„Flick ist ungerecht angegriffen worden. Man soll aufhören mit der Sippenhaft“

Kunstsammler Heinz Berggruen (90) im taz-Gespräch über Frida Kahlo, den Streit um die Flick-Sammlung und seine Liebe zu Bildern: „Die meckern nicht“

VON PHILIPP GESSLER
UND ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Berggruen, da hinten im Eck, auf dem Boden neben dem Sofa, das ist kein Picasso, oder?

Heinz Berggruen: Nein, das ist ein Klee.

Der steht da so rum?

Es ist kein sehr guter.

Haben Sie – außer der ausgestellten Sammlung – viele Kunstwerke in Ihrer Privatwohnung?

Ja.

Was sind das für Bilder? Solche, die Ihnen – mehr als der Klee – am Herzen liegen?

Es sind die Bilder, zu denen es eine sehr persönliche Beziehung gibt – eine Beziehung zwischen mir und den Gemälden.

Gibt es ein Bild von Frida Kahlo, das Sie besitzen?

Ich wünschte, es gäbe eines.

Warum lachen Sie?

Weil die Frage nach Frida immer kommt. Aber als ich sie kannte, war ich ein junger Mensch. Frida war eine schöne Jugendsünde.

Eine Sünde?

Naja, ich war so besessen von ihr, dass ich meine Familie verlassen habe – aber nur ganz kurz, denn ich bin reumütig zurückgekehrt. Frida Kahlo war eine großartige Person. Sie war wunderschön. In wenigen Tagen hat sie ihren 50. Todestag.

Haben Sie die Rückkehr zu Ihrer Familie bereut?

Überhaupt nicht. Das gehört zu den ganz großen Erfahrungen meines Lebens: Frida, Pablo – und natürlich meine Frau.

Es war eine Amour fou?

Ja, das war es.

Ist Kunst kaufen, damit handeln und sammeln ein kreativer Prozess? Man muss Künstler kennen lernen, über Geld reden, einen Käufer finden.

Das ist eine Vermittlertätigkeit, ein Bindestrich zwischen Künstler und Sammler. Die französische Ausgabe meiner Memoiren trägt, übersetzt, den Titel: „Ich war mein bester Kunde“. Das ist der Fall. Die schönsten Bilder habe ich für mich behalten.

Sehen Sie sich eigentlich auch satt an Bildern – dass Sie manche nach einiger Zeit nicht mehr anschauen mögen?

Ich finde sie alle immer noch schön. Sie werden immer schöner. Sie blühen.

Was meinen Sie damit?

Sie werden immer reicher, und sie bedeuten immer mehr. Sonst würde ich mich von ihnen trennen. Die Bilder meiner Sammlung sind wie meine Kinder. Meine Familie. Meine WG, meine Wohngemeinschaft.

Eine WG kann auch nerven.

Meine Bilder meckern aber nicht.

Wenn man Ihr Leben anschaut, denkt man sich, dass dies doch eigentlich ein perfektes Leben ist: ein schöner Beruf, sich mit schönen Dingen beschäftigen, viel Geld verdienen, am Ende viel Ehre erhalten …

… viel Ehre, viele Orden.

Was hat denn nicht gepasst in diesem Leben?

(überlegt) Am Anfang hat es ein bisschen gehapert. Ich bin ja nicht freiwillig aus Deutschland weggegangen. Ich wollte ja ganz was anderes machen, nämlich das, was Sie machen: Journalismus.

Ihre alten Texte sind jetzt auch im Berliner Transit-Verlag erschienen.

Das mit dem Journalismus aber hat nicht geklappt, da ich in einen anderen Sprach- und Kulturkreis kam. Bei Musikern und Malern ist das einfacher, denn beides sind internationale Sprachen.

Haben Sie sehr damit gehadert, dass es anders kam, als Sie wollten?

Ja, ich war verzweifelt. Ich sehnte mich nach Europa, nicht nach Nazi-Deutschland. Europa fehlte mir sehr in Amerika. Ich war verloren da. Viele Emigranten haben es geschafft, sich wunderbar zu assimilieren und sehr erfolgreich zu sein. Henry Kissinger aus Fürth oder W. Michael Blumenthal aus Berlin. Das ist mir nicht gelungen. Frida war da für mich wichtig, obwohl sie weiß Gott keine Europäerin war. Ihr Vater war ein deutscher Jude, aber sie sprach kein Wort Deutsch. Ihre Mutter war eine Indianerin. Das war eine wunderbare Mischung. Und für mich war sie in einer seltsamen Form Europa. Ein Stück Heimat.

Deutschland war Ihnen nach dem Krieg nicht mehr Heimat, als Sie zurückkamen?

Die Heimat habe ich mit mir herumgetragen, die 20, 22 Jahre, die ich hier gelebt habe in der Konstanzer Straße in Berlin. Diese Heimat ist nie aus mir rausgegangen. Das waren die entscheidenden Jahre, diese wunderbaren Zwanzigerjahre. Es gab Brecht, Marlene Dietrich, Alfred Döblin – das alles ist tief verankert in mir. Aber, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich kann mich nicht beklagen. Wenn ich morgen abhaue, würde ich sagen: Es ging eher gut. Aber alles ist sehr vergänglich.

Was kann noch kommen?

Jetzt kommt nicht mehr viel.

Sie haben sich bei der Dankesrede zur Verleihung der Berliner Ehrenbürgerschaft sehr stark für Flick gemacht …

… Ja, das wollte ich.

Warum exponieren Sie sich so sehr in dieser Frage?

Ich tue das aus zwei Gründen. Zum einen hat Berlin nicht die Mittel, eine Sammlung zeitgenössischer Kunst aufzubauen. Aber die zeitgenössische Kunst spielt eine große Rolle heute, und da kommt dann einer – er heißt Friedrich Christian Flick – und sagt: „Ich finanziere diese Sache.“ Das hat er vorgeschlagen, und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat das mit Freude akzeptiert, weil das eine sehr ernste Sammlung ist, eine Sammlung, die Flick in jahrelanger Arbeit aufgebaut hat. Für diese wertvolle Sammlung habe ich mich stark gemacht, auch weil so etwas in die deutsche Hauptstadt gehört. Zum anderen ist Flick so scharf und ungerecht in einer Weise angegriffen worden, die ich weder akzeptieren noch verstehen kann. Den Moment der Ehrenbürgerschaft habe ich ganz bewusst genutzt, um meine Meinung dazu zu sagen …

gegen die Flick-Kritiker?

Mein Argument war, man soll aufhören mit so törichten Sachen wie Sippenhaft. Was kann einer dafür, dass sein Großvater Verbrechen begangen hat. Er kann überhaupt nichts dafür.

Der Vorwurf zielt doch nicht auf Flick, den Enkel des Nazi-Rüstungsfabrikanten, sondern darauf, dass er mit ererbtem, schmutzigem „Blutgeld“ sich Kunst zugelegt hat.

Er hat das Geld geerbt. Und er hat es für einen guten Zweck ausgegeben. Er hat es in die moderne Kunst gesteckt. Soll man ihm daraus einen Vorwurf machen? Die Idee der Sippenhaft macht mich krank. Dass so ein Nazi-Ausdruck, so eine Nazi-Vorstellung auf Flick übertragen wird, das geht einfach nicht. „Das Reinwaschen von Blutgeld“, wenn ich das schon höre! Immerhin sagt doch Flick, dass sein Großvater ein Verbrecher war. Er distanziert sich doch.

Nicht unbedingt. Es gibt den Vorschlag, die Flick-Sammlung mit einer Begleitausstellung zu zeigen, die die Geschichte der Familie thematisiert. Dagegen wehrt sich Flick.

Das eine hat doch mit dem anderen gar nichts zu tun. Wenn man das täte, würde ständig die Frage offen bleiben, über die wir hier sprechen. Das Schwergewicht würde verlagert – von der Sammlung zur Dokumentation. Das kann nicht der Sinn der Ausstellung sein.

Aber Kunst ist nicht autonom. Und der Name Flick ist besetzt, nicht neutral, er hat eine Geschichte. Warum plädieren Sie dann für einen radikalen Schnitt?

Das stimmt zwar, aber für mich geht es um die Sammlung, nicht um den Namen. Der Flick, den ich kenne, ist jemand, den ich sehr respektiere und verteidige.

Aber sein Argument dafür, dass er diese Sammlung hier in Berlin zeigt, ist auch, dass er der dunklen Familiengeschichte eine helle, neue Seite hinzufügen möchte. Das hat schon was von Reinwaschen.

Das ist nicht die Absicht der Sammlung. Absicht ist, Tendenzen der zeitgenössischen Kunst zu zeigen. Dass er gleichzeitig dem Namen, den er geerbt hat, ein wenig helle Farben gibt, das ist schon so. Aber ist das so schlimm? Er hätte das vielleicht anonym machen sollen. Dafür ist es jetzt zu spät.

Es gibt auch die Vermutung, dass Flick die Leihgabe benutzt, um eine Wertsteigerung für die Bilder zu erzielen.

Das interessiert ihn gar nicht. Die Ausstellung wertet die Werke nicht auf. Flick könnte tun, was ich getan habe, nämlich nach sieben Jahren die Sammlung moderner Kunst Berlin ganz zu geben. Dann wäre Flick ein großzügiger Mensch. Ich bin guten Mutes, dass er ein Mensch ist, auf den man stolz sein kann. Ich weiß, das ist ein heißes Eisen.

Warum haben Sie bei dem Festakt zur Ehrenbürgerschaft geweint? Warum hat Sie das so bewegt, Berlin hat Sie schlecht behandelt.

Ach, man kann nicht einmal sagen, Berlin hat mich schlecht behandelt. Sie haben mich rausgeworfen, rausgeschmissen, gaaanz lieb.

Das ist doch nicht anrührend.

Anrührend ist: Ich bin einmal über die Hintertreppe raus – und jetzt vorne auf dem roten Teppich rein. Das ist halt verrückt, dass das in einem Leben passieren kann, da vergießt man dann schon ein paar Tränen. Ich kannte Berlin als junger Mensch als liberal, aufgeschlossen, faszinierend. Das zog an mir im Rathaus vorbei.

Zum Schluss: Welches Bild der Sammlung mögen Sie am meisten?

„Der Gelbe Pullover“ von Picasso. Ich zeige es Ihnen. Gehen wir runter zur Ausstellung.