zwischen den rillen
: Stumpf ist Trumpf

Die Compilation „Favela Booty Beats“ stellt Baile Funk vor, den großartigen Electro-Sound des schwarzen Rio de Janeiro

Man muss es stumpf mögen, wenn man seinen Spaß mit dieser Platte haben möchte, keine Frage. Produzieren heißt reduzieren – wenn das alte Rick-Rubin-Motto aus den Achtzigern heute irgendwo auf der Welt seine legitimen Adepten hat, dann in den Gettos von Rio de Janeiro. Baile Funk heißt die Musik, die mit der Compilation „Favela Booty Beats“ nun zum ersten Mal außerhalb Brasiliens veröffentlicht wird und mit den Verfeinerungsstrategien des Bossa Nova hat dieser Sound ähnlich viel oder wenig zu tun wie zeitgenössischer HipHop mit den verschiedenen Spielarten des Cool Jazz einige tausend Kilometer weiter nördlich.

Nein – so unangenehm es angesichts des musikalischen Reichtums Brasiliens immer wieder ist, darauf hinweisen zu müssen, das irgendeine Musik kein Teil des sich mittlerweile ja ohnehin über den ganzen Globus erstreckenden Bossa-Kontinuums ist –: wenn Baile Funk sich irgendwo verorten lässt, dann in der Bass-Kultur jener Formation, die die Kulturwissenschaft Black Atlantic zu nennen sich angewöhnt hat. Und deren Eckdaten sind recht einfach umrissen: Es ist eine Musik, deren Öffentlichkeit sich über wochenendliche Soundsystem-Partys organisiert, sie entwickelt sich weitgehend abseits der Musikindustrie, und die Lyrics gehen bevorzugt um Sex, Drogen, Gewalt und wer am besten rappen kann.

Wer hier an HipHop denkt, liegt richtig. Mehr als 1.000 Baile-Funk-Stücke hat DJ, Journalist und Essay-Recordings-Betreiber Daniel Haaksmann für die „Favela Booty Beats“-Compilation durchgehört und 18 Stück ausgewählt. Und wohin man hört, der HipHop-Bezug ist überdeutlich. Von Hits wie MC Naldinho Beths „Tapinha“ bis zu der Gitarrensample-beschwerten RunDMC-Hommage „Popozuda Rock ’n’ Roll“ von De Falla. Mal ruft Africa Bambaataa ein fröhliches „Party People!“ in die Runde, dann bolzt es wieder, als sei bei einer Lagerhausauflösung ein Stapel alter Todd-Terry-Maxis unter das Partyvolk von Rio gebracht worden, mal wird ein Stadion-HipHop-Kracher wie „Who Let The Dogs Out?“ verwurstet. Manchmal hört es sich allerdings auch an, als hätte ein Produzent eine Joy-Division-Platte durch die Mangel genommen. Ohne Rücksicht auf Copyright oder Verluste wird hier alles gesampelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, immer auf den direkten Effekt hin. Dazu wird auf Brasilianisch gerappt. Sophistication buchstabiert sich anders.

Diese Referenzen sind kein Zufall. Interessanterweise hat sich der Sound des schwarzen Rio in den letzten dreißig Jahren mit kleinen Zeitverzögerungen in einer Parallelbewegung zum Sound der Metropolen von Nordamerika entwickelt. Ganz ähnlich, wie sich HipHop in New York auf Blockpartys aus Disco und Funk herausschälte und seine spezielle Ruffness durch den Einsatz von Drumcomputern bekam, hatte Rio in den späten Siebzigern eine weit verbreitete Soundsystem-Kultur, wo nordamerikanische Disco- und Funkproduktionen gemischt mit einheimischen Platten gespielt wurden. Anders als in den USA spielte sich das aber unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit ab, die mit Rio eben lieber Samba oder Bossa assoziierte.

Baile Funk entstand Ende der Achtziger, als die ersten Miami-Bass-Stücke ihren Weg nach Rio fanden, jene HipHop-Unterabteilung, die es mit der 2 Live Crew und ihrem „Me So Horny“ einmal an die Spitze der weltweiten Charts schaffte und dann wieder vergessen wurde: eine tiefer gelegte HipHop-Spielart, die auf der Kickdrum des Roland-808-Drumcomputers beruht und lyrisch bevorzugt um die Hinterteile von Striptänzerinnen kreist.

Der Bassdrum-Sound der 808 wiederum erinnerte die Baile-Funk-Produzenten an den Klang der Surdo, der Rhythmus definierenden Sambapauke – was man auf der Compilation sehr schön nachvollziehen kann, da als Bonustrack eine Sambaversion des Baile-Krachers „Tapinha“ angehängt ist, die sich nur durch ein Mehr an perkussivem Gerassel von ihrem digital rockenden Original unterscheidet.

Was Baile Funk jedoch besonders auszeichnet, ist eine Freude am stumpfen Geholze, die den meisten US-amerikanischen HipHop-Produktionen seit langem fehlt. Wäre diese Musik nicht von so einer überzeugenden Gewalttätigkeit, man wäre versucht, diese Freude unschuldig zu nennen. Es mag mit der Autarkie dieser Musik zusammenhängen, mit dem Umstand, dass sich diese Musik lange Jahre entwickeln konnte, ohne auf ein anderes Publikum Rücksicht nehmen zu müssen als auf jene vielen tausend, die Wochenende für Wochenende zu den Soundsystems pilgern. TOBIAS RAPP

V. A.: „Baile Funk – Favela Booty Beats“ (Essay Recordings/Universal)