„Die wollen uns hier nicht“

Eine Gruppe im Schanzenviertel wird nicht geduldet, weil die Polizei sie der Drogenszene zuordnet. Sobald drei von ihnen zusammenstehen, hagele es Platzverweise, klagen sie. Jetzt ist der Platz vor dem Schanzenbahnhof leer und der Kiosk dicht

„Eine Misch-Szene mit weichen Drogen und Urinieren in Hauseingängen“

von tonio postel

Sie sind weg. Vor wenigen Monaten noch kamen die zehn bis 20 Männer und die eine oder andere Frau täglich her. Man traf sich am Kiosk des Jesus Center, um sich zu unterhalten und gemeinsam Bier zu trinken. Seit die Polizei jedoch die Personen laut Jesus Center „zwei- bis dreimal am Tag“ kontrollierte und immer wieder Platzverweise aussprach, ist der Platz gegenüber dem Sternschanzen-Bahnhof meist leer. Und der Kiosk hat inzwischen geschlossen.

Seitdem ist es ungewöhnlich ruhig auf dem Platz. Lärm kommt nur noch vom Autoverkehr und den vorbeirauschenden Zügen. Ab und zu machen einige Angestellte jetzt hier Mittagspause und genießen die seltene Sonne. Der Treffpunkt ist verloren, nicht aber die Gruppe. Heute treffen sie sich hinter dem Mini-Mal in der Altonaer Straße oder an dem Findling am Parkeingang Kleiner Schäferkamp. Doch geduldet werden sie auch hier nicht. „Sobald drei von uns zusammenstehen, kommt die Polizei“, sagt einer von heute nur fünf Männern und zwei Frauen. „Die zählen uns zur Drogenszene, deshalb“, ergänzt ein anderer. „Die scheren alle über einen Kamm.“

Kontrollen bei den einschlägigen Bürgern haben seit dem permanenten Platzverbot vorm Sternschanze-Bahnhof also nicht etwa abgenommen, bestätigt auch Polizeisprecher Ralf Kunz. Er spricht von einer „Misch-Szene“, die teilweise der Drogenszene zugerechnet und des Platzes verwiesen werde, weil sie bereits durch den Verkauf „weicher Drogen“ aufgefallen sei. Zudem würden sich die Anwohner häufig über Lärm und „das Urinieren in Hauseingängen“ beschweren, so Kunz.

Davon wollen die Beschuldigten nichts wissen. Außer Bier und „vielleicht mal einem Joint“ hätten sie mit Drogen nichts am Hut, und Ärger gebe es weder mit Ladenbesitzern noch Anwohnern. Bei den Unerwünschten herrscht Unverständniss: „Die kommen drei- bis viermal am Tag und dürfen uns für 24 Stunden vertreiben“, so der Tenor der Gruppe. „Und nach dem dritten Platzverweis können sie einen für 48 Stunden einbuchten.“

Für ihre Aufenthaltsorte, zwischen denen sie nun pendeln, haben sie den Namen „Bermuda-Dreieck“ gefunden. Eine Frau aus der Clique meint, den Grund zu kennen: „Die wollen das Viertel schick machen“ und wegen dem Hotelbau im Wasserturm „für die Bonzen herrichten“. Sie folgert: „Wir sollen wohl nur noch in der Wohnung abhängen.“ Den Gefallen wollen sie der Polizei aber nicht tun: „Wir wollen draußen sein, schließlich haben wir alle keinen Balkon.“

Viele derjenigen, die früher zum Platz vorm Schanzen-Bahnhof kamen, kehren jetzt im Café Augenblicke des Jesus Centers am Schulterblatt ein. Auch wegen der Polizei, aber nicht nur. Andere wollen generell keinen Treffpunkt in der Bude. Holger Mütze, Leiter des Jesus Centers, spricht sogar von einer insgesamt „glücklicheren Situation“, weil Hilfsbedürftige im Café eine „direktere Betreuung, warmes Essen, Wärme und keinen Alkohol“ erhielten.

Mütze ging bislang sogar davon aus, dass der Platz vor dem Schanzen-Bahnhof von einer Kamera auf dem S-Bahnsteig permanent überwacht wird. Doch sowohl Polizei als auch Deutsche Bahn dementieren da. Bahn-Mitarbeiterin Christine Forstmann versichert, die Kameras würden lediglich zur „Überwachung von Bahnsteig, Treppenbereich und zur Abfertigung der Züge“ verwendet.

Den Vertriebenen wirds egal sein. Sie sind längst weg.