Die drei S am Himmel über Hamburg

Die Hamburger Schule meldet sich zurück: Stella, Sterne und Superpunk haben neue Platten gemacht. Über die Nachfolger im Popdiskurs – wie die Sportfreunde Stiller oder Wir sind Helden – sind sie nicht glücklich, die Strategien gegen deren „neue Rechtschaffenheit“ (Thies Mynther) variieren jedoch

„Nicht zu resignieren ist politisch“

VON THOMAS WINKLER

Wenn Musik aus Hamburg das Thema sein soll, was liegt da näher, als eine Stellungnahme beim natürlichen Feind einzuholen. Doch auch dort nur Begeisterung. Es war eine Berliner Band, die einst sehnsuchtsvoll das Tor zur Welt besang als „altes Hamburg, unsere Schatzstadt“. Links vorbei am Kamener Kreuz ging es im Nieselregen gen Norden. Sie meinten es ernst, die Lassie Singers. Am liebsten wären sie umgezogen.

Das war 1992, und es wurde noch besser: Hamburg wurde eingeschult und im Rest der Republik zum Sehnsuchtsort, den sich nicht nur die Lassie Singers erreimten. Es war eine glorreiche Zeit in den Mittneunzigern. Es war einmal: Die Aufbruchstimmung ist Vergangenheit, die großen Plattenfirmen haben sich mit Subventionen in die Hauptstadt locken lassen, bei den Indies finden sich mittlerweile ähnlich verkrustete Strukturen. „Da haben Einzelne Schaltstellen besetzt und geben vor, was zu laufen hat“, sagt einer, der früher mittendrin war und jetzt nicht namentlich genannt werden will, „die Hamburger Schule ist zu einer Marke geworden – im schlechtesten Sinne“.

Zwölf Jahre, also gut zweieinhalb Popgenerationen später, ist also alles anders in Hamburg. Und doch alles beim Alten. Die Sterne haben ein neues Album gemacht. Und Stella. Und Superpunk auch. Die Altgedienten sind zurück in Klassenstärke. Und sich in der Diagnose weitgehend einig. „Popmusik wird zum Teil sehr oberflächlich gehört“, sagen Die Sterne. „Politik in einem Popsong, das bleibt immer an der Oberfläche“, meinen Superpunk. Und bei Stella hat man studiert, da heißt das: „Popmusik hat ein unbewusstes Moment, in anderen Zusammenhängen muss man viel exakter sprechen.“

Weitgehend einig ist man sich auch, dass die Nachfolger, die mittlerweile hierzulande den Popdiskurs bestimmen, der eigenen Generation kaum den Griffel reichen kann und die mühsam errichteten Standards verwässern. Was wahr ist: Bands wie Wir sind Helden, Mia, die Sportfreunde Stiller, Kettcar oder Tomte wären kaum denkbar ohne die Errungenschaften der Hamburger Schule. So verschieden sie musikalisch und inhaltlich sein mögen, diese Bands eint, dass sie sich mit der Freiheit zufrieden geben können, unbelastet mit der deutschen Sprache umgehen zu dürfen, ohne sich jedes Mal erklären zu müssen. Der Großteil dieser Bands mag sich politisch verstehen, aber will nicht immer gleich eine Grundsatzdiskussion führen, ob diese Ballade oder jenes Liebeslied vertretbar sind.

Manchem aus der altem Combo gefällt das gar nicht. „Die Konsumkritik von Wir sind Helden, die ist mir zu plump“, sagt Carsten Friedrichs von Superpunk. „Wir sind Helden sind schrecklich erfolgreich“, sagt Frank Spilker von Die Sterne. Thies Mynther, der bei Stella und Superpunk spielt, subsumiert den Nachwuchs unter „Neue Rechtschaffenheit“ und sieht Wir sind Helden als „sozialdemokratische Musik von sozialdemokratischen Menschen“. Die Kritik fokussiert sich auf Wir sind Helden als Millionen umsetzendes und in den Medien dauerpräsentes Aushängeschild, aber auch die Sportfreunde Stiller findet man bei Stella „ganz schlimm“, und gemeint ist dann doch der gesamte aktuelle deutschsprachige Pop. Noch einmal Spilker: „Es gibt momentan sehr viel erfolgreiche deutschsprachige Musik, aber da fehlt auch was. Es fehlt eine Stimme, die deutlich politisch ist – so wie Stella oder Superpunk.“

So einig man sich in der Analyse ist, die Schlüsse, die unsere alten Hamburger Helden aus dem Erfolg der Jungen und der Oberflächenstruktur des Pop ziehen, die variieren doch erheblich. Die Sterne haben ihr erstes ausdrücklich politisches Album herausgebracht, Superpunk aus denselben Gründen eindeutige politische Aussagen bewusst vermieden, und Stella diskutieren das, wie man es von ihnen gewohnt ist, intern immer noch aus.

Hörte man „Better Days Sounds Great“, Stellas drittes Album, tatsächlich mal so, wie man Popmusik, das haben wir ja jetzt gelernt, nicht hören sollte, oberflächlich nämlich, dann könnte man leicht denken, da hat jemand doch noch mitgekriegt, dass die Achtziger momentan wieder angesagt sind. Die Melodien sind euphorisch: New Wave fürs neue Jahrtausend. Dass um sie herum einige dieselbe Volte schlagen und die Eighties als goldenes Popzeitalter wieder entdecken, ficht Stella nicht an, schließlich klangen sie schon immer so. Tatsächlich hat man im Vergleich zu früheren Alben die typischen Signatursounds wie die piepsigen Synthies deutlich zurückgefahren. Außerdem sind wir ja nicht oberflächlich, und auf der Couch in dem kleinen Café im Prenzlauer Berg sitzt Elena Lange, uns den Kopf gerade zu rücken: „Mich interessieren Ideologien“, sagt die Sängerin und Texterin, „auch wenn man ein Liebeslied schreibt, denn auch in einer Mann-Frau-Beziehung geht es um Ideologie. Ich habe ja versucht, Liebeslieder zu schreiben, aber immer kommen da Kriegslieder raus.“

Ein paar Minuten später kann dann aber auch Schlagzeuger Mense Reents sagen, dass es „so ein im Vordergrund stehendes Thema“ diesmal nicht gibt. Oder Keyboarder Thys Mynther, dass Stella allein „ein ästhetisches Statement“ sind. Dann fällt man sich gegenseitig noch ein wenig ins Wort, streitet ein bisschen, beseitigt alle Klarheiten und posiert auf dem Cover als Salonbolschewist mit Kandelaber und Granatapfel. Tatsächlich reaktivieren Stella mit „Better Days Sounds Great“ die Idee, dass ein ausgeprägtes Stilbewusstsein wie von selbst die richtige politische Haltung nach sich zieht. Eine Idee, die Heaven 17 oder Spandau Ballet mit Labour-Mitgliedskarte in die Charts führte, eine Idee aus den Achtzigerjahren. Pop als Außenseitermusik, als Refugium der Freaks und glamouröser Fluchtpunkt für alle, die anders sein wollen. Dass sie zudem die Einzigen sind, die all ihre Ziele ausgerechnet mit englischen Texten erreichen wollen, gehört zum stilvollen Spiel mit Codes und Diskursen, Querverweisen und Zitaten.

„Ideologien interessieren mich“

Für solche, hübsch um die Ecke gedachte Strategien hatte Frank Spilker früher auch was übrig. Nun aber hat sich der Sänger, Texter und Gitarrist von Die Sterne entschlossen, mal unmissverständlich zu werden. „Das Bedürfnis, etwas so Konkretes zu machen, dass niemand mehr daran vorbeikann“, sei der wichtigste Anstoß gewesen für das siebte Sterne-Album „Das Weltall ist zu weit“. Noch nie haben die spröden Gitarren der Sterne so gerockt, Schweinerock-Solo inklusive, noch nie waren sie so kämpferisch. „Was ist denn nun mit meiner Generation?“, fragt Spilker, stellt fest, „mir und den anderen reicht es schon längst“, und warnt: „Hier geht’s nicht um Inhalt, hier geht’s um uns / Nehmt dies als Warnung und nicht als Kunst.“ In „Vom Fleck“ schließlich versammelt sich ein All-Star-Chor von Fettes Brot bis zu Tomte, von Wir sind Helden bis Aeronauten zur musikalischen Sitzblockade. Für Spilker, mittlerweile Vater, ging es darum, nachdem er „die Verteilungskämpfe um einen herum“ wahrgenommen hatte, „vom Ich zum Wir zu kommen“. Auf die sich verändernden bundesrepublikanischen Realitäten reagieren Die Sterne mit dem „Wiederbeleben eines durchaus romantischen revolutionären Gefühls“.

Superpunk dagegen gehen den exakt entgegengesetzten Weg. Hatte Sänger Carsten Friedrichs früher noch Parolen und Slogans geschrieben, gegen den Fabrikanten und die Gesundheitsreform gewettert, glaubt er auf „Einmal Superpunk, bitte“, dass politische Themen zu komplex sind, um sie in einem dreiminütigen Popsong zu verarbeiten. „Andere können das vielleicht“, sagt Friedrichs, „ich habe mir das nicht mehr zugetraut.“ Tapfer studiert er zu Hause im Kämmerlein die grundlegenden Schriften, aber bis er Marx wirklich verstanden hat, ist kein Superpunksong zum Mehrwert zu erwarten. Dafür aber die aufbauendste, optimistischste Musik seit langem. Sixties-Soul, wie er in den Sixties nie gespielt wurde, mit einem Backbeat, der nach einem langen Tag am Fließband in die Beine fährt, und Texten, die nach einem langen Tag am Schreibtisch die Gehirnwindungen von allem unnötigen Ballast befreien, weil sie menschliche Grundstimmungen in möglichst einfache Worte fassen, die man jederzeit verstehen kann, ohne ein Kompendium mit popkulturellen Zitaten heranziehen zu müssen.

Entstanden sind Superpunk dereinst zwar als Hamburger All-Star-Band, aber ideologisch entzog man sich, wenn auch unbewusst, als ursprünglich reines Spaßprojekt von vornherein allen Zuordnungen. „Ich bin nun mal kein Intellektueller“, sagt Friedrichs, aber dafür einer, unter dessen Leitung seine Band aus „Versatzstücken von 1960 bis, ich sag mal, 1967“ mittlerweile etwas geschaffen hat, für das die Bezeichnung deutschsprachiger Sixties-Soul entschieden zu kurz greift. Es gibt, stellt Bassist Tim Jürgens ganz richtig fest, „keine klassische Soulband, die so klingt wie wir“. Das liegt am Punkeinfluss und Mod-Bewusstsein, vor allem aber daran, dass jeder Song den Geist euphorischer Motown-Singles atmet, die verschwenderische Fülle einer Stax-Produktion beschwört und schließlich nicht zuletzt das Gefühl vermittelt, bei einem Northern-Soul-Allnighter bis ins Morgengrauen hinein zu tanzen. Wenn die Sonne am Horizont erscheint, die Adrenalinvorräte langsam aufgebraucht scheinen, dann muss man nur einmal „Ich weigere mich, aufzugeben“, den Eröffnungssong von „Einmal Superpunk, bitte“, hören und mitsummen und schließlich spätestens beim zweiten Refrain mitgröhlen, um weitertanzen und weitermachen und weiterkämpfen zu können. „Für mich ist Soulmusik, trotz der Schmerzen des alltäglichen Lebens immer weiter das Glück zu suchen“, sagt Friedrichs, „nicht zu resignieren, das ist dann doch auch wieder politisch. Ich habe das früher abgelehnt, aber mittlerweile bin ich nach reiflicher Überlegung zu dem Schluss gekommen, dass das Private doch auch politisch ist.“

So rum ergibt es wohl tatsächlich mehr Sinn. So rum ist Superpunk vielleicht nicht unbedingt die beste Platte unseres Triumvirats gelungen, nicht die schlauste, nicht die musikalisch durchdachteste, aber garantiert exakt die richtige Platte zur richtigen Zeit.

Stella: „Better Days Sounds Great“ (L’Age d’Or/RTD)Die Sterne: „Das Weltall ist zu weit“ (V2)Superpunk: „Einmal Superpunk, bitte!“ (L’Age d’Or/RTD)Superpunk live: 8. 7. Frankfurt/Main Uni-Sommerfest, 30. 7. Mainz, 31. 7. Marburg