Einer gegen Bush. Alle für Amerika

Seit heute können Michael-Moore-Fans seine Jagd auf George W. Bush auch in Deutschland verfolgen: Mit der Dokumentation „Fahrenheit 9/11“ entlarvt Moore nach allen Regeln der Polemik die Hilflosigkeit des US-Präsidenten nach den Anschlägen am 11. September. Mit einer simplen Logik: Der schwache Präsident muss weg, Amerika wieder stark werden. Nach der Wahrheit sucht Moore erst gar nicht – das ist sein Problem. Gut funktioniert Moore an anderer Stelle: auf seiner Homepage

VON HARALD FRICKE

Wenn es um Fakten geht, ist Michael Moore hellwach. Als in der vergangenen Woche bisher unter Verschluss gehaltene Passagierlisten bekannt wurden, nach denen noch am 19. 9. 2001 – also acht Tage nach den Attentaten vom 11. September – mindestens 13 Verwandte Ussama Bin Ladens die USA per Flugzeug verlassen durften, wurde die News aus der Washington Post sofort auf seiner Homepage www.michaelmoore.com ins Netz gestellt.

Der „war on information“, den Moore führt, geht dank solcher Kleinigkeiten neu munitioniert in die nächste Runde. Mehr noch, jede nachträgliche Korrektur ist ihm eine Bestätigung für die richtige Tendenz, die er als Filmemacher mit „Fahrenheit 9/11“ gewählt hat. Schließlich hält sich trotz der Goldenen Palme für den besten Film in Cannes seit den ersten Screenings der Vorwurf, der Film sei eine schlecht montierte Zitatschlacht, wenn nicht eine geschmacklose Fiktion, mit der Moore in einem unpatriotischen Akt den Präsidenten als von der Wirklichkeit überforderten Trottel bloßstellen wolle – so zumindest wurde der Film nicht bloß von Sprechern des Weißen Hauses, sondern auch in großen Teilen des US-Feuilletons kommentiert.

Dabei ist es doch erstaunlich, wie häufig sich die Kritik vor allem vom liberalen Lager bis zum linken Rand ähnelt. Kein Bedenkenträger kommt ohne den Hinweis aus, er habe ansonsten null Sympathien für die Bush-Regierung, aber Moores Argumentation sei selbst nur Propaganda, die Parallelmontage der Bilder würde auf Emotionen statt auf Analyse setzen, und überhaupt: Geht es nicht ein bisschen dialektischer? Schnell misstraut man da der großen Erzählung, in die Moore die Ereignisse einbaut: Mit George W. Bush ist eine Marionette der Rüstungs- und Ölindustrie an die Spitze der US-Regierung gewählt worden, die ohnehin nur an die Macht kam, weil bei der Stimmenauszählung in Florida betrogen wurde; erst Bushs Unfähigkeit, sich mit den Gefahren eines weltweiten Terrorismus auseinander zu setzen, hat die 9/11-Katastrophe möglich gemacht; und die Kriege, die seither in Afghanistan und im Irak geführt wurden, dienen der Profitmaximierung von Konzernen, während Amerikas arbeitslose Jugend aus den Unterschichten an der Front verheizt wird. Mit anderen Worten: George Orwell hatte Recht, als er die Kontrollgesellschaft heraufziehen sah – deshalb zitiert Moore zum Schluss des Films auch Sätze aus „1984“.

Moores Mutantenstadl

Umgekehrt funktioniert vieles, was Moores Befürworter ins Spiel bringen, nach dem Prinzip „Augen zu und durch“. Wenn es der Abwahl von Bush dient, ist auch dumpfe Übertreibung okay. Aus dieser Sicht funktioniert „Fahrenheit 9/11“ wie die Aufrichtigkeitshymnen von Bruce Springsteen oder wie Neil Youngs „Rockin' in the Free World“, das Moore als notorischen Kampfgesang über den Abspann stampfen lässt. Wer will, mag in der minutenlangen Sequenz, in der der Präsident in einer Vorschule stumm in ein Kinderbuch mit dem Titel „My Pet Goat“ starrt, nachdem ihm eben der Angriff auf das World Trade Center mitgeteilt wurde, auch eine Satire sehen. Während Bush knopfäugig ins Leere blickt, redet Moore aus dem Off an seiner Stelle: „Habe ich mit den falschen Leuten abgehangen? Und wer hat mich so verarscht? Etwa die Taliban, die letztens zu Besuch da waren?“ Diese Art Kalauer kennt man aus Stefan Raabs „TV Total“, der ja ebenfalls viel durch die Programme zappt auf der Suche nach unfreiwilligen Dummheitsmomenten.

Selbstverständlich kann man sich fragen, ob Bush anders hätte reagieren müssen. Aber wäre er glaubwürdiger gewesen, wenn er gleich mit den Hufen gescharrt und zur Waffe gegriffen hätte? Hat Moore denn schon die Spirale der Gewalt vergessen, die er selbst mit „Bowling for Columbine“ vor zwei Jahren als Kern der amerikanischen Angstgesellschaft zum größten Problem der US-Gegenwart erklärt hat? Die Hilflosigkeit von Bush jedenfalls und die Unbarmherzigkeit, mit der Moore bei seiner Entlarvung vorgeht, ergänzen sich möglicherweise besser, als es dem Filmemacher lieb ist. Denn in der Logik von „Fahrenheit 9/11“ gilt es, den schwachen Präsidenten auszumerzen, um Amerika wieder zu stärken. Nachdem Moore bei seinem Filmdebüt „Roger & Me“ (1989) noch als Anwalt der Working Class auftrat, nimmt er nun mitunter einen unguten Feldherrenhügelton an, der zu seinem Spitznamen „The Big One“ passt. Viel Meinung, viel Ehre: „Man muss Bush jagen“, hat er bereits im Interview mit der französischen Libération gedroht, als wolle er demnächst höchstpersönlich im Weißen Haus einmarschieren.

Ohne den verächtlichen Kommentar wäre „Fahrenheit 9/11“ um einige Lacher ärmer, aber keineswegs weniger glaubwürdig in seiner Wut auf die Unfähigkeit der Politik, mit der Krise umzugehen. So aber reiht sich Bush bei Moore als Kretin und Knallcharge zwischen Dick Cheney, Donald Rumsfeld oder Tony Blair ein, deren Köpfe im Film als Einstimmung auf den Afghanistankrieg nach Pennälermanier auf die Körper der „Bonanza“-Familie kopiert sind (denselben Effekt hat Moore benutzt, als er für die US-Rocker von „System of a Down“ ein Anti-Bush-Video drehte). Um den Mutantenstadl vollständig zu machen, wird John Ashcroft mit der eigens geschriebenen Schnulze „Let the Eagle Roar“ vorgeführt, und Paul Wolfowitz darf sich in einer Sendepause mit Spucke die Haartolle glatt streichen – Moore muss ziemlich einflussreiche Freunde beim Fernsehen haben, die ihm solche Off-the-Record-Bilder zur Verfügung stellen.

Willige Infoware

Gedankt hat er es ihnen trotzdem kaum. Obwohl „Fahrenheit 9/11“ fast ausschließlich auf Fundstücken aus TV-Sendungen basiert, werden die vielen Credits nur für kurze Sekunden am Schluss eingeblendet. Die Offenlegung der Quellen ist nicht so wichtig, und auch im Verlauf des Films wird das gesamte diffuse Originalmaterial wie ein greller Bilderteppich bruchlos zusammengeschnitten. Nie weiß man, von wem die Aufnahmen stammen – CNN, Fox, al-Dschasira, alles wird unter der Regie von Moore zu williger Infoware. Dabei gibt sich der Regisseur als allwissender Editor, der wenig Wert auf den Kontext der jeweiligen Bilder legt: Als er Bush auf einem Golfplatz ernste Worte über den Terrorismus sagen lässt, die wiederum mit der Pointe „Und jetzt achtet mal auf diesen Schlag!“ enden, geht es gar nicht um 9/11, Bin Laden oder Saddam Hussein, sondern um ein Selbstmordattentat in Israel.

Gewiss hat dieses Vorgehen Methode. Einer der Ersten, die ihre eigene subjektive Wahrnehmung gegen das Material ausgespielt haben, war Marcel Ophuls. Wenn man sich seinen Film „Hotel Terminus“ zum Fall des Gestapo-Folterers Klaus Barbie anschaut, wird man viele Szenen finden, die der polemischen Vorgehensweise in „Fahrenheit 9/11“ merkwürdig nahe sind. Auch Ophuls führt die alten Nazis in den deutschen Dörfern vor, spielt den Clown, wenn er in Winterbeeten nach ehemaligen SS-Männern Ausschau hält. Aber darin liegt immer auch der Versuch, die Risse in der Geschichte kenntlich zu machen und zu zeigen, dass die eigene unstete Identität an Nachwirkungen in der Gegenwart gekoppelt ist: Ophuls fordert im Namen der Überlebenden Gerechtigkeit, er will die Lügen entlarven, die sich über der Vergangenheit aufgetürmt haben. Dazu gehört die Fähigkeit, sich mit den selbst produzierten Bildern auseinander zu setzen. Moore dagegen sucht immer nur nach Gleichgesinnten, die ihn in seiner Aufrichtigkeit unterstützen. Vor vier Jahren hat er für Ralph Nader gestimmt, als Bush die Wahl gewann; diesmal wird er auf die Demokraten setzen, also zeigt „Fahrenheit 9/11“ vor allem: kriegskritische Demokraten – obwohl die Partei sehr geschlossen für den Irakeinsatz gestimmt hat.

Zugleich bemüht sich Moore bei den wenigen von ihm selbst gefilmten Szenen allzu sehr um Einfühlung. Das erzeugt ebenfalls Widersprüche: Mal stilisiert er die Brutalität von US-Soldaten vor Ort in Bagdad mit grünstichigen Nachtaufnahmen, um den alltäglichen Horror der Iraker angesichts der Besatzer mit Effekten à la „Blair Witch Project“ zu steigern. Zurück in seinem Heimatort Flint, Michigan, wechselt er jedoch die Fronten und schildert nun in quälend langen Einstellungen die Trauer einer Mutter, deren Sohn im Irak gefallen ist. Die soldatischen Charaktere, die eben noch zum aufputschenden Slogan „Burn, motherfucker, burn“ durch Bagdad patrouillierten, werden nun zu schutzlosen Opfern der Kriegsstrategen des Pentagons. Irgendwo dazwischen liegt wohl die Wahrheit, doch danach sucht Moore bei seiner Jagd auf Bush nicht. Das ist ein Nachteil, ästhetisch allemal, aber auch gerade wegen der vielen bedenkenswerten Fakten.

Offenbar hat Moore mit dieser Kritik gerechnet. Deshalb steht auf seiner Homepage neben den News eine Reihe von Rubriken, die durchaus als Plattform für Gegenöffentlichkeit funktionieren. Soldaten im Irak können sich hier umsonst Moores letzten Bestseller „Dude, Where's My Country?“ oder die DVD „Bowling for Columbine“ schicken lassen; ein anderer Link führt zu einer Seite für Kriegsdienstverweigerer, zu Lesetipps von Danny Goldbergs Studie über die Einschränkung der Bürgerrechte seit dem 11. September bis hin zu Ahmed Rashids „Jihad: The Rise of Militant Islam in Central Asia“.

Viel Lärm für Unbehagen

Plötzlich funktioniert das Prinzip Michael Moore wieder wie früher zu Zeiten von „Roger & Me“: als Forum für all jene, die sich von der Politik im eigenen Land nicht mehr repräsentiert fühlen und in ihrem Unbehagen nach Unterstützung suchen. Der dicke Vierschrötige mit der Baseballkappe aus Flint macht mit seinem Film den Lärm, den es braucht, damit die Mehrheit der Amerikaner sich wieder ins Geschehen einschaltet.