Die Achse des Sprechgesangs
: Der Verlierer

Am Main, da ist die Welt noch in Ordnung: Penner kriegen aufs Maul, Huren werden auf die Knie gezwungen, Nutten ins Gesicht gefickt und kleine Ratten müssen Samen schlucken. Allerdings: „Der Bozz“, zu dem sich Azad in klassischer Battle-Manier mit seinem dritten Album höchstselbst ernannt hat, spuckt zwar vehement, klingt im Vergleich zum aktuellen Spitzenschimpfer Sido aus Berlin aber recht altbacken. Dessen schwer authentischen Geschichten von Sex & Drugs & Techno hat der alte Mann aus der Frankfurter Nordweststadt vornehmlich Militärmetaphern und Obszönitäten entgegenzusetzen. Trotzdem begibt er sich tapfer in direkte Konkurrenz zu Sido, kontert dessen Hit „Mein Block“ mit einem Track gleichen Namens, dessen Refrain „Mein Block, mein Revier, mein Geld“ sogar eine ähnliche Hookline benutzt – und zieht den Kürzeren. Dafür versuchen sich Azad und seine hessischen Kumpels auch schon mal lyrischer als die Konkurrenz aus Berlin, packen ein paar Metaphern aus und hören zwischenzeitlich mal auf zu fluchen. Weil aber die Beats so dauerstumpf daherbollern, kommt der große alte, verkannte Mann des deutschen Rap niemals in die Gefahr, als zu sensibel durchzugehen. Sonst hätte er sich zu Hause auch nicht mehr blicken lassen können. THOMAS WINKLER

Azad: „Der Bozz“ (Bozz/Universal)

Der Handzahme

Vier Alben hat Ferris MC benötigt, um eines nach sich selbst zu benennen. Das passt zur in der Szene verbreiteten Egozentrik, aber dafür hat der Hamburger Rapper auf „Ferris MC“ mehr als die üblichen Lobeshymnen auf die Drogen und Beschimpfungen der Gegnerschaft im Angebot: Einer so sozialkritischen wie autobiografischen Studie einer Jugend aus Armut und Trabantenstadt, Verwahrlosung und Missbrauch folgt eine weniger gerappte denn tatsächlich gesungene Liebeserklärung an die „Traumfrau“, die mit ein wenig Tuning auch von Pur hätte gefahren werden können. Und hätte sich „Warum ich“ auf eine ihrer Platten verlaufen, würden sich die von Ferris und Freunden so ausgiebig gehassten Fettes Brot auch nicht beschweren. Der Battle-König allerdings war Ferris noch nie, und trotz aller Bemühungen wird er im Vergleich zu den Berliner Marktführern endgültig zum handzahmen Assi mit begrenztem Schockwert für Schwiegermütter degradiert. Sein Konzept, mit Hasenscharte und proletarischem Hintergrund die Missgeburt für den Mainstreamkonsumenten zu geben und so hervorzustechen aus dem vermeintlich gymnasial gesäuberten Deutsch-Rap, hat nun ausgedient, da Sido und seine Freakshow die Kinderzimmer regieren. THOMAS WINKLER

Ferris MC: „Ferris MC“ (Yo Mama/Sony)

Das Opfer

Die Harleckinz haben es versucht, und auch Moses Pelham und Xavier Naidoo waren schon mal in den USA, um dort den Durchbruch zu schaffen. Nach ein paar Monaten kamen sie demütig alle wieder zurück, dankbar für den beschaulichen deutschen Markt. Raptile war entweder nicht lang genug im Mutterland des HipHop oder hat ein unerschütterliches Selbstwertgefühl. Sein Album „Classic Material“, eins der wenigen englischsprachigen aus Deutschland, wird von seiner Plattenfirma mit dem Argument beworben, der Rapper aus München stehe kurz vor dem internationalen Durchbruch. Dazu hat man ein ausuferndes Aufgebot an US-Rappern und -Produzenten versammelt, unter denen sich mit Xzibit und Redman tatsächlich ein paar Stars befinden, und kolportiert einige Zitate von US-Größen, nach denen Raptile ein „cool dude“ und „very talented artist“ sei. Nun regeln sich Kollaborationen im HipHop-Geschäft immer noch vornehmlich über den Preis. Wie auch immer: Die Strategie wird nicht verfangen. In Übersee ist das Rapper-Angebot so groß, dass niemand auf Nachschub aus Bayern angewiesen ist, und wer sollte sich hierzulande halbwegs gut nachgemachten Ami-Rap holen, wenn er die Originale haben kann? Ein Dilemma, das auch Raptile nicht auflösen wird. THOMAS WINKLER

Raptile: „Classic Material“ (BMG)