Die alte Stute reitet noch

Ein gelungener Kinderscherz: In der Berliner Volksbühne kam „Mendy – das Wusical“ zur Aufführung. Das Stück des abwesenden Multitalents Helge Schneider wurde vom Publikum unbeschwert gefeiert

VON DETLEF KUHLBRODT

Helge Schneider ist sehr aktiv in diesem Jahr. Im Frühjahr gab’s den schönen, autobiografischen Film „Der späte Vogel fängt den Wurm“, der von den Leiden eines Jazzmusikers handelt. Dann war er im April auf Lesereise mit seinem neuen Buch „Aprikose, Banane, Erdbeer – Kommissar Schneider und die Satanskralle von Singapur“, wurde in Bonn für sein Lebenswerk geehrt, von der Gilde deutscher Kriminalschriftsteller in deren Verein aufgenommen, trat während der EM bei Viva-Plus als Fussballexperte auf (die kleinen Clips, in denen Helge alles Notwendige zu den Themen Dribbling, Trainer, Torwartparaden und rote Karte sagt, kann man sich im Internet angucken). Seine Tournee „Füttern verboten“ ist grade angelaufen,, und am Mittwoch war dann auch die Helge-Schneider-Produktion „Mendy – das Wusical“ in der Berliner Volksbühne zu Gast.

Das Stück war schon im April letzten Jahres im Schauspielhaus Bochum uraufgeführt worden und ist Teil eines Austauschs: Während sich das Berliner Publikum so unbeschwert wie selten über und bei „Mendy“ amüsierte, gastierte die Volksbühne in Bochum mit Frank Castorfs leicht hysterischer Adaption des Zwanzigerjahreromans „Kokain“. Castorfs Inszenierung ist überladen, teuer und effekthascherisch; Helge Schneiders „Mendy“, ein Kinderscherz wie „schankedön“, imponiert mit Understatement.

„Wendy“ ist die fingergroße, stets eifersüchtige Freundin Peter Pans und auch der Titel einer Zeitschrift für junge Pferdefreundinnen; „Mendy“ dagegen erzählt von einem jungen Mädchen (Julia Bräuning), das zu Haus wohnt, sich gerne mit seiner Mutter (Martina Eitner-Acheampong) streitet, weil das Zimmer mit den vielen Stofftieren immer unaufgeräumt ist, und am liebsten mit ihrem Pferdchen Mocca (André Meyer) durch die Gegend reitet. Vater (Bernd Rademacher) ist an den Rollstuhl gefesselt, nachdem er von Mocca mal abgeworfen wurde, und fährt gerne im Papp-Porsche.

Ein dünner Knecht (Martin Horn) ist auch dabei, der immer vergisst, sich die Stiefel auszuziehen, wenn er ins Haus kommt, und der Mutter zur Befriedigung dient. „Er wird plötzlich mit dem Beil aus Versehen getroffen. Nachher wollen sie die Müllsäcke mit ihm vor der Polizei verheimlichen. Dann will der Vater das Pferd seiner Tochter an den Schlachter verkaufen. Das gibt Geld für neue Reifen! Das Kind lässt sich aber eintauschen. Als der Schlachthof brennt, hauen alle ab, nur der Vater, der seine Frau vorher überfahren hat, hat Pech. Happy End.“ So knapp fasst Schneider sein Stück in Schreibschrift zusammen.

Die Bühne (Volker Hintermeier) ist angenehm überschaubar: ein Hausinneres mit Wohnzimmer, Küche und Mädchenzimmer, das aus durcheinander liegenden Stofftieren und Radio-CD-Player besteht. Am Rande sitzen drei Musiker, die auf Flügel, Saxophon, Querflöte und Percussion zitatenreiche Musik zwischen Jazz, Oper und Operette spielen. Nach einer Weile fällt es einem gar nicht mehr auf, dass die tollen Schauspieler die meiste Zeit singen. Im Spiel betonen sie ihre körperlichen Unzulänglichkeiten, also Normalitäten, zwischen Korpulenz, wie die Muttter, und Zu-dünn-Sein wie der Knecht.

Die Dialoge sind großartig absurd und gleichzeitig berührend: „Ich glaube sogar, ich könnte mit dir glücklich werden, ohne dass wir uns jemals begegnet wären“, sagt das Pferd zu Mendy. Die Mittel sind einfach, aber sehr effektiv; unglaublich komisch, wenn die Menschen als mehr oder weniger nervöse Pferde so durch die Gegend galoppieren und wiehern oder mit dem bösen Beil Getroffene auf rote Bällchen drücken, damit das Blut schön spritzt.

Irgendwann bringen die Schauspieler das Publikum sogar dazu, den Satz: „Die alte Stute wird zum letzten Mal besamt“, lauthals und getrennt nach Männern und Frauen mitzusingen, wobei die Männer nur „Ja, ja“ singen. Klingt alles etwas durcheinander und seltsam, war aber wirklich schön. Die Pointe wird nicht verraten.

Derart unbeschwert wurde in der Volksbühne selten ein Stück gefeiert, und am Ende warfen die Schauspieler kleine Stoffkuschelpferdchen ins Publikum. Das Ganze gibt’s auch auf CD – vom in der Volksbühne leider abwesenden Helge Schneider in allen Rollen gesprochen.