Die Halsabschneider von Bagdad

Islamistische Geiselnehmer schockieren die Welt, indem sie ihre Opfer enthaupten, und berufen sich dabei auf den Propheten. Eine Kulturgeschichte der Enthauptung – unter besonderer Berücksichtigung der islamischen Tradition und ihrer neuen Adepten

Terrorgruppen von Kaschmir bis Algier verbreiten Schrecken durch Selbstjustiz

VON ROBERT MISIK

Als er 1998 erstmals in aller Öffentlichkeit seiner ungewöhnlichen Profession nachzugehen hatte, plagte Muhammad Saad al-Beschi ein arges Lampenfieber. Aber als er dann den Todeskandidaten vor sich hatte, die Augen verbunden, die Hände gefesselt, war die Nervosität rasch verflogen. Mit einem schnellen Schnitt und „stolz, das Werk Gottes zu verrichten“, trennte der oberste Henker Saudi-Arabiens den Kopf vom Rumpf des Delinquenten. „Er ist meterweit gerollt“, berichtete al-Beschi nun, inzwischen ein Enthauptungsprofi, ganz ohne falsche Scham gegenüber dem saudischen Blatt Arab News.

Im vergangenen Jahr wurden in Saudi-Arabien 52 Männer und eine Frau auf diese Weise vom Leben zum Tode befördert. Neben Katar und der Republik Jemen ist Saudi-Arabien das letzte Land, das noch an dieser mittelalterlichen Hinrichtungsform fest hält. Doch viel Aufmerksamkeit erregt das im Westen nicht mehr.

Das Gegenteil gilt für die neue Praxis radikaler Dschihadisten, westlichen Geiseln vor laufender Kamera den Kopf abzuschneiden und die grausamen Bilder dann ins Internet zu stellen. Das erste Opfer, dessen Tötung Schlagzeilen machte, war Daniel Pearl, Reporter des Wall Street Journal, der vor zwei Jahren im Pakistan von Kidnappern entführt wurde, die Ussama Bin Ladens al-Qaida-Netzwerk nahe standen.

Vergangenen Monat wurde dem amerikanischen Techniker Nicholas Berg von der irakischen Dschihad-Gruppe des berüchtigten Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi der Kopf abgeschnitten, Anfang Juni ermordete die saudische Al-Qaida-Dependance den US-amerikanischen Ingenieur Paul Johnson. Das bislang letzte Opfer ist der südkoreanische Übersetzer Kim Sun-il, den die Sarkawi-Leute im Irak auf die gleiche grausame Weise töteten.

In all diesen Fällen wurde den Geiseln nach Art des Schächtens eines Tieres mit einem scharfen Messer die Kehle durchgeschnitten und danach der Kopf abgetrennt. Und in allen Fällen wurde nicht nur der Mord selbst, sondern auch die Art der Tötung unter Berufung auf die islamische Tradition des Dschihad gerechtfertigt.

Das Köpfen sei gewissermaßen die vom Propheten überlieferte Tötungsart im Kampf mit den Ungläubigen, lautet die Botschaft. „Der Prophet, Gesegnet Sei Er, befahl den Gefangenen in den Nacken zu schlagen und sie zu töten. Er gab uns selbst ein gutes Beispiel“, sagte der aus Jordanien stammende Sarkawi anlässlich der Ermordung von Nicholas Berg.

Die Praxis, Geiseln zu enthaupten, erregt maximalen Schrecken, und das ist auch das Ziel. Sie brennt sich in die Fantasie aller ein – auch jener, die die grausigen Bilder nicht sehen. In einer bizarren Kollision der Welten kombinieren die Dschihadisten eine Art von Ritualmord mit den Möglichkeiten digitaler Kommunikation. Der Zweck ist die Verbreitung von Angst und Panik – der Mord wäre buchstäblich zwecklos, würde er nicht weltweit die Botschaft verbreiten: „Seht her, so wird es euch allen ergehen, bis ihr muslimische Erde verlassen habt.“ Darum auch fügt sich atavistische Grausamkeit auf paradoxe Weise in die Welt moderner Kommunikation, in der man mit simplen Autobomben und Schussattentaten kaum mehr Aufmerksamkeit erregen kann und in der allein die besonders wüste, bizarre Tat globale Schlagzeilen garantiert.

Aufmerksamkeit ist die Münze, in der sich die Bedeutung kleiner, aber radikaler Gruppen misst – insofern unterscheiden sich die Dschihadisten nicht von anderen Erscheinungen des modernen Terrorismus. Aber sie senden auch noch ein paar andere Botschaften mit. Indem sie „Ungläubige“ schlachten wie Tiere, bekunden sie, so der ehemalige CIA-Offizier Marc Sagman, „dass Ungläubige nicht besser sind als Tiere“. Und indem sie die alte arabische Praxis des Kopfabschneidens wählen, versuchen sie sich in die Tradition des Propheten zu stellen.

Tatsächlich gibt es im Koran und in den Hadithen – den später verfertigten Nachrichten über das Wirken des Propheten Mohammeds – genügend Stellen, die darüber berichten, dass der Begründer des Islam, der ja gleichzeitig ein Reichsgründer und Heeresführer war, die Enthauptung seiner Feinde anordnete: Exempel, die heute, massenhaft vervielfältigt, auf islamistischen Homepages im Internet kursieren. So befahl Mohammed nach der Schlacht von Badr die Enthauptung zweier Kriegsgefangener, weil diese sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten. In einer der berühmtesten unter den brutaleren Überlieferungen wird ausgeführt, wie der Prophet befahl, zwischen sechs- und neunhundert jüdische Männer zu töten, weil die Juden Medinas mit den militärischen Gegnern Mohammeds konspiriert hätten – eine Passage, die in der islamistischen Lesart übrigens auch deshalb besonders gern hervorgehoben wird, weil sie die Feindschaft Mohammeds zu den Juden belegen soll.

Von seinem Ursprung her hat dieses Kopfabschlagen nichts speziell Religiöses, sondern war wohl eher die übliche Praxis unter den nomadischen Wüstenkriegern Arabiens im siebten Jahrhundert. Es ging dann aber, eben weil es auch von Mohammed und seinen Heerführern praktiziert wurde, in die koranische Tradition ein. Mit dem Resultat, dass eine selektive Auswahl von Koranzitaten den Eindruck entstehen lässt, die Enthauptung sei Allahs bevorzugte Tötungsart. So habe Gott, ist an einer Stelle zu lesen, Mohammed von den Engeln sagen lassen: „Ich werde in die Herzen derer, die ungläubig sind, Schrecken einjagen. So schlagt oberhalb des Nacken und schlagt von ihnen jeden Finger.“ An anderer Stelle heißt es: „Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt.“

In der Lesart eines rigiden und extrem textgläubigen Islam werden diese Passagen systematisch überbewertet – besonders von der wahabitischen Schule, jener Islamauslegung, die in Saudi-Arabien als Staatsideologie fungiert und mit Petrodollars über die ganze Welt verbreitet wird. Selbst Suren, die eher für Mäßigung plädieren, erfahren eine Uminterpretation. „Und wenn ihr bestraft, so bestraft im gleichen Maß, wie ihr bestraft wurdet. Wenn ihr aber geduldig seid, so ist das wahrlich besser für die Geduldigen“, heißt es in einem Vers, der eigentlich die Begnadigung von Feinden anmahnt. Daraus ziehen aber radikale Rechtsgelehrte wie der saudische Scheich Omar Abdullah Hassan al-Shehabi den Schluss, dass es zur Vergeltung erlaubt sei, die Körper toter Feinde zu schänden, wenn dies als Rache für die Schändung muslimischer Opfer geschehe – ein Freibrief für praktisch jede Gräueltat.

War die „Textlage“ also durchaus widersprüchlich, so blieb das Köpfen doch über die Jahrhunderte eine beliebte muslimische Praxis, sowohl gegenüber Nichtmuslimen als auch gegen innere Feinde, in Machtkämpfen und im religiösen Richtungsstreit. So wurde der Propheten-Enkel Hussein Bin Ali, den die schiitische Minderheit im Islam seither als ihren größten Heiligen verehrt, 680 in Kerbala von den Soldaten des Kalifen enthauptet und sein Kopf auf einer silbernen Schale nach Damaskus gebracht. Die Geschichte des Islam ist voll von abgeschlagenen Köpfen, die auf Lanzen gespießt und zur Abschreckung ausgestellt wurden.

Ist das Köpfen also gewissermaßen eine muslimische Marotte? Gewiss unterscheidet sich der frühe Islam in dieser Hinsicht nicht besonders von anderen kriegsführenden Kulturen vergangener Zeiten. Das Abschlagen der Köpfe war unter den vielen grausamen Tötungsarten, die Menschen sich ausdachten, immer schon eine, die auf besondere Weise zu faszinieren und zu schockieren vermochte. Auch der Wunsch, weder zerstückelt noch verrottet in ein wie auch immer vorgestelltes Jenseits einzugehen, zieht sich durch die meisten Kulturen. Darum war der abgetrennte Kopf immer eine spezielle Schreckensfantasie.

Nicht zufällig handeln wohl zwei zentrale Erzählungen der jüdisch-christlichen Kulturtradition von abgetrennten Köpfen: die biblische Geschichte von der Enthauptung Holofernes durch Judith und die Episode aus der Apostelgeschichte vom Tanz der Salome und ihrem berühmten Wunsch, man möge ihr das Haupt von Johannes dem Täufer bringen. Die Zerstörung der körperlichen Integrität, die die Enthauptung darstellt, schien seit jeher von einer Bedrohlichkeit, die jene üblicher brutaler Todesarten noch überstieg. Die Enthauptung gilt gewissermaßen als noch posthume und buchstäbliche Erniedrigung des Opfers. Und so wie das Enthaupten die praktische Eigenart hat, dass sie ein leicht transportables Beweisstück für den Tod des Feindes bereitstellt, so hat sie auch einen symbolischen Überschuss – der geköpfte Feind kann mit absoluter Sicherheit nicht wiederkehren. Er ist sozusagen toter als tot.

Mit der Zähmung der Affekte im Prozess der modernen Staatenbildung und Aufklärung kam das Köpfen aus der Mode, vor allem aber wurde seine Faszination verdrängt – mehr schlecht als recht. Es finden sich noch heute deutliche Spuren dieser Faszination im Schatz der geflügelten Worte: Wie selbstverständlich werden Redewendungen gebraucht wie „um Kopf und Kragen bringen“, „Halsabschneider“, „einen Kopf kürzer machen“.

In Katar, dem Jemen und Saudi-Arabien ist es noch die offizielle Hinrichtungsart

Schließlich war es eine der wohl bizarrsten und fragwürdigsten Errungenschaften der westlichen Moderne, eine Apparatur zu erfinden, die die gleichsam standardisierte und klinische, fast schon automatisierte Abtrennung von Delinquentenköpfen erlauben sollte: die Guillotine. Und in den beiden Weltkriegen, aber auch in Vietnam zeigte sich schnell, dass auch im Westen die Firnis der Zivilisation recht dünn ist.

Und doch kommt dem radikalen Islamismus das zweifelhafte Privileg zu, die Schreckenspraxis des Kopfabschneidens ins 21. Jahrhundert gerettet zu haben und auch noch religiös zu rechtfertigen. Denn Einzelfälle sind die jüngsten, spektakulären Enthauptungen keineswegs. Schon Anfang der Achtzigerjahre wurde der damalige lokale CIA-Chef in Beirut, William Buckley, von der schiitischen Hisbollahmiliz gekidnappt und später in Teheran geköpft. Zu Beginn der Neunzigerjahre schickten die Mullahs einen „Spezialisten“ aus, um den ehemaligen iranischen Premierminister Schapur Bachtiar in Paris zu enthaupten.

Ein ähnliches Schicksal ereilte den iranischen Dissidenten Fereidun Farrokhzad in seinem Bonner Exil. Die algerische Dschihad-Truppe „Islamische Bewaffnete Gruppe“ (GIA) hielt sich für ihren blutigen Guerillakrieg, in dem zehntausende ihr Leben mit durchschnittener Kehle beschlossen, in den Neunzigerjahren sogar einen hauptamtlichen Kopfabschneider.

Momo le Nain – „Mohammed der Zwerg“ – soll in einem Vorort von Algier 1996 in einer Nacht 86 Köpfe abgetrennt haben. In Kaschmir oder auf den Philippinen ist das Enthaupten von Gefangenen – auch von westlichen Geiseln – übliche Praxis der Dschihad-Guerilleros. Auch im Bosnienkrieg sollen internationale Dschihad-Brigadisten, die den von den Serben bedrängten bosnischen Muslimen beisprangen, durch das Köpfen serbischer Gefangener ihren Beitrag zur Eskalation der Gewalt geleistet haben. Und am Schwarzmarkt in Grosny kursierten während des Tschetschenienkrieges Videofilme, die die Enthauptung russischer Soldaten zeigten. In der Moskauer Propaganda firmierten die Tschetschenen deshalb häufig auch als „wahabitische Kopfabschneider“.

Von Einzelfällen lässt sich also kaum sprechen. Gewiss finden auch die meisten Muslime solche Morde abstoßend, und noch die radikalsten Rechtsgelehrten betrachten Köpfungen nach Feme-Art als illegal, da ihnen kein Verfahren vorangegangen ist, das den strengen Regeln des islamischen Rechts auch nur im Entferntesten entsprechen würde. Denn eine Enthauptung wehrloser Gefangener lässt sich auch nach strengster Scharia-Auslegung kaum begründen.

In gewisser Weise sind diese Morde daher weniger eine typische Erscheinungsform des Islam, als vielmehr ein weiteres Symptom seiner Krise.