Internationale lokale Größe

Heinrich Riebesehl muss seit den 70er-Jahren als einer der maßgeblichen deutschen Fotografen gelten, der einem größeren Publikum freilich weitgehend unbekannt geblieben ist. Seine 1979 erschienene Monografie „Agrarlandschaften“ (man beachte den Plural) begründete einen damals neuen konzeptuellen Aufbruch der künstlerischen Dokumentarfotografie nicht weniger als die 1977 erschienenen „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebiets“ von Bernd und Hilla Becher.

Bis zum 3. Oktober bietet sich nun im Hannoveraner Sprengel Museum die Gelegenheit, erstmals einen Gesamtüberblick über Heinrich Riebesehls vielfältiges fotografisches Werk und die Entwicklung seiner Bildsprache zu gewinnen. Rund 200 Originalabzüge aus fünfzehn Werkgruppen zeigen „Lokomotiven“ (1963–1965), „Happenings“ (1964–1965), „Menschen im Fahrstuhl“ (1969), „Situationen und Objekt“ (1973–1977), „Bahnlandschaften“ (1979–1997) und zuletzt – erstmals in Farbe – „Dorfansichten“ (1998–2001).

Zunächst noch der „Subjektiven Fotografie“ verpflichtet, mit der Otto Steinert, sein Lehrer an der Folkwang-Schule für Gestaltung, den Fotografen zum kreativen Autor befördert hatte, versachlicht Riebesehl seinen Stil zunehmend und lässt die lange Zeit für ihn typische, surrealistisch anmutende Perspektive radikaler Anschnitte, starker Helldunkelkontraste und extremer Aufnahmewinkel hinter sich. Gezielt sucht er nun das Gewöhnliche und wartet beim Fotografieren ab, „bis alles normal ist“, wie er selbst einmal sagte.

Diese Sicht der Dinge verwirklicht er konsequent in der norddeutschen Provinz. Dort ist er mit der Landschaft nicht so sehr versöhnt, als vielmehr mit ihr vertraut, wie der Kritiker Ulf Erdmann Ziegler bemerkt. Daher geht es um Agrarlandschaften (unser Bild: „Immensen, Oktober 1978“): Riebesehl differenziert nicht nur fotografisch, sondern auch politisch, das heißt, er sieht die Landschaft nicht als Ideal, sondern als das Material, das sie für die Bauern, die Agrarindustrie bis hin zum Ausflügler aus der Stadt ist.

Nach den „Agrarlandschaften“, in denen der Horizont das Bild ganz klar unterteilt und die Weite des Landes markiert, verengt er seinen Bildraum, der nun fast wie ein Bühnenbild wirkt, und das diffuse Licht des bedeckten Himmels erlaubt die schattenlose Abbildung seiner Motive. Nebenschauplätze wie Bahn- und Hafenanlagen werden so in allen Einzelheiten deutlich. Riebesehls präzise, detailgespickten Studien verlangsamen die Betrachtung. Er schafft damit, so schreibt Thomas Weski im Katalogbuch zur Ausstellung („Heinrich Riebesehl, Fotografische Serien 1963–2001“. Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit 2004, 28 €), „das Äquivalent einer Erfahrung, die wir mit seiner Motivwelt verbinden: Entschleunigung und Überschaubarkeit“.

BRIGITTE WERNEBURG