Obsessives Glätten

Ohne großen Erkenntnisgewinn: Die Deutsche Guggenheim Berlin zieht in einer Ausstellung die Verbindung von Robert Mapplethorpes Fotografie mit den Vorbildern der klassischen Antike und versucht zu zeigen, dass die wirklichen Unterschiede zwischen moderner und klassischer Kunst so groß nicht sind

VON BRIGITTE WERNEBURG

Nicht als Skandalon und Ärgernis wolle das Guggenheim Museum Robert Mapplethorpe zeigen, sagte der Chefkurator für zeitgenössische Kunst, Germano Celant, am Freitag auf der Pressekonferenz. Vielmehr solle der Fotograf, dessen sexuell konnotiertes Werk in keinem anderen amerikanischen oder europäischen Museum so umfassend vertreten ist, in der aktuellen Ausstellung als ein Künstler gewürdigt werden, der sich in seinem Werk der Kunstgeschichte verpflichtet weiß. Sekundiert wurde Celant von seinem Kollegen Arkady Ippolitov, Kurator für italienische Druckgrafik an der Eremitage in Sankt Petersburg. Er meinte, mit Mapplethorpe ließe sich zeigen, dass es einen wirklichen Unterschied zwischen moderner und klassischer Kunst nicht gebe. Das möchte man nur ungern glauben, die Ausstellung freilich setzt alles daran, die verwegene These glaubhaft zu machen.

Allerdings: Die Verbindung von Mapplethorpes Fotografie mit den Vorbildern der klassischen Antike beziehungsweise deren Neuinterpretation in der Renaissance liegt von jeher offen. Formal war Mapplethorpe nie ein zeitgenössischer Fotograf, inhaltlich dagegen unbedingt. Die pornografischen Vorlagen, an denen er seinen Blick geschult hatte, versuchte er über eine strenge Orientierung am normsetzenden und zeitüberdauernden formalen Maßstab des klassischen bildhauerischen Kanons so zu reinszenieren, dass sie auch für ein breites Publikum akzeptabel waren. Wie er dem Kritiker Mark Thompson sagte, ging er im Studio seine riskanten Darstellungen des männlichen Aktes, „unter dem Blickwinkel der Beleuchtung, der Komposition und all der anderen Überlegungen an, die für ein Kunstwerk wichtig sind“. Die Ästhetik der Darstellung, die aus diesem Vorgehen erwuchs, bezeichnet der Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto als „gleichzeitig dionysisch und apollinisch“.

Heute erscheint das Werk Robert Mapplethorpes weniger in ethischer als in ästhetischer Hinsicht fragwürdig. In seiner apollinischen Auffassung ist das sehr überschaubare Oeuvre – Mapplethorpe starb 1989, erst 42 Jahre alt, an Aids – oft allzu gefällig. Zu makellos erscheinen in ihm Licht, Komposition, Modell oder Objekt, um den Verdacht des Kunstgewerblichen gänzlich abwehren zu können. Es war daher durchaus spannend zu sehen, ob die Konfrontation mit der Druckgrafik des niederländischen Manierismus aus dem 16. Jahrhundert dazu führen würde, Mapplethorpes obsessives Glätten des Bruchs zwischen dem inhaltlichen und dem formalen Aspekt seines Werks zu hinterfragen. Denn diese Druckgrafik deckt sich keineswegs mit Mapplethorpes Darstellungsweise. Die klassische Proportion wird in ihr kaum gewahrt, statt Harmonie und Gleichgewicht findet sich eine bewegte Dynamik der Körper, deren Fleisch gern übertrieben detailreich gezeichnet wird. In ihrer Bildwirkung sind die Stiche von Hendrick Goltzius, Jan Harmensz. Muller, Jacob Matham und Jan Saenredam dramatisch bis theatralisch und oft grell.

Doch die Parallelführung der Apollos, Dianas, der Herkulesse und Venusse mit Arnold Schwarzenegger, dem Tänzer Derrick Cross, der Bodybuilderin Lisy Lyon oder dem Fotomodel Ajitto bleibt ohne großen Erkenntnisgewinn. Zu passgenau ausgesucht, scheinen sich die Darstellungen im einen Fall eins zu eins zu entsprechen; zu beliebig im anderen, bedeuten die Bilder nur gelehrte Unterhaltsamkeit. 1987 etwa zwängte Mapplethorpe sein Modell „Thomas“ in eine Röhre, in der es nicht aufrecht stehen konnte und seinen Körper daher nur in extrem verwinkelter Stellung in Pose bringen konnte. Diese vierteilige Serie hängt nun neben Hendrick Goltzius’ ebenfalls vierteiliger Serie seiner „Himmelsstürmer“ Ixion, Phaeton, Ikarus und Tantalus. Die allegorische Dimension der verdrehten Körper im Fall aber findet sich in der Fotografie nicht wieder, bleibt also nur der formale Vergleich des männlichen Akts im Kreis.

Nur einmal scheint die Gegenüberstellung einzuhaken: Bei „Thomas und Dovanna“, zwei Modefotografien aus dem Jahr 1986 und Jan Harmensz. Mullers Serie „Raub der Sabinerinnen“. Hier kontrastiert die antiexpressive Haltung des Mapplethorpe’schen Paares erheblich mit der dramatischen Bewegtheit des Paares bei Muller. Diesen Kontrast erscheint als echte Überraschung: So statuarisch, hatte man gemeint, sei der statuarische Mapplethorpe gerade in diesen, einen Tanz andeutenden Bildern, dann doch nicht gewesen. Hier endlich gewinnt der Blick auf Mapplethorpe an neuer Schärfe. Sonst aber bleibt das Unternehmen an der Oberfläche und die „Vanitas-Allegorie“ Jan Saenredams steht, wenig verwunderlich, neben dem Schädelstillleben, das Mapplethorpe 1988 als „Skull“ betitelte.

Das Gefühl drängt sich auf, museumspolitische Aspekte mehr als kunsthistorisches Interesse hätten zum Konzept der Ausstellung geführt. Und dieses Gefühl wird durch den Katalog bestärkt, in dem die Zusammenführung der manieristischen Druckgrafik und dem Werk Mapplethorpes nicht weiter untersucht und begründet wird. Stattdessen gibt einen schwärmerischen Text von Arkady Ippolitov über das Porträt der eigenen Hand durch den Künstler bei Goltzius und Mapplethorpe; einen Versuch über die Allegorie im postmodernen Kunstwerk, in dem Jennifer Blessing Mapplethorpe aber nur am Rande erwähnt; und schließlich Germano Celants aus früheren Aufsätzen recycelten Text zu Robert Mapplethorpe und seinen Vorbildern Michelangelo und Auguste Rodin. Die medienhistorisch interessante Tatsache, dass sowohl Grafik wie Fotografie Reproduktionstechniken der Kunst sind, denen für die Verbreitung neuer Sichtweisen große Bedeutung zukommt, wird nur marginal gestreift.

Deutlich ist aber im Katalog zu lesen, dass es seit dem Jahr 2000 eine vertragliche Kooperation des Guggenheim Museums mit der Eremitage in Sankt Petersburg gibt. Diese Verbindung in einer Ausstellung visuell zu dokumentieren war dann vielleicht wichtiger, als einmal zu prüfen, ob das Projekt auch kunsthistorisch trägt und fruchtbar wird.

Bis 17. Oktober, Katalog (Hatje Cantz) 34 €