Mit Pornos Literatur finanzieren

Jörg Schröders März Verlag war in den Sechziger- und Siebzigerjahren ein Hort literarischer Subversion – und er ist bis heute ein Vorbild für alle linken, unangepassten Verlage in Deutschland. Mit der „Großen März-Kassette“ erinnert der Area Verlag an den Mitte der Achtzigerjahre eingestellten Verlag

VON JÖRG SUNDERMEIER

„Wer die 60er und 70er verstehen will, muss März kennen“, heißt es recht reißerisch auf dem Schuber der unlängst erschienenen „Großen März-Kassette“. Im Schuber finden sich 22 Bücher in 13 Bänden, die einführen sollen in die März-Geschichte. März? Der Schwitter’sche März? Nein, es geht um jenen legendenumflorten Verlag, der, nachdem er Ende der 60er-Jahre eilig aus der Taufe gehoben worden war, für rund 15 Jahre maßgeblich sein sollte für das Aussehen und das Auftreten literarischer Subversion – und das bis heute für alle linken, unangepassten Verlage in Deutschland ist. Die März-Bände mit ihrer einmaligen Aufmachung bildeten eine Reihe, die diversen Titel standen in Beziehung zueinander. Orgasmusprobleme, Rotchina und experimentelle Literatur wurden so zu einer Einheit verschmolzen. Sie waren Teil eines Lebensstils.

Die Verlagsgeschichte ist schnell erzählt: Jörg Schröder, der zunächst dem beinahe bankrotten, auf Judaica spezialisierten Melzer Verlag in Darmstadt mit einem äußerst unkonventionellen, die Grenzen zum Pornografischen bewusst überschreitenden Programm auf die Beine half, besinnt sich eines Tages nach wochenlangen Querelen mit seinem Arbeitgeber Melzer auf linke Tugenden und zieht mit dem gesamten Personal in den Keller des Verlagshauses. Der Pächter stimmt zu, Melzer ist überrumpelt.

Der neue Verlag, der sich zunächst als Kollektiv versteht, kann sich dank eines Deals mit dem New Yorker Pornografieverlag Olympia Press, für den man gewissermaßen die deutsche Sektion abgibt, darauf verlassen, dass Geld fließt. Der neue Verlag soll März heißen. Die Eskapaden des Verlegers und – allen Kollektivgebaren zum Trotz – unangefochtenen Verlagschefs Schröder werden zunächst aus den Einnahmen des Pornogeschäfts finanziert.

Auch literarisch läuft es – die snobistischen Hippies Ralf Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann stellen in „Acid“ neueste Literatur aus den USA vor, und erstmals gibt es Gedichte des noch unbekannten Charles Bukowskis. Bazon Brock schreibt über die „Revolution des Ja“, Uve Schmidt, Peter O. Chotjewitz oder Leonhard Cohen publizieren bei März; ein Buch der Kaufhausattentäter Baader, Ensslin und Proll wird angekündigt, ebenso „Omnibus“ von Brinkmann, das nie erscheint.

Man ist rührig, gegenwärtig und aufmerksam, auch wenn nicht alles gedruckt wird, was projektiert ist. Bald erscheint bei März erstmals „Einer flog über das Kuckucksnest“, das „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ von Valerie Solanas, später dann Bernward Vespers posthumes Buch „Die Reise“ oder auch Christian Schultz-Gesteins bis heute enorm wichtiges Jean-Améry-Buch „Der Doppelkopf“. All diese Bücher aber retten den Verlag nicht, viele sind keine finanziellen Erfolge, zudem ist der Verlag von Beginn an zu groß angelegt. Mitte der 80er-Jahre gibt Jörg Schröder, der inzwischen auch gesundheitlich angeschlagen ist, endgültig auf.

Die andere Geschichte ist weniger schnell zu erzählen, denn es ist die von Jörg Schröder. Noch zu schönsten März-Zeiten gab er zwei Bände mit autobiografischen Protokollen heraus, „Siegfried“ (1972) und „Cosmic“ (1982). Bei Ersterem war Ernst Herhaus literarischer Helfer, bei Zweiterem der wunderbare Uwe Nettelbeck. Jörg Schröder allein ist es zu verdanken, dass der März Verlag zur Legende wurde, denn Schröder wusste, wie man die Medien bedient. In Zeiten der Not ließ er sich mit einem Jaguar und zwei nackten Grazien ablichten und als Pornokönig porträtieren, ein anders Mal putzte er Schuhe auf der Buchmesse. Er brachte eine gefälschte Lenin-Briefmarke in Umlauf oder deckte einen Atomwaffenskandal auf. Schröder, ein Werbefachmann und begnadeter Trinker, der den anderen Drogen gleichfalls nicht abgeneigt war, hatte seine Talente zunächst bei Kiepenheuer & Witsch vergeudet, doch war dieser Hasardeur – wie jeder Hasardeur zugleich ein Gauner– nicht gut im konservativen Verlagsbetrieb aufgehoben. Er brauchte ein eigenes Spielfeld, das er sich schließlich mit dem März Verlag schuf. Schröder ist tatsächlich eine Figur, mit der die 60er- und 70er-Jahre leichter zu verstehen sind. Das zeigt etwa sein in der Kassette wiederveröffentlichtes Buch „Siegfried“, das lauter Interviews enthält, die Ernst Herhaus zu einem Fließtext umarbeitete. Der von Pornografie-Prozessen, Gläubigern und Egozentrik umgetriebene Schröder redet sich dabei scheinbar um Kopf und Kragen. In Wirklichkeit jedoch erfindet er eine coole Geschichte. Schröder ist einer der Trickser, die das Jahr 1968 hervorbrachte, umtrieben von linken Illusionen, Libertinage und der Enttäuschung, dass die Welt nicht einfach verändert werden kann. Anders jedoch als die meisten seiner Zeitgenossen bleibt Schröder trotz Pleite und Selbstzweifeln ansteckend heiter.

Als März-Verleger konnte er sein in jeder Hinsicht unkonventionelles Verlagsprogramm führen, konnte auf Autorentreue ebenso verzichten wie auf gutes Layout Wert legen. So zahlte er auch gute Honorare für ein Buch, das eigentlich undenkbar ist: „Trivialmythen“, herausgegeben von Renate Matthaei, jetzt ebenfalls wieder in der Kasette einzulesen. Durch Schröders an den Marktgesetzen vorbei planenden Aberwitz, der ihn zugleich einen Sinn für das verkäufliche Obskure bewahren ließ, konnte Matthaei für diesen Band die jungen Elfriede Jelinek, Friederike Mayröcker, Ror Wolf oder Dieter Wellershoff gewinnen. Dem Verlag aber war es offensichtlich schnurz, dass der famos bezahlte Nettelbeck anstelle „ordentlicher“ Texte eine Bestandsliste seiner kolossalen LP-Sammlung abgab oder Brinkmann die allerdings vorbildhafte Fotoserie „Wie ich lebe und warum“ veröffentlichte.

Heute lebt Schröder unter anderem davon, dass er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Barbara Kalender die Reihe „Schröder erzählt“ herausgibt – in dieser komponiert er aus Gerüchten delikate Storys aus der Literaturszene oder erzählt komische autobiografische Geschichten. Und Schröder kennt sich bestens aus. Beim März Verlag fand man seinerzeit nicht nur linke Größen wie Klaus Behnken, der später die Wochenzeitung Jungle World mitbegründete, oder K. D. Wolff, der heute den Stroemfeld Verlag mühsam über Wasser hält. Auch der derzeitige deutsche Außenminister fand als Übersetzer schmuddeliger Romane bei Jörg Schröder ein Auskommen.

Von all dem zeigt die „Große März-Kassette“ leider nur einen Ausschnitt. Die Bücher Schultz-Gersteins, Vespers oder Solanas’ fehlen, so dass Bände wie Leonhard Cohens „Blumen für Hitler“ oder Peter Kupers „Hamlet“ ein bisschen verloren dastehen. Tolle Bücher wie Günter Amendts „Sexfront“ sind zwar noch überraschend brauchbar, die im „Erotik-Reader“ zusammengestellten Bände wirken heute jedoch eher schal. Wer allerdings weiß, dass zu Joseph Fischers wachesten Zeiten eine Aussage wie jene, dass die überwiegende Mehrheit der amerikanischen Frauen keine Höschen unter dem Rock tragen würden, ernst genommen wurde, kann sich den heutigen Grünen-Chef und Bärbeiß vielleicht besser erklären.

Zeitgleich mit der März-Kassette erscheint übrigens auch Brinkmanns und Rygullas „Acid“ noch einmal im Kölner Area Verlag. Dieser neue, auf Zweitverwertungen spezialisierte Verlag spart an Papier und der Druckqualität, allerdings auch am Preis. Daher kann man ihm nur danken.

Jörg Schröder, Bruno Hof (Hg.): „Die Große März-Kassette“. Area Verlag, Köln 2004, über 6.000 Seiten, 49,90 € Rolf Dieter Brinkmann, Ralf Rainer Rygulla (Hg.): „Acid“, Area Verlag, Köln 2004, 419 Seiten, 14,95 €