Wettkampf, in den Ferien Trainingslager – wann, wenn ich noch die Hausaufgaben erledigen wollte, war da Zeit für etwas anderes als diesen verdammten Sport?

Die viel beschworene Jugendarbeit, aus der unsere zukünftigen Spitzen- und Nationalspieler hervorgehen sollen, erfordert ein absurdes Maß an Disziplin und Unterordnung; einen durchstrukturierten Alltag, der mit normaler Kindheit und Adoleszenz nichts zu tun hat. Sollte das gut gehen und Freude machen, haben Spieler und Verein Glück gehabt. Viele hoffnungsvolle Talente aber scheitern dennoch, obwohl sie sich jahrelang auf den Sport konzentriert und auf eine Zukunft als Fußballprofi gesetzt haben. Oft genug geht das zulasten der Schule; viel Zeit fürs Lernen und gute Noten bleibt schließlich nicht, wenn man andauernd einem Ball hinterherrennen und ihn in ein Tor schießen muss.

Und auch das Liebesleben bleibt auf der Strecke. Er habe keine Zeit für eine Freundin, stellt einer der Protagonisten in der bemerkenswerten Fußballdokumentation „The Champions“ fest. Das Leben des jungen Mannes ist ganz auf seine sportliche Karriere ausgerichtet, belohnt wird er dafür jedoch nicht, wie sich später zeigt. Ein einziges Mal darf er bei Borussia Dortmund in der Bundesliga spielen, dann wird er von einem teuren Neueinkauf in den Kader der Borussen-Amateure verdrängt.

Meine Straßenfußballer bitte ich deshalb nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Hofeinfahrtfußball ist ein ehrenwertes Freizeitvergnügen, das nicht gefördert, sondern in Ruhe gelassen werden muss. Die Nation wird ohne Peer und Murat auskommen.