Wenn Deutschland ruft …

… darf man nicht Nein sagen? Ottmar Hitzfeld, Oskar Lafontaine, Harald Schmidt: Immer mehr Männer fliehen aus der Verantwortung – mit dem Hinweis auf persönliche Befindlichkeiten. Gut so?

VON ROBIN ALEXANDER

In dieser Woche wurde ein neuer deutscher Bundespräsident vereidigt. Aber der wichtigste Posten, den die Nation zu vergeben hat, blieb weiter unbesetzt. Während ein gewisser Horst Köhler im Reichstag schwor, Schaden vom deutschen Volke zu wenden und seinen Nutzen zu mehren, lasen Nachrichtensprecher im Radio mit teilweise vor Entsetzen stockender Stimme: Ottmar Hitzfeld wird doch nicht Bundestrainer.

Die Öffentlichkeit, die Bundesliga, das Volk – sie alle hatten nach dem zweifachen Gewinner der Champions League, dem „Einzigen“ (Beckenbauer über Hitzfeld) gerufen, nein: geschrien. Und dann die Absage: Ausgebrannt. Nicht in der richtigen Verfassung.

Die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land steht vor der Tür, die Mannschaft liegt in Trümmern – und der Herr fühlt sich unpässlich. Welch ein Affront! Eigentlich. Denn die Reaktionen auf die Absage blieben seltsam verhalten. Niemand sprach von Feigheit, das dumme Wort vom Deserteur fiel gottlob nicht. Im Subsystem Fußball wird öffentlich vorgespielt, welches Verhalten gesellschaftlich akzeptabel ist. Nein sagen, das ist akzeptabel geworden.

Und das ist neu. Wer sich der Nationalmannschaft verweigerte, galt bisher als gerissener, fauler Abzocker (Bernd Schuster) oder als prolliger, fauler Abzocker (Stefan Effenberg): in jedem Fall als asozial. Denn die Nationalmannschaft ist nicht irgendeine Fußballmannschaft und Bundestrainer ist nicht irgendein Job.

Der Mythos vom Messias

Zwar sind die realen Wirkungsmöglichkeiten sehr begrenzt, aber der Posten ist sozusagen mythisch aufgeladen: Er ist Identifikationsobjekt im an nationalen Symbolen armen Deutschland. Das Amt des Bundestrainers gehört weniger zu einem rationalen Zweckverband als zu einer Schicksalsgemeinschaft. Diese Wahrnehmung ist vormodern – und ein bisschen blöd: Sie führte dazu, dass Bundestrainer als legendäre Charaktere (Herberger), messianische Lichtgestalten (Beckenbauer) und Volkshelden (Völler) gesehen werden. Oder als Versager (Derwall, Vogts, Ribbeck). Dazwischen gab es nichts.

Viele solcher Posten gibt es in unserer säkularen Gesellschaft nicht, einige aber schon. Als Oskar Lafontaine in die Toskana floh, beklagte sich niemand über seinen Rücktritt als Finanzminister. Aber die Aufgabe des Parteivorsitzes wird ihm in diesem Leben nicht mehr verziehen werden – von Sozialdemokraten, die ebenfalls eine Tradition haben, ihre Partei nicht als Zweckverband, sondern als Schicksalsgemeinschaft wahrzunehmen.

Jenseits von Fußball und SPD ist der Rücktritt aus persönlichen Gründen längst kein Problem mehr. Als Harald Schmidt seine Late-Night-Show aufgab, klagten nur einige wirre Feuilletonisten: Er lässt uns allein. Darf er das? Ja, er darf. Heutzutage darf ein Mann überlegen, was seine Arbeit mit ihm tut. Er darf (siehe Hitzfeld) sogar seine Frau fragen. Das kann man schon einen zivilisatorischen Fortschritt nennen. Schuld daran sind natürlich die 68er und ihre Nachfolger, mit denen sich die Erkenntis durchsetzte: Es gibt ein Leben jenseits der Pflicht. So weit, so gut? Naja.

Stellen wir einmal die klassisch konservative Frage: Wo soll das hinführen? Lafontaine hat sich prächtig erholt – seine Partei dümpelt bei 20 Prozent. Harald Schmidt wirkt wie befreit – und wir müssen Anke Engelke gucken. Wolfgang Tiefensee hat den Posten als Minister für den Aufbau Ost abgelehnt – und Manfred Stolpe verbuddelt weiter Milliarden. Und wer bitte soll jetzt Bundestrainer werden? Ein Ausländer? Ein Kokser? Einer, der mit Libero spielen lässt? Eine Frau?

Es ist wohl doch so: Der Rücktritt von einem oder der Verzicht auf einen Posten aus persönlichen Befindlichkeiten ist eine gute Sache – für den, der verzichtet. Das Amt hingegen leidet: Schon, weil die nachrückende zweite Wahl (Schröder, Engelke, bald Rehhagel) oft erschreckend wenig Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit hat. Das haben die 68er fein hinbekommen: Flaschen übernehmen die Führung. Einige Linke haben schon gemerkt, was sie angerichtet haben: Joschka Fischer schimpfte, als Tiefensee sich dem Aufbau Ost verweigerte: „Wenn Deutschland ruft, darf man nie Nein sagen!“ Seltsame Zeiten: Die Linken entdecken die Pflicht, ein Fußballtrainer das schöne Leben.

Die Befreiung vom Irren

Oder doch nicht? Schon geht das Gerücht, Hitzfelds Burn-out sei nur ein Vorwand. In Wahrheit wolle Hitzfeld nur den Druck auf DFB-Präsident Mayer-Vorfelder erhöhen, um den Unfähigen loszuwerden. Hitzfeld opfert demnach die Krönung seiner Karriere, sein erklärtes Lebensziel, um Fußball-Deutschland von einem gefährlichen Irren zu befreien, der auf den Abgrund zusteuert. Ein Vorhaben von fast Stauffenberg’schem Geist. Hätte es noch eines Beweises bedurft, er wäre mit dieser heroischen Tat erbracht: Der Mann muss Bundestrainer werden.