Wer sich fotografieren lässt, ist für das Himmelreich verloren

Mit anrührender Sturheit bewegt sich die Heldin durch Samira Makhmalbafs Spielfilm „Fünf Uhr am Nachmittag“. Ihr Ziel: Sie will die erste Präsidentin Afghanistans werden

Immer wieder zieht Ebrahim Ghaforis Kamera an kriegsversehrten Straßen und Plätzen vorbei

Das Land ist verloren. Zu viel Gottlosigkeit hat es verdorben, meint der Vater der jungen Noqreh, ein strenggläubiger Kutscher. Das Land braucht eine Präsidentin, findet die Tochter und stellt sich im heimlich besuchten Schulunterricht selbst zur Wahl. Mit diesem kühnen Plan ist sie nicht die einzige. Was Benazir Bhutto in Pakistan und Indira Gandhi in Indien erledigt haben, das schwebt hier gleich mehreren Kabuler Schülerinnen vor. Doch mit solchen Träumen von Macht und Einflussnahme machen sich die Frauen nicht nur den immer noch herrschenden Fundamentalismus, sondern auch die eigene Familie zum Feind. Noqreh (Aghele Rezaie), die mit ihrem Vater, ihrer Schwägerin und deren langsam verhungerndem Baby durch die Ruinen der afghanischen Hauptstadt zieht, lässt sich nicht beirren. Mit anrührender Sturheit fahndet sie nach dem effektivsten Weg zur Machtübernahme und nach den öffentlichkeitswirksamen Strategien einer erfolgreichen Politikerin. Sie fragt einen französische Soldaten nach dem Wahlerfolg Chiracs und nach der Rezeptur einer funktionierenden Demokratie. Und sie erweist sich bei aller scheinbaren Naivität doch als klug genug, um auch in westlichen Regierungsmodellen kein universelles Heil zu vermuten.

Das Kino soll die Lücken unserer Wahrnehmung füllen und unser Gedächtnis aufbessern, hat die junge iranische Regisseurin Samira Makhmalbaf gesagt, nachdem sie für „Fünf Uhr am Nachmittag“ den Spezialpreis der Jury in Cannes gewonnen hatte. Zu schnell gehe Bushs „Antiterrorkampf“ als gerechter Krieg ins abendländische Bewusstsein ein. Zu schnell vergesse man, dass Afghanistan nicht nur für ein grausames Regime und einen verlorenen Krieg steht.

Mit „Fünf Uhr am Nachmittag“ hat sie sich wie ihr Vater Mohsen Makhmalbaf (zuletzt 2001 in „Die Reise nach Kandahar“) auf eine mutige Expedition in ein Land begeben, in dem Doppelmoral, tagtägliche Repressalien und selbstherrliches religiöses Eiferertum Hand in Hand gehen – stärker und unversöhnlicher als je im Iran. Samira Makhmalbafs damals 14 Jahre alte Schwester Hana hat die Dreharbeiten in „Joy of Madness“, der 2003 prompt in Venedig gezeigt wurde, begleitet. Ihr Making-of ist ein Dokument über die unendlichen Anstrengungen, die es kostet, in einem Land zu drehen, das im Geiste noch immer von den Taliban gelenkt wird. „Fünf Uhr am Nachmittag“ selbst zieht seine dokumentarische Kraft aus den Straßenszenen, die eine Handkamera präzise beobachtet. Und nicht zuletzt aus dem unglaublichen Vorhaben der Regisseurin, Menschen mit ihrem eigenen Abbild zu versöhnen. Schließlich sind Fotografierte nach dem Bilderverbot für das Himmelreich verlorene Seelen. Und Menschen mit Kamera in dieser Logik nichts anderes als teuflische Kopfgeldjäger. Angesichts solcher Taburegelungen lässt sich ahnen, welche Hartnäckigkeit hinter den Bildern stecken muss. Und umso leichter lässt sich bei all dieser – auch feministischen – Pionierinnenarbeit nachsehen, dass sich der Plot gelegentlich mit allzu schematische Verkürzungen begnügt.

Mit dem Vater teilt Samira Makhmalbaf die Vorliebe für karge Panoramen, die Schönheit des Beiläufigen und Momente voller eigentümlichem Witz. Da gibt es Sequenzen, in denen hunderte von blauen Burkas unter ebenso blauen Regenschirmen wie wunderliche Vögel über die Leinwand flattern. Oder Gesänge, in denen Frauen in der Koranschule die Verdorbenheit des eigenen Geschlechts herunterleiern, während sich die Protagonistin heimlich ihre weißen Pumps anzieht, um sich auf den Weg zum verbotenen Schulunterricht zu machen. Immer wieder zieht die Kamera vorbei an kriegsversehrten Straßen und Plätzen, an ausgebombten Häusern und an abgeschossenen Militärflugzeugen, auf deren ausgebrannten Sitzen sich Menschen eingenistet haben, als könnten diese Maschine sie zurück in die Normalität befördern. In solchen Bildern erzählt „Fünf Uhr am Nachmittag“ erschütternd einfach und unsentimental vom unaufhörlichen Ausnahmezustand in einem entkräfteten Land.

BIRGIT GLOMBITZA