„Es kommt eine Rebellion auf uns zu“, sagt Christoph Butterwegge

Hinter der neuen Linkspartei stehen die von Verarmung bedrohten Mittelschichten, die Armen haben resigniert

taz: Herr Butterwegge, eigentlich wurden Arbeitslose immer als zu passiv für politische Aktionen abgeschrieben. Jetzt gehen tausende gegen Hartz IV auf die Straße. Kann eine neue Linkspartei das nutzen?

Butterwegge: Natürlich, Umfragen geben ihr schon jetzt bis zu 16 Prozent. Allerdings muss man klar zwischen Kritikern der rot-grünen Regierungspolitik und Langzeitarbeitslosen, also unmittelbar von Hartz IV Betroffenen, trennen. Revolutionen gehen selten von den sozial Verelendeten aus; diese sind eher Objekte der Politik und selten selbst Akteure. Vielmehr ergreifen Gruppen die Initiative, die etwas zu verlieren haben. Deshalb sind richtungweisende Impulse nicht von Arbeitslosenhilfeempfängern zu erwarten. Sondern von normalen Arbeitnehmern, die fürchten müssen, ihren Job zu verlieren. Und denen später der soziale Absturz droht.

Sie sprechen von Revolution. Bundesweit schließen Arbeitsagenturen Verträge mit Wachschützern aus Angst vor der Wut ihrer angeblichen Kunden. Was kommt da auf uns zu?

Eine Revolution wohl kaum, aber vielleicht eine Rebellion, wie es sie in der Bundesrepublik bisher nie gab. Denn Hartz IV wird dieses Land tiefgreifend verändern. Anfang 2005 gibt es zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte einen massiven Schub gesetzlich verordneter Armut. Die Arbeitslosenhilfe wird abgeschafft. Gleichzeitig sinkt der Spitzensteuersatz für Besserverdienende ein weiteres Mal. Das lässt bei den Reichen Champagnerlaune aufkommen. Darauf könnten jetzt schon Unterprivilegierte mit dumpfer, ungerichteter Gewalt reagieren. Und die von Verarmung bedrohten Mittelschichten eher mit dem Stimmzettel.

Dann ist die Linkspartei also keine Bewegung von unten?

Dazu fehlt es den sozial Benachteiligten an finanziellen, organisatorischen und intellektuellen Ressourcen. In diesem Fall sind zwei Strömungen beteiligt: Die eine wird aus Gewerkschaftsfunktionären geformt, vor allem aus Bayern. Die andere vor allem von linken, meist auch gewerkschaftlich orientierten Intellektuellen. Überhaupt kommt die neue Partei sehr stark aus der gesellschaftlichen Mitte, die Gewerkschafter entstammen der mittleren Funktionärsebene. Köpfe von oben, also aus der großen Politik, treten derzeit ebenso wenig in Erscheinung wie Unterprivilegierte. Der Wahlalternative fehlt die prominente Lokomotive.

Ist das wichtig?

Die Macher sind nicht ausschlaggebend, entscheidend ist vielmehr, ob sie einen großen Teil der Bevölkerung erreichen. Menschen, die sehr lange arbeitslos waren, dürften resigniert haben. Sie mögen mit den Zielen einer Linkspartei sympathisieren, wenn sie von Demoskopen befragt werden. Aber ob sie wirklich wählen gehen, ist mehr als unsicher.

Die Mobilisierung sollte derzeit gar kein Problem sein, selbst die Bild- Zeitung ist zu einem linkspopulistischen Blatt geworden. Gewinnt die Linkspartei mit Springer Wahlen?

Zumindest geben sich viele Zeitungen derzeit einen linken Anstrich. Das ist bei den Massenmedien, die Unterprivilegierte lesen, etwa Super Illu und Bild, ähnlich wie beim Mittelstandsmedium Stern. Aber was dort im Zusammenhang mit Hartz IV verbreitet wird, ist eine düstere Katastrophenstimmung. Die wirkt nicht sonderlich mobilisierend. In der Boulevardpresse kommt hinzu, dass sie sehr plastisch Einzelschicksale schildert. Viele Leser werden denken, dass es ihnen nicht so schlecht geht wie denen, über die ihre Zeitung so rührend berichtet. Die derzeitige Stimmungslage in den Medien ist also ambivalent. Sie machen ein Hauptthema der neuen Partei populär und geben den Betroffenen das Gefühl der Gemeinsamkeit und damit von Stärke. Andererseits verstärken sie Resignation und geben der aufgestauten Wut ein Ventil.

Diese Wut nutzt derzeit ausnahmsweise nicht den Rechten.

Ja, solange die neue Partei in der Öffentlichkeit die Position des Protestes besetzt, werden es Rechte schwerer haben. Es ist nicht so, dass die Wahlalternative nur Anhänger unter den Linken hat. Ehemalige CDU-Wähler sind genauso dabei wie solche, die sonst rechtsextreme Parteien wählen würden. Wenn die Wahlalternative nur linke Wähler anspräche, hätte sie schlechtere Umfrageergebnisse. Sie würde höchstens bei fünf Prozent herumdümpeln. Aus dem Osten weiß man, dass auch die PDS rechtes Protestpotenzial auffängt.

Die PDS hat der Wahlalternative angeboten zusammenzuarbeiten. Würde dies potenzielle Wähler im Westen verschrecken? Oder ist die Diskussion um die Vergangenheit der SED-Nachfolgepartei eher ein Problem der Intellektuellen?

Auch für andere Westdeutsche ist die PDS ein Feindbild, denn sie verkörpert immer noch die kommunistische Diktatur. Zudem gilt die PDS als Interessenvertretung der Ostdeutschen, was ein zusätzliches Problem darstellt. Hartz IV führt nämlich zu einer sozialen Spaltung und einer regionalen Entsolidarisierung in Deutschland. Besonders den sozial Verelendeten ist der Ost-West-Gegensatz wieder stärker bewusst. Viele aus dem Unterschichtmilieu im Westen machen gerade jetzt Ostdeutschland für ihre eigene Misere verantwortlich. Die PDS repräsentiert für sie den Osten. Wenn sich die Wahlalternative mit ihr zusammentut, dürfte sie das im Westen Stimmen kosten.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ