Schummelei des Kolumbus

Hobbyhistoriker Gavin Menzies glaubt, dass ein Chinese Amerika entdeckt hat – nicht Kolumbus. Seit Jahren sammelt er Indizien. Seine Theorie findet immer mehr Anhänger. Nur bei den Chinesen nicht

VON CLAUDIA BLUME

Seine Theorie nahm Gestalt an, als Gavin Menzies eine venezianische Karte von 1421 in die Hände fiel. Die Karte zeigte Teile der Karibik und Floridas und datierte doch siebzig Jahre vor Kolumbus’ Reise. Zu dieser Zeit, so Menzies, gab es nur ein Volk, das über ausreichende Navigationskenntnisse und eine genügend große Flotte verfügte, um die Gegend so genau zu kartografieren: die Chinesen.

Während andere Pensionäre Rosen züchten oder Golf spielen, verbringt der 67-jährige Gavin Menzies sein Rentenalter mit dem Versuch, die Weltgeschichte neu zu schreiben. In seinem Buch „1421. Als China die Welt entdeckte“ (Droemer Knaur, 2003, 602 S.) behauptet der ehemalige britische U-Boot-Kommandant, dass chinesische Seefahrer lange vor den Europäern große Teile der Welt entdeckt und Kolonien gegründet haben. Teile einer riesigen Flotte unter Führung von Admiral Zheng He, die China 1421 verließ, sollen während einer zweijährigen Weltumsegelung Amerika, Australien, Neuseeland und die Antarktis entdeckt haben – lange Zeit vor Kolumbus, Magellan, Vasco da Gama und Captain Cook.

Die europäischen Entdecker, so Menzies’ These, hatten bereits Karten zur Hand, bevor sie losfuhren – Karten, die auf chinesischen Vorlagen beruhten.

15 Jahre hatte Menzies in 120 Ländern und hunderten von Museen recherchiert, um Beweise für seine Theorie zu finden. Schriftliche Belege für die Reise des chinesischen Seefahrers Zheng He im Jahre 1421 fand er so gut wie nicht, denn die meisten Dokumente sollen von den xenophoben Nachfolgern von Zhu Di, des Ming-Dynastie-Kaisers, der die Flotte entsandt hatte, zerstört worden sein. China stoppte damals alle Handelsreisen und Entdeckungsfahrten.

Gavin Menzies versucht, seine These mit Hilfe unterschiedlichster Beweise zu bekräftigen: anhand von europäischen Karten etwa, die angeblich auf chinesischen Vorlagen beruhen, oder anhand von Vorkommen chinesischer Flora und Fauna und chinesischer Artefakte in den angeblich von Chinesen „entdeckten“ Ländern – und sogar anhand von linguistischen Ähnlichkeiten und DNA-Übereinstimmungen amerikanischer Indianer mit Chinesen.

Als das Buch vor 18 Monaten erschien, wurde es in der Presse und von vielen Historikern zunächst belächelt. Denn trotz der Fülle an Indizien wirkt das Buch in vielen Teilen tatsächlich wenig überzeugend, viele Behauptungen werden nicht mit Fakten belegt. So führt Menzies etwa keinen konkreten Nachweis dafür an, wie die angeblich existierenden chinesischen Karten in den Besitz von europäischen Kartografen gelangt sein könnten. Viele Übersetzungen, Inschriften und Legenden nimmt er wörtlich und für bare Münze – etwa eine, die besagt, dass Zheng He 3.000 Länder besucht habe. Auch die Funde von Ming-Vasen und asiatischen Tieren und Pflanzen in Amerika sind noch kein Beweis dafür, dass sie mit Zheng Hes Flotte ins Land gebracht wurden. Überraschend ist auch, wie wenig der Autor in China selbst recherchiert hat – auch wenn er davon ausging, alle Dokumente seien zerstört worden.

Trotz der vielen Ungereimtheiten avancierte das Buch aber schnell zum Publikumsrenner und zum Bestseller in mehr als 60 Ländern. Tausende von professionellen Wissenschaftlern und Amateurforschern helfen Menzies seitdem, neue Beweise zu finden, die dieser auf einer Webseite veröffentlicht (www.1421.tv).

Vor zwei Wochen stellte Menzies in Hongkong nun neue Beweise vor. Eine vor kurzem gefundene venezianische Karte von 1410, die die östliche Hemisphäre zeigt, könnte zusammen mit einer ebenfalls kürzlich entdeckten präkolumbianischen Karte der westlichen Hemisphäre jene „Ur-Weltkarte“ gebildet haben, die Menzies so lange gesucht hat. Vorlage für die Karten, so Menzies, waren selbstverständlich chinesische Berechnungen. Ein arbeitsloser Elektroingenieur aus Hongkong hat zudem in der Zentralbibliothek der Stadt 26 als verschollen geltende Karten von einer Expedition Zheng Hes im Jahr 1408 nach Europa gefunden. Zheng Hes Besuch in Italien könnte zur Entstehung der Karte von 1410 geführt haben, folgert Menzies.

Während nach Aussage von Menzies viele westliche Historiker inzwischen seine Theorie anerkennten, stößt sein Buch überraschenderweise vor allem bei vielen chinesischen Wissenschaftlern auf heftige Kritik. Menzies glaubt, dass er seine Version der Weltgeschichte vermutlich noch einmal überarbeiten muss: Chinesische Entdeckungsreisen, glaubt er inzwischen, hätten schon viel früher begonnen als bislang angenommen. Denn Zheng He habe Informationen zur Verfügung gehabt, die schon im 13. Jahrhundert von den Navigatoren des Mongolenherrschers Kublai Khan gesammelt worden waren. Laut Menzies wäre es sogar möglich, dass die Chinesen bereits in der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) damit begannen, die Welt zu entdecken.