Nichts als der Tod

Der Skandal ist die Welt, in der wir leben: Die mexikanische Künstlerin Teresa Margolles im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main

VON MARC PESCHKE

Der Tod – und nichts als der Tod, das ist das Thema der 1963 geborenen mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles. Ihre künstlerische Arbeit ist eine Recherche, eine Spurensuche nach der Geschichte des Todes in ihrer Heimatstadt Mexico-Stadt. Und die 20-Millionen-Megacity, die größte Stadt der Welt, gibt immer neuen Stoff für künstlerische Interventionen, für Installationen, Foto- und Videoarbeiten, die sie alleine – oder gemeinsam mit der 1990 gegründeten Künstlergruppe Semefo (Servicio Medico Forensico) entwickelt. Noch bis in den August zeigt das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main die bisher größte Retrospektive der Mexikanerin.

Vor allem das, was nach dem Tod eines Menschen von ihm übrig bleibt, ist das Thema von Teresa Margolles: Immer wieder arbeitet die gerichtsmedizinische Assistentin und Künstlerin mit Materialien, die mit Toten in Berührung kamen. Wie etwa für eine Ausstellung in der Kunsthalle Wien, wo sie ein 24 mal 24 Meter großes Stofftuch, das der Aufbewahrung von unidentifizierten Toten im Leichenschauhaus von Mexiko-Stadt diente, als Kunstobjekt inszenierte und den inhumanen Charakter des modernen Todes deutlich ausstellte.

Bedrohliches Wissen

Das gezeigte Wissen macht die Arbeiten von Margolles so bedrohlich. Sie zeigt keine fiktiven Welten. Alles ist hier so echt und peinigend wie eine Fotodokumentation über das Sterben. Trotzdem vermag sie eine geheimnisvolle Aura zu schaffen, ein Kunst aus Andeutungen, die den Weg vom Leichenschauhaus in die größten Museen der Welt gefunden hat.

„Ich arbeite am leblosen Körper, mit dem, was verfault. Immer mit der anfänglichen Frage: Wie viel durchlebt eine Leiche?“, sagt Margolles über ihre Kunst. Sie zeigte Laken mit blutigen Leichenabdrücken, Hemden verunglückter Kinder, präparierte die Zunge eines getöteten jugendlichen Heroinsüchtigen, arbeitete mit Leichenwaschwasser und bestrich öffentliche Gebäude mit Fett, das bei Schönheitsoperationen abgesaugt wurde, wie Klaus Biesenbach schreibt: „Körperfett als Maßstab für Wohlstand und Ernährung ist hier zum Abfallprodukt derjenigen geworden, die aus Angst vor Überernährung einen drahtigen Körper ‚light‘ suchen … dem gerade eben dieses Fett teuer entzogen werden muss.“

Teresa Margolles Ausstellung im MMK ist ein Akt gegen die Anonymisierung des Todes – und sie ist vor allem auch vor diesem Hintergrund zu begreifen: Die Neuzeit scheint einen unerbittlichen Krieg gegen den Tod zu führen. Der Tod wurde an den Rand des persönlichen Erlebens gedrängt, um abends klammheimlich via „Tagesschau“ zurückzukehren und mit seinem Memento mori Sprachlosigkeit zu hinterlassen.

Natürlich verschwinden der Tod, Sterben und Gewalt nicht wirklich, aber es ist heute leichter, die Folgen zu verdrängen, wie Norbert Elias beschrieben hat: „Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit wurden Sterbende so hygienisch aus der Sicht der Lebenden hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens fortgeschafft, niemals zuvor wurden menschliche Leichen so geruchlos und mit solcher technischen Perfektion aus dem Sterbezimmer ins Grab expediert.“

Gegen dieses System der Verdrängung rebelliert die Zurschaustellung des Todes in der Kunst von Teresa Margolles. Margolles’ Werk – eine Spurensuche, ein Akt gegen das anonyme Verschwinden von Menschenleben – durchbricht die Distanz, die Lebende und Tote üblicherweise trennt. Die meisten ihrer Arbeiten konfrontieren die Ausstellungsbesucher mit dem Tod auf direkte, physische Art und Weise.

„Muerte sin fin“ – der Frankfurter Ausstellungstitel geht auf ein im Jahr 1939 veröffentlichtes Gedicht des mexikanischen Autors José Gorostiza zurück – zeigt verschiedene Werkgruppen: In der zentralen Halle des MMK werden Seifenblasen aus (desinfiziertem) Leichenwaschwasser produziert, Spuren der namenlosen Toten, die von vergangenem Leben erzählen. Klaus Görner und Udo Kittelmann haben eine treffende Metapher für die Arbeit „In der Luft“ gefunden: „Das Leben der Toten ist bereits ‚zerplatzt‘, und zwar unter gewalttätigen Umständen.“ Es ist eine bedrückende körperliche Erfahrung, die Seifenblasen auf der eigenen Haut zerschellen zu sehen.

Noch einer anderen Arbeit der Ausstellung dient Leichenwasser als Ausgangsmaterial: In „Luft“ wird die Raumluft mit Wasser befeuchtet, das bei der Totenwaschung vor der Obduktion aufgefangen wurde. Somit nimmt der Besucher die Anwesenheit des Toten physisch wahr, atmet die Luft ein – und stellt einen allumfassenden, durchdringenden Kontakt zum Toten her.

Ganz anders vermag eine Serie von Aquarellen den Toten ein Gesicht zu geben: In mehreren Reihen übereinander angeordnet hat Margolles Aquarellblätter an die Wand geheftet, Papeles, die in Leichenwaschwasser getränkt wurden. Blut und Fett des Körpers haften auf dem saugfähigen Aquarellpapier – das mehr ist als ein Hinweis auf vergangenes Leben. Margolles hat mit dieser Serie Porträts von Toten geschaffen, einen individuellen Abdruck ihrer Existenz.

Tot im Betonblock

Im Gegensatz zu den anderen gezeigten Arbeiten ist bei „Begräbnis“der tote Körper tatsächlich da: Teresa Margolles hat den Leichnam eines tot geborenen Kindes in einen kleinen Betonblock eingegossen, der im Museum vielleicht ganz unfreiwillig die amerikanische Minimal Art zitiert. Sie tat dies nach eigenen Worten auch, weil die Mutter des Kindes nicht in der Lage war, das Geld für eine Bestattung aufzubringen.

Das Kunstwerk ist bei Teresa Margolles keinesfalls autonom, sondern ein entlarvender Beweis unerträglicher sozialer Umstände. Mit dem Tod endet nichts, sagt Teresa Margolles. Der Tod, Todesursache, Sterbealter, Beerdigung und die Formen des Andenkens an den Toten stehen in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zur Biografie des Verstorbenen.

Zwar gibt Teresa Margolles der Gesellschaft ihre Leichen zurück, Spuren von Leichen, von Ermordeten, Obdachlosen und Junkies, doch es ist nicht so, dass sie den Skandal sucht. Die Lehre der stillen, radikalen, berührenden Kunst von Teresa Margolles ist vielmehr: Der eigentliche Skandal ist die Welt, in der wir leben.

Bis 15. August, Katalog (Hatje Cantz Verlag) 24 €