„Wir sind die Linken“

INTERVIEW PATRIK SCHWARZ

taz: Junge Grüne haben Programmpapiere geschrieben, solange es die Grünen gibt. Früher aber richteten die Jungen sich meist gegen die Alten – das fehlt bei Ihnen. Sind Sie denn zufrieden mit denen, die Matthias Berninger einst gerne „die alten Säcke“ nannte?

Tarek Al-Wazir: „Links Neu“ ist das erste Grundsatzpapier von jungen Grünen seit langem. Anders als früher steht die Partei momentan doch ganz gut da. Dazu müssen die „alten Säcke“ zumindest etwas beigetragen haben. Außerdem wollen wir ja gerade herauskommen aus den alten Streitmustern. Wir wollen bei den Grünen eine Diskussion lostreten, wie Politik sein soll.

Vielleicht wollen Sie nur nicht anecken bei den Fischers oder Künasts?

Al-Wazir: Zugegeben, es ist in der Mediendemokratie leichter, Aufmerksamkeit zu erzielen, wenn man sagt, X oder Y ist blöd. Wir haben uns entschieden, zu sagen, was wir inhaltlich wollen: eine neue linke Politik, eine Erneuerung der Linken.

Was soll daran neu sein?

Omid Nouripour: Uns geht es um eine Abgrenzung von alten linken Instrumenten, wie sie etwa die kürzlich gegründete Wahlalternative aufwärmt. Aber wir verlangen eben auch ein Ende der totalen Beliebigkeit, des radikalen Pragmatismus.

Also sind die Leute, die für Sie in der Regierung sitzen, nicht links?

Al-Wazir: Es gibt sicherlich ein Begründungsdefizit für bestimmte Modernisierungsschritte. Als Modernisierer, die wir alle sind, muss man immer auch die Substanzfrage stellen: Wofür macht man das alles? Weil das oft nicht klar ist, kommt vieles so schlecht an.

Das ist doch die Ausrede der Alten: Wir meinen es so gut, nur der Wähler versteht uns nicht.

Nouripour: Rot-Grün als Gesamtprojekt hat ein Identitätsproblem. Das ist ein Problem nicht nur der Kommunikation, es ist auch eines in der Substanz. Insofern ist „Links Neu“ der inhaltliche Aufschlag einer dritten Generation bei den Grünen.

Sie sind Joschkas Enkel?

Al-Wazir: Biologisch haut das nicht hin, politisch schon eher: Wir sagen, die Linke muss sich erneuern, hin zu mehr Selbstbestimmung, mehr Ökologie und mehr Teilhabe.

Joschka Fischer hat ein reichlich taktisches Verhältnis zum Etikett „links“: In Wahlkämpfen hängt er gerne die linke Fahne aus dem Fenster, danach rollt er sie zügig wieder ein.

Nouripour: Wenn Rot-Grün aus seinem Identitätsproblem herausfinden will, braucht es dafür einen Begriff. Wir glauben, dass dieser Kern links sein muss, aber eben nicht „links alt“. „Links Neu“ mutet beiden Seiten einiges zu, den Modernisierern wie den Beharrern. Die Modernisierer müssen sagen, wie wir durch die Reformen zu mehr Gerechtigkeit und mehr Selbstbestimmung kommen. Aber wir muten auch der traditionellen Linken zu, den Gewerkschaften etwa, auf neue Fragen nicht länger dieselben alten Antworten zu geben.

Benutzen Sie „links“ nicht schlicht als Marketinggag – weil es einen „radical chic“ ausdrückt, den Ihre Regierung nicht mehr versprüht?

Al-Wazir: „Links Neu“ ist kein Marketinggag. Wir haben lange über den Namen diskutiert. Der Begriff „links“ wird von den Linken kaum noch benutzt, und von den Neokonservativen als Schimpfwort gebraucht. „Europa macht man nicht mit links“, hat zum Beispiel die CDU plakatiert. Dagegen wollten wir ein linkes Selbstbewusstsein setzen.

Woraus soll dieses Selbstbewusstsein bestehen?

Al-Wazir: Uns geht es um eine neue Grundsätzlichkeit. Wir wollen nicht länger zuschauen, wie in der Politik jede Woche zwei neue Säue durchs Dorf getrieben werden und den Bürgern am Sonntagabend das Hackfleisch bei „Christiansen“ serviert wird. Gerade die Grünen müssen wieder über die großen Linien in der Politik reden.

Zu „Links Neu“ gehören neben Ihnen Klaus Müller, Umweltminister in Kiel, oder im Bundestag Grietje Bettin und Anna Lührmann – und keiner ist bisher in der Partei als Linker aufgefallen.

Al-Wazir: Es hat mich zeit meiner Mitgliedschaft bei den Grünen gestört, dass „die Linken“ immer die Anderen waren. Ich habe mich immer als Linker betrachtet.

Können Sie sich nicht bloß deshalb zu Linken erklären, weil die eigentlichen Linken der Partei inzwischen den Rücken gekehrt haben?

Al-Wazir: Die eigentliche Linke gibt es nicht. Was links ist, muss im postindustriellen Zeitalter neu verhandelt werden. Was die Strömungen in der Partei heute sicher eint, ist, dass sie realistisch und pragmatisch sind. Mit „Links Neu“ versuchen wir aber auch über die Partei hinaus Zugang zu finden zu Schichten wie einem progressiven Bürgertum, das politisch relativ heimatlos ist.

Darum bemühen sich doch inzwischen alle Parteien: Schröder mit der Neuen Mitte, Merkel mit ihrer Großstadt-CDU, Westerwelle mit seinem Ruf nach Freiheit von allem und jedem.

Al-Wazir: Aber keiner schafft es doch bisher, dieses progressive Bürgertum zu erreichen. Bei der FDP ist vom Freiheitsbegriff nur noch der Ladenschluss übrig. Die SPD hat das Problem, dass sie viel stärker als wir zerrissen ist zwischen dem Regierungshandeln und altlinken Vorstellungen.

Nouripour: Und bei CDU und CSU gibt es doch zum Beispiel in der Sozialpolitik einen radikalen Kurswechsel. In unseren Augen setzt Angela Merkel auf einen neokonservativen Politikstil. Wenn wir aber gegen die Neokonservativen bestehen wollen, müssen wir als rot-grünes Projekt unsere Positionen klarer bestimmen. Auch darauf zielt „Links Neu“.

„Die Neokonservativen“ müssen in Ihrem Papier als neues Schreckbild herhalten. Dabei laufen Merkels Reformpläne doch auch nur auf Schröder plus hinaus. Übertreiben Sie’s nicht mit dem Feindbild?

Nouripour: Das teile ich nicht. Wir haben einen sehr klaren Gerechtigkeitsbegriff …

Hartz IV ist gerecht?

Nouripour: Bis auf einzelne Punkte finden wir, Hartz IV ist notwendig, hat allerdings ein Gerechtigkeitsproblem bei der Anrechnung von Altersvorsorge und der rigiden Zumutbarkeit von Arbeit. Die Union will dagegen den Systemwechsel, etwa bei den Kopfpauschalen im Gesundheitswesen. Grundsätzlicher gesprochen: Die Konservativen setzen auf Modernisierung statt Gerechtigkeit. Wir wollen Modernisierung und Gerechtigkeit.

Sie reden immer von Gerechtigkeit. Hat Ihre Partei da nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem – manche halten sie schon für eine FDP mit grünem Anstrich.

Al-Wazir: Wenn eine Partei bei der Europawahl 11,9 Prozent bekommen hat, sind da sicher nicht nur super situierte Wähler darunter. Gerade auch viele jüngere und gut ausgebildete Leute haben die Erfahrung gemacht, dass Jobs nur noch befristet sind und schlecht bezahlt obendrein.

Gerechtigkeit ist jetzt ein Mittelschichtthema geworden?

Nouripour: Das ist richtig, denn die klassische Mittelschicht wird zunehmend von sozialer Unsicherheit erfasst. Aber nur wenn eine neue Linke es schafft, beides zu beantworten, die Gerechtigkeits- und die Modernisierungsfrage, können wir die Meinungsführerschaft im Kampf mit den Neokonservativen gewinnen.

Sie rüsten zum Kampf gegen die Konservativen, in Ihrer Partei wird mit Schwarz-Grün geliebäugelt. Ist „Links Neu“ ein Signal dagegen?

Nouripour: Rot-Grün ist keine Liebesheirat. Trotzdem, mit Frau Merkel, wie sie jetzt drauf ist, können wir nicht koalieren. Und selbst wenn der Wähler uns eines Tages zu Schwarz-Grün zwingen sollte, brauchen wir Klarheit über unsre Positionen als linke Partei.

Al-Wazir: Ich bezweifle, dass es die gemeinsame wertkonservative Grundlage mit den Schwarzen gibt, von der manche in unsrer Partei mitunter reden.

Also Ja oder Nein zu Schwarz-Grün?

Nouripour: Uns geht es darum, Positionen durchzubekommen. Darum: Schwarz-Grüne Koalitionen wird es geben, wenn die CDU sich ändert, nicht wir. In Köln haben die Schwarzen begonnen, beim Christopher Street Day mitzufeiern. Das ist bei Roland Koch sicher nicht vorstellbar.

Aber wenn die CDU-Chefin Angela Merkel zum Christopher Street Day geht, ist sie koalitionsfähig?

Nouripour: Nein, doch dann hat sie den ersten Schritt getan.