ruhe im karton von WIGLAF DROSTE und RALF SOTSCHECK
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Klaus Thomas Mann hatte zu einem seiner legendären Gelage in den Norden der Grafschaft Clare gebeten, und so warfen wir unsere ausgemergelten Leiber ins Automobil. Der Pfälzer Gastgeber empfing uns mit vorbildlicher Großzügigkeit, gab jedem seiner acht Gäste einen Cocktail aus Pfirsichmus, Pfirsichlikör und klatschkaltem Prosecco in die Hand, machte galant wie ein tänzelndes Pony die Honneurs, um uns dann ohne unnötige Umschweife zu füttern.

Auf die überbackenen Austern mit Béchamel und schwarzen Trüffeln ließ er eine Entenleberpastete folgen, der man die kompetente Massage durch den Koch anschmeckte; der Muskateller dazu tat ein Übriges, uns gleichermaßen in die Bestuhlung zu drücken wie himmelwärts zu heben – es ist wohl diese Dialektik aus wohliger Irdenschwere und metaphysischer Leichtheit der tiefe Grund aller Schlemmerei. Den ersten Wonnen kaum entronnen, wurden wir mit Hummer gelabt, und nach dem Steak Wellington wusste einer der anderen Gäste die Schlacht von Waterloo zu erzählen. Wir aber waren froh, dass es Nacht war und kein Preuße kam, uns den Roten fortzutrinken und den Käse zu stibitzen.

Der Abend war bei den Geschichten angelangt. Die schönste erzählte die Buchhändlerin Ulla Britt aus Speyer. Ein ebenfalls dort ansässiges Ehepaar hatte beschlossen, sich im lokalen Media Markt einen neuen Fernsehapparat anzuschaffen – ein großer Panasonic mit Flachbildschirm sollte es sein. Die beiden stiegen in ihren Kombi und fuhren los, an Bord hatten sie ihren Bernhardiner. Sie parkten am Media Markt. Es war ein drückend heißer, schwüler Tag, auf keinen Fall wollten sie den Hund im Auto zurücklassen, zumal das Tier schon etwas älter war und schwächelte. Zu dritt schleppten sie sich über den gar gekochten Asphalt zum Eingang der Media-Markt-Filiale. Dort angekommen, wurde ihnen vom Personal beschieden, dass Hunden kein Zutritt gewährt werden könne.

So machten die drei kehrt. Als sie einen kleinen Teil des Rückwegs geschafft hatten, brach der Bernhardiner tot zusammen. Diesen Vorfall hatten die Angestellten des Media Markts beobachtet, die eben noch dem Hund die Tür gewiesen hatten. Offenbar von schlechtem Gewissen getrieben, kamen sie auf den Parkplatz gelaufen, kondolierten und boten an, die Hundeleiche vorläufig zu versorgen. Das Angebot wurde akzeptiert, der Hund in einen großen Karton mit Panasonic-Aufschrift getan, dieser verschlossen und in den Laderaum des Kombis gelegt.

Die Angehörigen des Hundes schwankten zwischen Pietät und Pragmatismus – der Tod ihres Tieres schmerzte sie, andererseits hatten sie auch den weiten Weg gemacht, um einen Fernsehapparat zu kaufen. Das Personal des Media Marktes erwies sich als feinfühlig und hilfreich bei der Entscheidungsfindung. Der vom Unglück heimgesuchten Kundschaft wurde ein äußerst großzügiger Rabatt angeboten, und so betraten sie das Kaufhaus doch noch und erwarben das gewünschte Gerät. Vom zuvorkommenden Personal mit ihrem Einkauf zu ihrem Auto begleitet, fanden sie die Heckklappe des Kombis aufgebrochen und die Ladefläche leer. Der Karton mit dem toten Bernhardiner war verschwunden.