„Nur die Amerikaner verlieren dabei“

Der letzte Bolero in Havanna: Als einzige Frau im „Buena Vista Social Club“-Männerverein kam die Sängerin Omara Portuondo, 73, zu spätem Weltruhm. Ein Gespräch über die Frauen in der kubanischen Musik, die Anfänge ihrer Karriere in den Fünfzigerjahren sowie Einreiseverbote für Kubaner in die USA

INTERVIEW KATRIN WILKE

taz: Frau Portuondo, Sie sind die einzige Frau im Männerverein des Buena Vista Social Club. Wie fühlen Sie sich als Quotenfrau der kubanischen Musik?

Omara Portuondo: Oh, meine Kollegen behandeln mich wirklich sehr freundlich und liebenswürdig. Wir kennen uns halt auch alle schon sehr lange. Für die anderen bin ich die Kleine, das Baby. (lacht) Aber sie wechseln mir keine Windeln oder so. Sie nennen mich „Bebita“ und gut ist’s, sie respektieren mich.

Ich habe einfach Glück gehabt, das muss ich mir selbst immer wieder klar machen. Denn es gibt auf Kuba so viele gute Interpretinnen, die das Gleiche verdient hätten.

In der kubanischen Musik standen die Frauen immer ein wenig in der zweiten Reihe, oder?

Wir waren nie eine Minderheit. Man hat die vielen Sängerinnen nur nicht so zur Kenntnis genommen. (seufzt)

Die berühmte Musikerin und Komponistin María Teresa Vera etwa fiel im Havanna meiner Kindheit deutlich auf zwischen all ihren männlichen Kollegen, und sie arbeitete zu ihrer Zeit mit Compay Segundo, mit den Compadres und vielen anderen zusammen.

Es gab viele andere Frauen wie sie in Santiago und anderswo, die weniger bekannt waren, und Sängerinnen wie Rita Montaner oder Esther Borja. Daneben gab es auch etliche Instrumentalistinnen, insbesondere Pianistinnen, und zuletzt haben sich in der Salsa-Musik viele Frauenbands hervorgetan.

Mit einer berühmten Pianistin haben Sie auch beim wohl legendärsten weiblichen Vokalquartett Kubas zusammengearbeitet: Aida Diestro.

Ja, ich gehörte von 1952 bis 1967 dem Cuarteto Las D’Aida an – das war für mich bis heute so ziemlich die prägendste Erfahrung, die mich bis heute ausmacht. Die Direktorin dieses geradezu perfekten Quartetts war Aida Diestro, eine wunderbare Musikerin, die ihren männlichen Kollegen am Piano in nichts nachstand, um es mal so zu sagen.

Von den ursprünglich vier Sängerinnen des Quartetts sind heute nur noch meine Schwester Haydeé und ich am Leben, Moraima Secada und Elena Bourke sind gestorben. Zuvor war ich beim Anacoana, dem allerersten Frauenorchester auf Kuba, das in den Dreißigern gegründet wurde. Dieses heute noch bestehende Ensemble ist unter den mittlerweile vielen seiner Art das älteste. Es ist nach wie vor aktiv, heutzutage natürlich mit neuen Mitgliedern.

Ihre verstorbene Sängerkollegin Elena Bourke bedeutete Ihnen sehr viel. So viel, dass Sie ihr kürzlich eine ganze Kuba-Tour gewidmet haben.

Ihr Verlust war sehr hart, schließlich kannten wir uns viele Jahre: Durch sie habe ich quasi begonnen, professionell zu singen. Wir waren uns in vielem miteinander verbunden. Eins meiner neuen Stücke, „El madrugador“, habe ich früher viel von Elena Bourke gehört. Wenn ich es heute singe, ist es auch eine Hommage an sie, habe ich dabei doch stets ihre tiefe, großartige Stimme im Kopf, mit der sie es sehr gut interpretierte. Ich habe unheimlich viel Respekt für Elena: Für mich ist sie die Größte.

Wie Elena Bourke gehörten auch Sie einst zu den Stars der so genannten Filin-Bewegung. Was war das?

Der Filin kam in den Vierzigerjahren in Havanna auf, unter dem Einfluss des Jazz. Eine Gruppe von Jugendlichen – Studenten wie Arbeiter – begann, den traditionellen Boleros eine modernere Form zu geben, mit veränderten Harmonien und Melodien. Auch die Texte entwickelten sich und wurden literarischer, auch wenn sie nach wie vor von der Liebe handelten.

Wenn ein Lied gut interpretierte wurde, es einen bewegte, dann besaß es eben dieses gewisse „Feeling“. Ich stieß damals rein zufällig zu diesen Leuten und schloss mich ihrer Bewegung an, als ich noch zur Schule ging. So kam ich schon früh zu meinem Spitznamen „Verlobte des Filin“.

Ihre Liebe zum Bolero, dieser originär kubanischen und bis heute in ganz Lateinamerika populären Balladenform, ist auch auf ihrem neuen Album „Flor de amor“ zu hören.

Der Bolero bedeutet mir viel, er ist sehr intim und gefühlsbetont. Sein Leitmotiv ist die Liebe, die so wichtig ist wie das Leben selber. Für mich ist es sehr reizvoll, dass schon junge Leute einen Zugang zu diesen Liedern bekommen – schien es doch, als wäre der Bolero zwischenzeitlich out gewesen. Aber irgendwie ist er nicht totzukriegen, und ich denke, er wird immer fortleben.

Sie lassen sich stilistisch aber nicht nur darauf festlegen?

Nein, ich tanze genauso gern eine Rumba, wie ich einen Cha-Cha-Cha singe oder die Chorstimme in einem Son. Ich mag es, ganz unterschiedliche Erfahrungen zu machen, und denke, dass es jedem Musiker darum geht: die Möglichkeiten und die entsprechenden Bedingungen zu haben, anderes kennen zu lernen und sich weiter entwickeln zu können. Nur dann bist du wirklich erfüllt von dem, was du machst.

„Flor de amor“ scheint ganz durchdrungen von der Atmosphäre der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Warum?

Das waren musikalisch sehr wertvolle Jahre für uns. Ich werde mich stets an Los Zafiros und an die großen Hits dieses Quartetts von Manuel Galbán erinnern: Es war die Ära der großen Quartette, und überall auf der Welt begann man damals, sie einzusetzen und mit harmonisierten Stimmen zu arbeiten.

Sie leben direkt am Malecón, Havannas berühmter Uferpromenade. Was bedeutet Ihnen die tägliche Tuchfühlung mit dem Meer?

Es ist fantastisch: Du hast das ganze Leben vor der Nase. Ich wohne ganz oben und kann alles wunderschön überblicken. Im Sommer ist es zwar sehr heiß, aber es gibt immer eine kleine frische Brise vom Meer!

Ihr Duett-Partner Ibrahim Ferrer wurde in diesem Jahr mit einem Grammy ausgezeichnet. Doch als er und andere Ihrer kubanischen Kollegen zur Preisverleihung in die USA reisen wollten, wurde ihnen die Einreise verwehrt – angeblich aufgrund von Visa-Problemen. Was würden Sie tun, wenn Ihnen das Gleiche passiert?

Wer dabei etwas verliert, sind einzig und allein die USA selbst. Nun, im Moment steht das ja nicht zur Debatte. Aber in nächster Zukunft? Mal sehen, was noch alles kommt.

Ibrahim Ferrer wurde mit einem Grammy als „bester neuer Künstler“ prämiert, und auch Sie werden von vielen Hörern im Ausland jetzt erst entdeckt. Wie ist Ihnen angesichts dieses späten Erfolgs zumute?

Ich denke, ehrlich gesagt, dass es nie zu spät ist. Gut, dass es überhaupt geschehen ist, dieser Erfolg. Besser spät als nie …

Ich hatte jedoch vorher schon ein musikalisch bewegtes Leben. Davon kann Ihnen der Kleine da neben mir ein Lied singen. (nickt ihrem stämmigen Sohn Ariel zu, der seit einigen Jahren ihr Manager und Tourbegleiter ist) Während ich früher die Hälfte des Jahres auf Tour war, blieb er allein zu Hause. Ich habe halt schon immer viel gesungen und schon früher viele Alben aufgenommen – allerdings immer nur in Kuba.

Sie sind also auch schon vor Ihrem Erfolg mit dem Buena Vista Social Club ganz gut herumgekommen?

Als Musikerin hatte ich es immer gut und konnte bereits in vielen Ecken Europas auftreten: zum Beispiel – ich glaube, es war 1973 – im Berliner Friedrichstadtpalast, in Leipzig und beim Schlagerfestival in Dresden. Auch bei Festivals in Italien und Frankreich bin ich aufgetreten, und in den Siebzigern ging ich mit den Papines und dem Orquesta Aragón nach Japan. Die Japaner wissen erstaunlich viel über fremde Musik, ob aus Kuba, Spanien, Deutschland, Frankreich oder sonst woher.

Haben Sie da schon einmal in einer anderen Sprache gesungen, etwa auf Deutsch?

Ich habe vor vielen Jahren bei einem deutschen Festival schon mal versucht, Deutsch zu singen: Das Lied hieß „Wenn du schläfst, mein Kind“. Habe ich das richtig ausgesprochen?

Außerdem habe ich einmal auf Japanisch ein sehr altes japanisches Lied gesungen. Das musste ich aber auch sehr gut einstudieren! Es heißt „Saguré“ und ist in Japan in etwa so populär wie für die Kubaner „Siboney“: Es handelt von der ersten Blume, die im Frühling hervorkommt. Soweit ich weiß, ist dies eine kleine Apfelblüte.

Haben Sie bei so vielen Auftritten im Ausland überhaupt noch Zeit dafür, Konzerte zu Hause zu geben?

Wenn ich in Kuba bin, lädt man mich häufig ins Tropicana ein, diesem international renommierten Lokal. Außerdem trete ich im Nationaltheater von Havanna auf. Dessen kleinster und schönster Saal ist das Café Cantante: Dort trete ich auf, wann immer es mir möglich ist, vor einem altersmäßig total gemischten Publikum. Dorthin kommen alle, ob Rentner, junge Leute oder kleine Kinder. Außerdem arbeite ich dort mit jungen Musikern zusammen, die gerade ihr Studium absolviert haben. Allerdings habe ich in den letzten Jahren durch den Buena Vista Social Club kaum noch Zeit dafür gefunden – zu meinem großen Bedauern.

Konzerte: 5. 7. Berlin (mit Ibrahim Ferrer), 6. 7. Hannover, 7. 7. Hamburg, 14. 7. Bonn (mit den Afro Cuban All Stars)