Nur eine kleine Blutprobe

In Schleswig-Holstein entsteht die größte Biodatenbank Deutschlands. Wissenschaftler der Uniklinik in Kiel wollen mit ihr nach weit verbreiteten Krankheitsgenen suchen. Gefragt sind auch persönliche Daten über Krankheitsgeschichte und -verlauf

VON KLAUS-PETER GÖRLITZER

Rund eine Million Menschen leben im nördlichen Teil Schleswig-Holsteins, den Forscher des Kieler Uniklinikums zum popgen-Bereich erkoren haben. „popgen“ steht für „populationsgenetische Rekrutierung von Patienten und Kontrollgruppen“. „Wir beabsichtigen, alle an bestimmten Krankheiten leidenden Menschen im Untersuchungsgebiet zu kontaktieren und um Mitarbeit zu bitten“, sagen die Projektmacher um Professor Stefan Schreiber. Der Magen-Darm-Spezialist hatte bereits im Oktober 2002 auf einer Tagung des Nationalen Ethikrats gefordert: „Wir wollen eine zentrale Biobank.“

„Mitarbeiten“ – das bedeutet, sich 30 Milliliter Blut entnehmen zu lassen, das dann molekulargenetisch getestet wird. Außerdem füllen die Probanden einen umfangreichen Fragebogen aus. Ihre Antworten sollen mit den Resultaten der Genanalysen in Verbindung gebracht werden.

Gefragt werden die Studienteilnehmer zum Beispiel nach Herkunft, körperlicher Verfassung und Arbeit, akuten und früheren Erkrankungen, Einnahme von Medikamenten, Konsum von Alkohol und Zigaretten; angeben sollen sie auch die Zahl ihrer Kinder sowie Alter, Erkrankungen und Todesursache ihrer Eltern. Zusätzlich soll ein Teil der Probanden alle sechs Monate über den Verlauf ihrer Erkrankung befragt werden. Und wer will, kann als Zugabe noch Verwandte, Freunde und Bekannte benennen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und womöglich ebenfalls bereit sind, bei der Erhebung mitzumachen.

Bei der „Rekrutierung“, die seit Anfang des Jahres läuft, helfen Kliniken und niedergelassene Ärzte, indem sie Patienten gezielt auf das Projekt hinweisen. Gesucht werden Menschen mit weit verbreiteten Krankheiten wie etwa Krebs, Beeinträchtigungen der Herzkranzgefäße, Parodontitis, neurologische Leiden wie Epilepsie und Morbus Parkinson, Erkrankungen von Darm, Haut und Atemwegen.

Neben akut Kranken benötigen die popgen-Forscher auch Versuchspersonen, die als gesund gelten: „Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, müssen die Daten der Patienten mit denen einer Kontrollgruppe verglichen werden.“ Dafür baue man eine „populationsrepräsentative Stichprobe“ auf. Erfassen soll sie Blutproben und Informationen von mehr als 25.000 Menschen, die mit Unterstützung der Einwohnermeldeämter zufällig ausgewählt werden.

Ein gesundheitlicher Nutzen wird den Teilnehmern nicht versprochen. Das popgen-Werbefaltblatt appelliert vielmehr an die Schleswig-Holsteiner, „mit einer kleinen Blutprobe und einer halben Stunde Zeit“ künftigen Generationen zu „helfen“. „Unsere Kinder“, orakeln die Kieler Sammler, „können das Risiko, an Asthma, Herzinfarkt oder Krebs zu erkranken, schon von uns erben. Wenn die Mediziner diese Risikofaktoren in Zukunft frühzeitig erkennen, kann vielen Menschen geholfen werden.“ Die Ergebnisse der Genforschung würden breiten Patientengruppen verfügbar gemacht, „eine ganze neue Medizin“ könne so entstehen: „Therapien“, verheißt der popgen-Flyer, „können exakt auf die Anlagen eines erkrankten Menschen abgestimmt werden.“

Ob die Initiatoren der Kieler Biobank die Realisierung ihres Szenarios jemals erleben werden? Sicher ist jedenfalls: Was sie mit ihren Werbemethoden beschafft haben, möchten sie auch lange behalten und beforschen: Mindestens 20 Jahre sollen die gesammelten Proben und Daten aufbewahrt werden.

Das Nahziel der popgen-Macher kann im Merkblatt zur Einwilligungserklärung nachgelesen werden: „Es ist der Zweck der Untersuchung, eine Risikoabschätzung für bestimmte genetische Erkrankungen in der ‚Durchschnittsbevölkerung‘ zu erstellen.“ Überprüft werden sollen Forschungserkenntnisse „zur genetischen Veranlagung von weit verbreiteten Krankheiten“. Am Ende werde eine „deutschlandweit einmalige“ medizinische Informationssammlung stehen, die dem Gesundheitssystem „wichtige und wertvolle Zukunftsdaten liefern wird“.

Einmal veröffentlicht, wären derartige Abschätzungen auch für nichtmedizinische Zwecke nutzbar: Versicherungen könnten, mit Verweis auf Resultate populationsgenetischer Studien, höhere Prämien für Angehörige von „Risikogruppen“ verlangen; Arbeitgeber könnten vermeintlich genetisch belastete Beschäftige aussortieren. Den Krankenkassen preisen die Kieler Forscher ihr Projekt als Beitrag zur Vorbeugung an: „Manche Therapien erzeugen (zu) viele Nebenwirkungen. Marker erkennen, die Nebenwirkungen vermeiden und gewollte Wirkungen optimieren helfen, schafft mehr Gesundheit zu weniger Kosten.“

Welche Forschungsvorhaben im Einzelnen stattfinden sollen, steht nicht in dem Merkblatt – eine Unbestimmtheit, die auf der Linie des Nationalen Ethikrats liegt (siehe Artikel unten). Dabei dürfen auch „wissenschaftliche Kooperationspartner“ die von popgen akquirierten Blutproben und Daten nutzen. Namentlich benannt werden sie jedoch nicht; gedacht ist wohl vornehmlich an Teams, die im Rahmen des „Nationalen Genomforschungsnetzes“ agieren, dem auch die Kieler Biobanker angehören.

Laut Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD) hat das von der Bundesregierung geförderte Genomnetz binnen drei Jahren 80 Patentanmeldungen, 1.500 wissenschaftliche Publikationen und – in Zusammenarbeit mit der Industrie – 90 Ideen für Produkte hervorgebracht. Ziel der Forscher sei die „Entschlüsselung von Krankheitsgenen“; therapeutische Erfolge kann Catenhusen bislang allerdings nicht aufzählen.

Kommerzielle Potenziale hat popgen durchaus im Blick: „Es kann sein“, heißt es im Merkblatt zur Einwilligung, „dass im Rahmen zukünftiger Forschungsergebnisse Patente entstehen, die auf Erkenntnissen basieren, die aus Ihren Proben gewonnen wurden.“ Solche Patente seien Voraussetzung für die Entwicklung neuer Medikamente. „In diesem Fall“, erklären die Sammler den Spendern vorsorglich, „besteht kein individueller Patentanspruch, basierend auf Ihrem individuellen biologischen oder genetischen Material.“ Ob und mit welchen Firmen popgen zu kooperieren gedenkt, steht nicht im Aufklärungspapier.