Das irakische Experiment

Das Vorgehen der Amerikaner im Irak ist legitim, weil es der Demokratisierung dient. Bei einem Scheitern würde auch die Hoffnung auf einen Wandel in der Region schwinden

Der Sieg im Irak war erforderlich, um die Gesellschaften des Nahen Ostens umzugestalten

Ein Argument hat sich durchgesetzt, wenn es zum Klischee wird. Die gegen die Regierung der USA erhobenen Vorwürfe bezüglich des Krieges gegen Irak und des Sturzes des Regimes von Saddam Hussein wurden von so vielen übernommen, dass nur wenige der Amerika-Kritiker sie infrage stellen. Vielleicht kann dann ein Unterstützer des Irakkrieges den Versuch wagen.

Für jene im Nahen Osten, die sich als Liberale betrachten und die den größten Teil ihres Lebens damit verbracht haben, sich durch Diktaturen und das Ersticken demokratischer Freiheiten zu bewegen, repräsentiert der Irak die erste reale Gelegenheit, einen mächtigen arabischen Staat in eine pluralistische Ordnung zu überführen. Dies ist immer noch der Fall – wenn die USA nicht von einer Situation davonlaufen, die sie seit 2003 systematisch falsch gehandhabt haben. Darüber hinaus müssen die USA die regionale Demokratisierung weiter voranbringen, da nur dies die unterschiedlichen, oft gewalttätigen Manifestationen arabischer Unzufriedenheit überwinden kann.

Die Idee, dass ein demokratischer Irak, vor allem durch sein Bestreben, sich von den USA zwar zu lösen, gleichzeitig aber gute Beziehungen zu ihnen aufrechtzuerhalten, keine Wirkung auf die autokratischen Nachbarn hat, ist schlicht falsch. Ein Scheitern im Irak oder auch schon Abstriche von seinen Zielen, wie sie in letzter Zeit zu beobachten waren, wird nur jene arabischen Regime erfreuen, die Demokratie in der Region fürchten. Die USA haben ihre Ambitionen schon heruntergefahren, aber das irakische Experiment, wenn es angemessen gehandhabt wird, kann eine Grundlage für regionale Veränderung sein.

Seit die USA 2003 den Irak angriffen – und sogar schon vor diesem Zeitpunkt –, gab es die merkwürdige Ansicht, dass im Nahen Osten im zurückliegenden Jahr vor allem das Fehlen internationaler Legitimität zu beklagen war, wie sie die Vereinten Nationen verkörpern.

Das Argument der fehlenden internationalen Legitimierung mutet seltsam an. In der Tat gelang es den USA nicht, ihren Krieg durch eine zweite Resolution des Sicherheitsrats autorisiert zu bekommen, aber sie agierten im Rahmen der UNO und erhielten für die Resolution 1441 eine Mehrheit im Sicherheitsrat. Diese reichte unter Umständen auch schon aus, um einen Angriff zu legitimieren. Sie sind anderer Ansicht? Nun, fragen wir einen mutmaßlichen Gegner der US-Intervention: Frankreichs Botschafter in den USA, Jean-David Levitte. Laut einem Artikel in dem Magazin Vanity Fair bot er den USA am 13. Januar 2003 einen Deal an, durch den er eine Konfrontation zwischen Frankreich und den USA im Sicherheitsrat vermeiden wollte. Levitte „schlug [US-Sicherheitsberaterin Condoleezza] Rice vor, dass die Vereinigten Staaten, sollten sie zum Krieg entschlossen sein, sich nicht um eine zweite Resolution bemühen brauchten, dass die Resolution 1441 dem Weißen Haus nach verbreiteter Ansicht ausreichend Rückendeckung liefere und dass Frankreich sich ruhig verhalten werde, sollte die [Bush-]Administration losschlagen“. Ironischerweise beschlossen die USA den Gang in den Sicherheitsrat, weil sie dies dem britischen Premierminister Tony Blair versprochen hatten, der eine UN-Resolution benötigte, um den Anspruch seiner Wählerschaft auf Legitimität zu erfüllen. Auch auf einer generelleren Ebene ist das Problem der Legitimität offen für unzählige widersprüchliche Interpretationen. War der Kosovokrieg illegitim, weil die UN ihn nicht genehmigt haben? War die internationale Gleichgültigkeit in Ruanda legitim, weil es einen Konsens in der UN gab, sich aus dem Blutbad herauszuhalten?

Das zweite Argument, das gegen die Bush-Administration vorgebracht wird, ist der Vorwurf, der Irakkrieg sei nichts anderes als eine neokoloniale Unternehmung, die die USA heuchlerischerweise als „Verbreitung von Demokratie“ verkauft hätten. Dieses Argument geht aber darüber hinweg, dass die Bush-Administration am 11. September erkennen musste, dass Nahostpolitik sehr viel mit der Bedrohung der inneren Sicherheit der USA zu tun hat.

Die Verbindung zwischen Saddam und al-Qaida war stets dünn, und darauf hinzuweisen war nur ein Vorwand: Irak war ein wesentlicher Bestandteil des Krieges gegen den Terror, denn der Sieg dort war erforderlich, um die Gesellschaften des Nahen Ostens umzugestalten. Diese Gesellschaften und die sie unterdrückenden Regime hatten die Terroristen hervorgebracht. Viele lachen darüber. Die Ironie dabei ist jedoch, dass die schärfsten Kritiker der US-Politik genau dieses Argument jahrelang verwendeten und darauf hinwiesen, dass Washingtons Unterstützung autokratischer arabischer Regime dort die Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Widerstandsaktionen erhöhte.

Der dritte Punkt – vor allem, dass die Vereinigten Staaten mit ihrem Vorgehen im Irak das System souveräner Staaten beschädigt haben – ist zutreffend, aber nicht wirklich zu bedauern. Das System der Nationalstaaten neigt implizit zur Zementierung des Status quo und hat daher arabischen Autokraten lange erlaubt, sich an der Macht zu halten. Nur weil die Souveränität eines Staates unverletzlich war, konnte Saddam Hussein in den 80er-Jahren mehr als 100.000 Kurden ermorden und dennoch weiter als legitimer Staatschef gelten.

Auf den Punkt gebracht, bleibt die friedliche demokratische Reform in der arabischen Welt so lange eine Illusion, wie die arabischen Regime über Waffengewalt verfügen. In diesem Kontext besteht die einzige Hoffnung für Wandel hin zu mehr Liberalität – denn Militärputsche sind in der Regel undemokratisch – aus einer Kombination von Erzwingung von außen, was (sorgfältig begrenzte) militärische Machtausübung einschließt, und verstärktem Druck aus dem Innern der arabischen Gesellschaften, damit diese sich öffnen. Dafür gibt es keine Zauberformel. Wer aber Gewaltanwendung prinzipiell ablehnt, beraubt sich eines wesentlichen Instruments, das Reformen beschleunigen könnte.

Das System der Nationalstaaten neigt implizit zur Zementierung des Status quo

Die USA müssen sich außerdem um die Achillesferse ihres Kreuzzugs für Demokratie kümmern: die Situation in Palästina. Liberaler Wandel sollte nicht durch die Palästinenser blockiert werden, aber von außen kommende Bemühungen um eine freiheitliche Ordnung im Nahen Osten bleiben getrübt, solange den Palästinensern deren Früchte vorenthalten werden.

Beim Irak war das Wichtige stets die Demokratie. Gerettet wird das Projekt vielleicht noch von den Irakern selbst. Viele hoffen auf ein Scheitern der USA und glauben, dass der gespaltenen und eingebildeten UNO gelingt, was der Bush-Regierung verwehrt bleibt. Bedauerlich ist, dass die Amerikaner dies selbst zu glauben beginnen. Der Schein internationaler Legitimität könnte schon bald im Irak wiederhergestellt sein. Aber es wäre schade, wenn alle Hoffnung auf breiten demokratischen Wandel in der arabischen Welt mit ihr verflöge. MICHAEL YOUNG

aus d. Englischen: Stefan Schaaf