Nichts mehr los in der Rosenallee

Jugendwerkstatt muss nach 27 Jahren aufgeben, weil Arbeitsagentur Zuwendungen auf einen Schlag einstellt. Schuld ist neue Förderstruktur, die Reha-Jugendliche nicht berücksichtigt. 54 Jugendliche und acht Mitarbeiter stehen auf der Straße

Von EVA WEIKERT

„Für mich sieht es schlecht aus“, sagt Nouri. Der Schüler trägt weiße Kochmontur und belegt gerade eine Pizza in der Küche der Jugendwerkstatt Rosenallee. Morgen soll die Einrichtung, die seit 27 Jahren Jugendliche mit Lernschwierigkeiten auf den Beruf vorbereitet, zum letzten Mal ihre Türen öffnen. Eigentlich wollte der 18-jährige Nouri im nächsten Jahr hier seinen Hauptschulabschluss machen. Doch die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat auf einen Schlag die Förderung eingestellt. „Wenn geschlossen wird“, sagt Nouri voraus, „beginnen viele von uns, sich wieder auf der Straße rumzutreiben.“

Das Todesurteil flatterte am Montag ins Haus. An diesem Tag erhielt die Werkstatt in St. Georg eine Absage von der Arbeitsagentur, Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Die wählt nämlich nach dem neuen Konzept der BA seit kurzem für den gesamten Norden die Träger von Berufsförderung aus. Die Maßnahmen werden als „Lose“ ausgeschrieben, um welche die Träger wetteifern müssen (siehe Kasten). Die Werkstatt hinter dem Hamburger Hauptbahnhof, die 54 als lernbehindert geltende Jugendliche ausbildet, hat den Wettkampf verloren und kein Los gewonnen.

Dabei sei man schon mit Niedrigpreisen ins Rennen gegangen, so Leiter Ove Stepputat. Doch die intensivere Betreuung von Lernbehinderten ist wegen höherer Kosten offenbar nicht konkurrenzfähig. Und reine, den Reha-Einrichtungen vorbehaltene Lose, hatte die Agentur gar nicht ausgeschrieben. So musste die Jugendwerkstatt gegen Mitbieter wetteifern, die etwa durch größere Personalschlüssel billigere Angebote abgeben konnten.

Jetzt fällt schon zum 1. August in der Rosenallee die Anschlussfinanzierung weg. Die 13 Lehrlinge fürchten um ihren Abschluss. Und auch ein Großteil der Schüler in Berufsvorbereitung weiß nicht, wie es weitergeht. Ulli Dressler vom Träger „Passage“ meint: „Das ist ein unbarmherziges Vorgehen der BA.“

Dressler fragt sich, ob ihn die Sprinkenhof AG überhaupt so schnell aus dem Vertrag über die Immobilie entlässt, die 83.000 Euro Miete im Jahr kostet. Größere Sorge bereitet dem Geschäftsführer aber, dass er acht Festangestellte von heute auf morgen entlassen muss. Sozialarbeiter Horst Kanthak zum Beispiel ist seit 13 Jahren dabei und „mit 56 Jahren auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt“, wie er konstatiert. Seine Schützlinge, von denen die meisten in sozialen Brennpunkten groß wurden und viele schon eine Knast- oder Drogenkarriere hinter sich haben, grüßen ihn im Treppenhaus einfach mit „Hallo Horst“. Sein Kollege, Werkstattleiter Hannes Wulf, warnt: „Wenn hier dichtgemacht wird, werden 27 Jahre Erfahrung mit dieser schwierigen Klientel zerschlagen.“

Doch darüber macht man sich im fernen Nürnberg keine Gedanken. Die BA habe „Behinderte und Nichtbehinderte in einen Topf geworden“, räumt dort Pressesprecherin Angelika Müller unverblümt ein, um „Einspareffekte“ zu erzielen: „Einen Qualitätsverlust für die Betroffenen sehen wir nicht.“ Auch dass eine Einrichtung „existieren kann, interessiert uns weniger“, so Müller, „uns geht es vor allem um die Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt“.

Weil die Hamburger Werkstatt darin Profi ist, hatte das hiesige Arbeitsamt 20 Jahre lang Jugendliche zu den Vorbereitungslehrgängen in die Rosenallee geschickt. Dort wolle man sich den neuen Bedingungen des Marktes stellen, betont Geschäftsführer Dressler. Im Preiskampf dürfe aber nicht „die Fachlichkeit der Betreuung von Reha-Jugendlichen auf der Strecke bleiben“.

Die BA versichert indes, bei „einem Rückschritt für diesen Personenkreis die Ausschreibungskriterien anzupassen“. Für die Werkstatt Rosenallee ist das kein Trost. „Ab Montag muss ich mir am besten einen Job suchen“, sagt Nouri, „aber es gibt ja keine.“