Die Suche nach dem eigenen Gral

Schnitzeljagd für Erwachsene: In Deutschland sind 3.000 Geocacher unterwegs

Auch wenn man sie nicht sehen kann, sie sind überall, tausendfach

Michael Link klemmt den Satelliten-Empfänger an den Lenker seines Trekkingfahrrads. Bestes Cacherwetter: Ein trüber Tag, nur wenige Spaziergänger sind unterwegs. Link sagt: „Wir Geocacher suchen im Verborgenen.“ Dabei zieht er seine Mütze so tief in die Stirn, dass von seinem Gesicht nur noch der Kinnbart zu erkennen ist. Nach längerer Pause ist Link wieder auf Schatzsuche. Zum Saisonauftakt will er am Hamburger Stadtrand gleich zwei Caches heben.

Auch wenn man sie nicht sehen kann, sie sind überall, tausendfach. Allein in Hamburg sind mehr als 300 Schätze in Bäumen, Erdlöchern oder unter Brücken verborgen. Der Ablauf ist simpel: Ein Spieler versteckt irgendwo eine Plastikdose mit kleinen Schätzen und stellt die Koordinaten des Verstecks ins Internet. Ein anderer Spieler versucht mithilfe eines GPS-Satellitengeräts den Schatz zu finden. Wer ihn hebt, tauscht ein Teil aus der Box gegen etwas Mitgebrachtes aus. Und trägt Datum, Zeit und Cachernamen ins Logbuch ein. Als Beweis. Link ist den etwa 3.000 Schatzsuchern in Deutschland nur als „ksmichel“ bekannt.

Getarnt als Radfahrer fällt der 38-jährige nicht auf. Zum Aufwärmen knöpft sich Link den Schatz „Über der Bahn“ von „Bernd B“ vor. Dessen Verstecke sind bekannt für Ideenlosigkeit. Bevorzugtes Revier: Deutschlands Leitplanken. Allein die B 208 zwischen Rostock und Hamburg ist mit mehr als 50 seiner Schätze gepflastert. „Die könntest du aus dem fahrenden Auto angeln“, spottet Link. Er will den Cache trotzdem heben – für die Statistik.

Link fährt los. Das Ziel liegt im Niemandsland: nur Straßen und Felder. Auf einer Brücke schlägt sein Empfänger plötzlich Alarm. Als einziger Ort für das Versteck kommt die Randbefestigung in Frage. „Mal wieder die Leitplanke“, sagt er und greift in jede Delle. Doch der Cache ist nicht mehr da. Jemand muss ihn entfernt haben, vielleicht als Strafe für so wenig Kreativität. Trauriger Auftakt für Link.

„Es ist ärgerlich, wenn du dich umsonst auf die Suche machst“, sagt er. Das kommt zum Glück selten vor. Schatzjäger pflegen ihre Tupperdosen. „Einen eigenen Cache zu verstecken, das ist wie einen Baum pflanzen“, erklärt Link mit ernstem Gesicht. Und um den kümmert man sich auch, denn der Cache hat Feinde: Regen, Hunde und Kinder.

Als Nächstes hat Link das Versteck „Höltigbaum“ von Geocacher „Saupäcker“ auf dem Zettel. Anders als „Bernd B“ ist er für gute Verstecke bekannt. Das dichte Blätterdach stört immer wieder den Empfang. „Schön kniffelig“, schwärmt Link. Der Empfänger zeigt noch etwa drei Kilometer an. Zeit, sich die Gegend anzugucken. Link sagt: „Ich cache nicht, um meinen Jagdtrieb auszuleben.“ Erklärungen findet er viele: Natur, Abenteuerlust, Neugier.

Plötzlich fängt das Gerät an zu piepsen. „Hier muss der Cache irgendwo sein.“ Link lässt das Fahrrad und alle Zurückhaltung fallen. „Gleich haben wir ihn.“ Die Wege sind vom Regen aufgeweicht, er ist von oben bis unten mit Dreck bespritzt. Das Wichtigste ist einfach: nicht nur auf die Technik verlassen, sondern auf sich selbst. Weil der Empfänger nur eine Genauigkeit von wenigen Metern hat, beachtet Link ihn nun nicht mehr. Jetzt sind nur noch Instinkt, Konzentration und das Cacherauge gefragt: „An diesem Punkt fängt das Ganze an, surreal zu werden.“

Link kämpft sich durchs Unterholz. „Der Weg ist so ausgetreten wie eine Autobahn“, triumphiert er. Ein sicheres Indiz, dass hier irgendwo der Schatz sein muss. Er nimmt die Brille ab, putzt sie mit seinem Pullover und setzt sie wieder auf. Gründlich verfolgt er alle Spuren. Erst lässt Link seinen Blick schweifen, dann reckt er seine Nase in die Luft, als wittere er den Cache. Link nimmt die Fährte auf. „Du wirst zum Instinktwesen.“

Und da: „Der hohe Blätterberg dort drüben, das kommt in der Natur so nicht vor.“ Mit seinen Fingern wühlt er sich durch Äste, Zweige und Blätter, schaufelt ein Loch und zieht eine große, beschriftete Tupperdose hervor. Link strahlt. Die Beute ist gesichert. Für den Inhalt interessiert er sich weniger. Allerdings vollzieht er das Tauschritual: Link holt eine Klassik-CD aus seinem Rucksack und wechselt sie gegen eine Zeckenzange aus. Wichtiger ist ihm, sich in das Logbuch einzutragen. Damit die anderen sehen, dass er hier war. Als Link seine Marke gesetzt hat, verwischt er alle Spuren. Auf die Knie gebeugt vergräbt er die Schatztruhe wieder tief in dem Erdloch, schaufelt es zu und legt Sträucher und Blätter drüber.

Als Link wieder hochkommt, ist sämtliche Spannung von seinem Gesicht gewichen. Fürs Erste. Denn die Suche geht weiter, nach dem einen, dem besonderen, dem Königscache. „Einer, an dem schon viele vor mir gescheitert sind“, sagt er.

Egal, wie gut der Schatz versteckt ist, der Jäger wird ihn finden. Dann geht er – voller Zuversicht. Irgendwo da draußen wartet er auf Link – sein Gral. Unter Blättern verborgen womöglich, in einem Erdloch vielleicht.

MARION PRETTIN