Skandinavien auf dem Holzweg

Finnland holzt Altwälder ab, Schweden schlägt mehr Holz als nachwächst. Holzkonjunktur drängt Umweltschutz zurück

STOCKHOLM taz ■ In den Wäldern Skandinaviens wird im Moment so viel Holz geschlagen wie selten zuvor – und mehr als nachwachsen kann. Denn Holz hat Hochkonjunktur. Sägewerke, Papierindustrie und Energiewirtschaft brauchen immer mehr Futter. Seit Jahren steigen die Importe aus Russland und den baltischen Staaten, doch das reicht nicht aus. 85 Millionen Kubikmeter wurden im vergangenen Jahr in Schweden abgeholzt – 30 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Im laufenden Jahr wird eine neue Rekordmarke erwartet. Und im dritten Jahr hintereinander wird deutlich mehr gefällt als jährlich nachwachsen könnte. In Finnland sieht es ähnlich aus. Und in Norwegen sind in den vergangenen siebzig Jahren 80 Prozent der nördlichen Regenwälder gefällt worden. Übrig sind nur noch 2.000 Hektar.

Auf die finnischen Kahlschläge haben sich seit einigen Monaten die internationalen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace und WWF eingeschossen. Und das auch, weil das Land als „sensibel“ eingeschätzt wird. Mit einem Anteil von 30 Prozent am Exportwert hat man die am stärksten vom Wald abhängige Volkswirtschaft der Welt. Entprechend anfällig ist das Land für Boykottaufrufe etwa der britischen Erfolgsautorin J. K. Rowlings, die ihr nächstes „Harry Potter“-Buch auf keinen Fall auf finnischem Papier gedruckt sehen will – weil dieses Holz dazu beitrage, „dass die letzten Altwälder verschwinden“.

Von den einst weithin unberührten Urwäldern in Nordostfinnland sind mittlerweile nur noch knapp 10.000 Quadratkilometer – etwa die Waldfläche Hessens – übrig geblieben. Von denen hat die Regierung aber nur die Hälfte unter Naturschutz gestellt, obwohl viele BiologInnen dafür plädieren, dieses letzte zusammenhängende Urwaldgebiet Skandinaviens völlig aus der Bewirtschaftung herauszunehmen. Nur so könne das Überleben von etwa 500 Tier-, vor allem aber Pflanzenarten gesichert werden. Umweltschützer werfen den finnischen Papierkonzernen Stora Enso, UPM Kymmene und M-Real vor, Holz aus nicht geschützten Urwäldern zu verarbeiten.

Finnlands Regierung will dagegen das Forstgewerbe und die Arbeitsplätze nicht durch Naturschutz gefährden. Sie argumentiert mit Zahlen: Für über 10 Prozent der Waldfläche gebe es forstwirtschaftliche Einschränkungen, mehr als 3,5 Prozent seien streng geschützt – mehr als in jedem anderen europäischen Land. Doch davon lässt sich nicht einmal die EU-Kommission überzeugen, die Helsinki eine letzte Frist bis zum Herbst einräumte, die europaweit einmaligen Flugeichhörnchen zu schützen. Dafür müssten weite Waldgebiete geschützt und Eigentümer entschädigt werden.

Seit vor zehn Jahren die Forstwirtschaft in Skandinavien zum Thema der internationalen Umweltschutzbewegung wurde, unterwirft sich die Holzwirtschaft dem internationalen Waldzertifikationssystem FSC („forest stewardship council“) – in Finnland allerdings nur einer abgespeckten Form, dem nationalen FFCS-System. Doch teilweise werden mit dem Siegel auch Holz- und Papierprodukte von Unternehmen ausgezeichnet, die aktuell am Pranger stehen. Umweltschützer wollen daher jetzt die Kriterien für die Vergabe der Zertifikate überprüfen.

REINHARD WOLFF