Mein Haus ist dein Haus, aber dein Haus nicht meins

Die Love Parade in Berlin fällt an diesem Wochenende einfach aus. Ihr vorläufiges Ende steht für das Scheitern eines Geschäftsmodells – nicht für das Ende einer Jugendkultur

Was ist der Love Parade im Laufe der Jahre nicht schon angedichtet worden: Jede These und ihr Gegenteil wurden mit Bildern von Tiergarten-Ravern illustriert. Dem neuen, flexiblen Individuum sollte sie eine Bühne geben, der „ravenden Gesellschaft“ Ausdruck sein, das neue Berlin und damit das neue Deutschland repräsentieren. Aber auch wenn es anders aussehen mag, das vorläufige Ende der Love Parade ist kein Symbol: Weder für das Ende der ominösen Spaßgesellschaft noch für das von Techno – einer Musik, die gegenwärtig blüht und gedeiht wie seit, nun ja, letztem Jahr nicht mehr, und die sich mit einer Hymne wie „Rocker“ von Alter Ego gerade durch ihren vierten oder fünften Frühling holzt.

Das vorläufige Ende der Love Parade steht auch nicht für das Ende der kulturellen Praxis Straßenparade – in anderen Städten funktionieren ähnliche Veranstaltungen nach wie vor prima. Und in Berlin zieht sowohl der Karneval der Kulturen als auch der 1. Mai, der CSD wie die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration die Menschen nach wie vor zu vielen zehntausenden auf die Straße, um die Attraktivität ihres mit Forderungen verbunden Lebensentwurfs in Szene zu setzen.

Das vorläufige Ende der Love Parade steht für nichts als für sich selbst: das Ende der Love Parade eben. Und das ist die Geschichte eines auf ganzer Linie gescheiterten Geschäftsmodells. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Damit ist es natürlich eine Berlingeschichte, aber eben nur in jenen Grenzen, die ähnliche Geschichten dem Berliner Haushalt inzwischen auferlegen. Denn in ihrer Hybris, die sie mit den anderen Raubrittern teilten, die sich im Berlin der Neunzigerjahre zwischen Weltstadtwahn und Westberliner Filz bereicherten, gingen auch die Veranstalter der Love Parade davon aus, dass alles immer so weitergehen könne, und also auch so weitergehen müsse. Und so lange sich die Teilnehmerzahlen der Love Parade von Jahr zu Jahr verdoppelten, schien die Wirklichkeit diesen Geschäft gewordenen Träumen ja auch recht zu geben. Doch von dem ersten Augenblick der Stagnation an, das war 1998, hätte eigentlich klar sein müssen, dass es so eben nicht weitergeht.

Doch anstatt sich zu überlegen, wie man einer Parade mit rund einer Million Teilnehmern eine langfristige Perspektive geben könnte und mit in Rechnung zu stellen, dass nicht nur die Teilnehmerzahl eine gewisse Sättigung erreicht, sondern auch die elektronische Musik sich auf einem hohen Niveau konsolidiert hatte und in eine Phase der Ausdifferenzierung eingetreten war, blieb dieses Umdenken aus.

Was wäre zu diesem Zeitpunkt noch alles möglich gewesen: Die Entfremdung der Szene von der Parade hätte durch eine mutwillige Verkleinerung der Veranstaltung noch aufgefangen werden können. Der ganze Ärger mit den Anwohnern über die Tiergartenverheerungen hätte eingegrenzt werden können, wäre man vom think big abgekommen, das sich ohnehin überlebt hatte, da abzusehen war, dass die Teilnehmerzahlen von nun an nicht mehr wachsen würden. Langfristig hätte man wahrscheinlich sogar einige Sponsoren halten können, hat es sich doch mittlerweile sogar bis in die Geldvergabe-Etagen der zuständigen Agenturen durchgesprochen, dass sich mit Glaubwürdigkeit besser werben lässt als mit schierer Masse.

In der Art aber, wie die Veranstalter versuchten, ihr eigenes Versagen durch ständigen Verweis auf andere zu vertuschen, die Anwohner, den Senat, kurz den Standort Berlin, unterschieden sie sich in nichts von anderen hauptstädtischen Hasardeuren. Die Love-Parade-Macher hielten lediglich länger durch. Dass der Senat den Erpressungsversuchen der Veranstalter dieses Jahr nicht mehr nachgab, verwundert nur vor dieser langen Erfolgsgeschichte des Durchmogelns.

Wenn sich heute Nachmittag unter dem Motto „Fight The Power: Clubculture vs. Ignorance“ zur kurzfristig organisierten und nicht wirklich beworbenen Ersatzparade wieder auf jenem Ku’damm versammelt werden wird, auf dem alles begann, besteht zumindest Anlass zu der Hoffnung, dass es wieder ein ähnlich schönes Durcheinander geben wird, wie in den ersten Jahren der Parade. Niemand weiß, was diese Veranstaltung eigentlich soll, es ist unklar, wie viele Menschen kommen werden und trotz der Auflage, dass die Hälfte der Beschallung aus Wortbeiträgen bestehen soll, ist genauso unklar, was eigentlich passieren wird.

Das dürften die besten Voraussetzungen für einen interessanten Nachmittag sein. Denn das Moment der Unvorhersehbarkeit, jene fließenden Übergänge zwischen Bauwagen, Telefonzellen, Partytrucks, der Straße, der Einkaufspassage, Bürgersteig und Baugerüsten, das die ersten Love Parades so besonders machte, entstanden ja genau so: ungeplant, anarchisch und ohne Gewinninteresse an den Vorschriften vorbei. TOBIAS RAPP