Die Lust am Widerspruch

Wie eine Katze die Thora, den Talmud, die Mischna und die Gemara studiert und sich den Wunsch nach einer Bar-Mizwa-Feier erfüllt: Der französische Zeichner Joann Sfar hat mit „Die Katze des Rabbiners“ einen heiteren Comic und zugleich eine hübsche Einführung in die jüdische Kultur verfasst

Die menschliche Sprache erlangt der Kater nach einem klassischen Sündenfall: Er meuchelt den Papagei der Familie – er war ihm lästig

VON KATJA LÜTHGE

Sind sprechende Katzen, die in einem jüdischen Haushalt leben, deswegen selber Juden? Sollte man einem solchen Kater den Wunsch nach seiner Bar-Mizwa-Feier erfüllen? Oder sollte man, wie der Rabbiner des Rabbiners es empfiehlt, das anmaßende Viech einfach ertränken? Heikle Fragen, die „Die Katze des Rabbiners“ auf charmante Weise aufwirft. Der französische Szenarist und Comic-Zeichner Joann Sfar hat der Katze, die ein Kater ist und gern ein guter Jude werden möchte, bislang nicht nur drei wunderbare Comic-Alben gewidmet. Mehr noch erschuf er ihr eine märchenhafte jüdisch-maghrebinische Welt, die von Brigitte Findakly kongenial koloriert ist.

Die charakterlich zweifelhafte Katze lebt in einem kleinen Küstenstädtchen gemeinsam mit seinem Herren, einem rechtschaffenen Rabbi, und dessen schlauer Tochter Zlabya. Die menschliche Sprache erlangt sie nach einem klassischen Sündenfall: Sie meuchelt den Papagei der Familie – er war ihr einfach lästig. Nun mag man den Vogelmord als typisches Raubtierverhalten noch hinnehmen. Skandalös ist aber das kaltblütige – die Federn kleben noch in den Mundwinkeln – Leugnen der Tat, schon ihr allererster Satz ist also eine Lüge. Unlauter ist bei genauerer Betrachtung auch die Motivation zum religiösen Bekenntnis. Der Kater liebt seine Herrin, die schöne Zlabya, und hofft zu Unrecht auf eine gemeinsame Zukunft.

Es ficht den selbstbewussten Kater nur wenig an, dass der Rabbi in ihm wohl kaum den idealen Begleiter seiner Tochter sieht, obwohl er weiß: „Mein Meister findet, dass ich ein schlechtes Tier bin. Dass ich lüge, wenn ich es nicht tun sollte, und die Wahrheit nur sage, wenn es schmerzt.“ Aber welch lehrreiche Dialoge und Dispute entwickeln sich aus dieser eindeutig unerfreulichen Disposition! Und wie schön die Bilder, die Sfar für die notorische Nervensäge findet. Kein gerader Strich stört das selbstvergessen-intellektuelle Milieu, sogar die Panelrahmen sind freundlich-vorindustriell gerundet. Ornamentale Hintergründe wechseln mit schattenrissartigen Porträts, und manchmal gelingen dem eher zum Krakeln neigenden Sfar sogar recht schöne Katzen(nicht)bewegungsstudien. Bemerkenswert sind in jedem Fall die Körpersprache und die Mimik der Figuren, die das gesprochene, das gedachte Wort je auf den Punkt bringen.

Bei Joann Sfar, so viel ist sicher, sind das Studium der Philosophie und der Malerei eine fruchtbare Verbindung eingegangen. Sfar ist in Frankreich äußerst populär, und gemessen an seinem Alter – er ist 33 Jahre alt –existiert mittlerweile eine riesige Anzahl von Veröffentlichungen. „Le petit monde de Joann Sfar“ (www.pastis.org/joann), so der Name seiner Homepage, ist in Wirklichkeit eher ein Kosmos unglaublicher Geschichten.

Sfar zeichnet und schreibt scheinbar ununterbrochen. Mal im Teamwork, wie etwa bei der haarsträubenden „Donjon“-Comicserie, unter anderem gemeinsam mit dem auch sehr produktiven Lewis Trondheim, und häufiger auch allein. Er macht nette Comics für Kinder, wie den „Petit Vampire“, zeichnet und textet aber überwiegend für ein älteres Publikum, zum Beispiel den „Grand Vampire“. Auffällig ist in diesen Arbeiten die hohe Dichte an Monstern, schrägen bis eigentlich unmöglichen Existenzen und eine gewisse Blutrünstigkeit. „Die Katze des Rabbiners“ bildet so gesehen eher eine Ausnahme. Immer wieder schöpft Sfar, selbst Jude, auch aus dem überlieferten Fundus der jüdischen Kultur, beispielsweise mit dem Album „Le petit monde du Golem“.

Der kleine Berliner Avant-Verlag hat nun dankenswerter Weise begonnen, Teile des umfassenden Sfar’schen Werks auch für ein nicht französischsprachiges Publikum zugänglich zu machen. Neben den beiden „Katzen“-Bänden ist dort jetzt auch die erste Folge der ungleich düstereren und fantastischeren „Professor Bell“-Serie erschienen.

Mehr als ein heiter-anregendes Comic-Album, ist „Die Katze des Rabbiners“ aber auch eine hübsche Einführung in das Judentum. Nun erfährt man zwar wenig über die zahlreichen religiösen Praktiken, die das tägliche Leben streng gläubiger Juden organisieren, aber viel über die jüdische Art des Weltzugangs. Auf idiosynkratische Weise illustriert Sfar die Lust am Widerspruch und die Ambivalenz der Dinge. So ist es eben ein Wunder, dass die Katze spricht, aber gleichzeitig auch ein großes Unheil, weil sie lügt.

Schön zu sehen, wie Zuneigung und Kapitulation dann dazu führen können, eine Katze die Thora, den Talmud, die Mischna, die Gemara studieren zu lassen. Denn den Vorschlag des Rabbiners des Rabbiners, die obstinate Katze zu ertränken, lehnt der Rabbi mit dem Hinweis auf seine – wenn auch leidgeprüfte – Liebe zu ihr ab. Und wenn, wie der Rabbi der Katze erklärt, die abendländische Logik durch These, Antithese, Synthese gekennzeichnet ist, die jüdische Lehre hingegen durch These, Antithese, Antithese, Antithese, Antithese – ja, dann ist die Katze ganz sicher schon jetzt ein guter Jude. Nur Hunde werden diese Alben wahrscheinlich nicht mögen.

Joann Sfar: „Die Katze des Rabbiners“, 1. „Die Bar-Mizwa“, 2. „Malka, der Herr der Löwen“, Avant-Verlag, Berlin 2004, 48 Seiten; „Professor Bell – Der Mexikaner mit den zwei Köpfen“, ebendort, alle 14,95 €