Das undankbare Aufsatzthema

Man könnte sich doch mal wieder durchs Land treiben lassen und die einfachen Leute besuchen: Der Münchner Starkolumnist Axel Hacke hat ein „Deutschlandalbum“ angelegt

Allfreitäglich lässt Axel Hacke die Leser des SZ-Magazins an seinem Leben teilhaben. Er schreibt Kolumnen aus dem Alltag eines nicht ganz erfolglosen Münchner Journalisten und seiner Familie, die etwa von den Erziehungsproblemen mit dem heranwachsenden Sohn Luis handeln oder nächtliche Gespräche mit dem alten Kühlschrank „Bosch“ wiedergeben. Nach regelmäßiger Lektüre meint man irgendwann, den sympathisch normalen Hacke gut zu kennen.

So ist man dann auch sehr überrascht, ihn auf dem Cover seines Buchs „Deutschlandalbum“ in doch sehr eigenartiger Montur und Haltung wiederzusehen. Der eigentlich ganz fotogene Brillenträger wurde für das Buchcover nämlich vor einem „Kiosk“ fotografiert. Bemüht um eine wenn schon nicht volkstümliche, so doch volksnahe Erscheinung lehnt Hacke lässig an der Verkaufstheke, neben sich zwei verschrumpelte Bifis im Brötchen. Die Szenerie ist gespenstisch hell ausgeleuchtet, sodass Hackes (brillenloses!) Gesicht einen ungesunden rötlichen Glanz bekommen hat, auf dem der Versuch eines Grinsens gnadenlos schief gegangen ist. Mitsamt Strizzi-Stiefeletten und fettigem Seitenscheitel will er offenbar einen ironischen Kontrast zum am Ausschank befestigten Verbotsschild bezüglich des „Trinkens von alkoholischen Getränken im Sichtbereich des Kiosks“ herstellen. Dazu der Buchtitel in Schwarz-Rot-Gold: Mensch, Hacke, denkt man, hier stimmt doch was nicht!

„Also, die Idee war“, so Hacke im Vorwort, „ein Album über Deutschland anzulegen mit Fotos und kleinen Geschichten, manchmal nur einem Satz oder einem Bild – so etwa. Man tut das ja mit der Familie auch, fotografiert die Kinder und die Alten, schreibt ein bisschen was dazu … Das fängt ganz harmlos an, und doch dient es der Antwort auf die Frage: Was macht uns eigentlich aus? Wie sind wir so geworden?“

Den Autor zieht es raus aufs Land, zu den einfachen Leuten und den eigenen Erinnerungen. Aber bloß keinen Stress, nichts Systematisches, einfach nur sich treiben lassen und erinnern, Bilder angucken und ein wenig erzählen. Gute Idee, denkt man zuerst, um bereits zu ahnen, dass das nicht so einfach werden wird. Denn natürlich haben „die Medien“ mit ihrem „Weltgebrumme“, ihrem „infernalischen Lärm“ und „Leben aus zweiter Hand“, so Hacke nicht ganz klischeefrei, schon alles mehrfach durchgekaut, was da auch nur an halbwegs Interessantem vor sich hin menschelt im Lande. Und so ehrenwert es sein mag, dass sich da mal ein Münchner Medienprofi locker macht für die kleinen Beobachtungen und großen Gefühle, so sehr hat man dann doch den Eindruck, hier schreibt einer mit großem Pflichtgefühl und viel Sozialromantik ein paar schon oft gelesene Standards über Berliner Streetworker, Arbeitslose in Duisburg oder die kulturelle Vielfalt der Provinz, vor allem im Osten. „Journalistische Herausforderungen“ nennt man diese ungeliebt-beliebten Sujets im Metier, zu denen der Ressortleiter gerne noch die Aufforderung hinterherschickt, da doch mal eine „schöne“, wahlweise „bunte Geschichte“ draus zu stricken. Das gelingt Hacke natürlich aus dem Effeff, dafür ist er einfach zu sehr routinierter Seite-drei-Reporter.

Dennoch kann man hier gut beobachten, wie ein Autor mit dem großen Erfolg seiner Kolumnen nicht nur der Kolumnisierung der gesamten Presse und irgendwie auch des ganzen Lebens Vorschub geleistet hat, sondern auch selbst von diesem Stil nicht mehr loskommt. Einige der hier versammelten Aufsätze wirken, als würde Hacke sie seinem Kühlschrank Bosch erzählen.

Zwar bemüht er sich bisweilen merklich um einen nüchternen, ernsteren Ton, was aber nur zur Folge hat, dass die Texte dann merkwürdig spröde und pointenlos sind. Weil man Hacke sonst aber durchaus als sprachgewitzten, originellen Autor kennt, ist man am Ende dieses Deutschlandalbums beinahe erschrocken, wie wenig ihm zu seinem Thema eingefallen ist. Fast so, als hätte das Land seinen Autor im Stich gelassen, und nicht umgekehrt. Deutschland, das undankbare Aufsatz-Thema.

Das alles wäre nicht weiter des Aufhebens wert, wenn dieses Buch auf diesem Wege nicht doch noch seinem Leser gewissermaßen hinterrücks ein ziemlich erschlagendes Gefühl für das eigene, bleiern gemütliche Land vermitteln würde. Ja, man könnte doch mal wieder zu seinen Großeltern zum Kaffee fahren! Gleichermaßen hinterrücks wird der Leser ganz am Ende übrigens auch noch mit dem unseligen Coverfoto versöhnt. Der hell ausgestrahlte Kiosk ist überhaupt keine Studio-Attrappe, sondern Wirklichkeit. Im Hintergrund sieht man ein dunkles Gehölz und, in der Dämmerung gerade noch erkennbar, eine Wiese. Könnte ein Bolzplatz sein. Oder der Grünstreifen vor einem Autobahnzubringer. In jedem Fall: Deutschland. ANDREAS MERKEL

Axel Hacke: „Deutschlandalbum“. Kunstmann Verlag, München 2004, 252 Seiten, 19,90 Euro