Schwimmen in Reinbek

Nina Zamar, Thor Kunkel, Norma Khouri, der Kindler Verlag, das „Kursbuch“: Der Rowohlt Verlag ist in diesem Jahr ein unfreiwillig fleißiger Produzent von Schlagzeilen geworden. Er hat Schwierigkeiten damit, die eigene Tradition und die Erfordernisse der Gegenwart miteinander in Einklang zu bringen

VON GERRIT BARTELS

Wer sich dieser Tage trotz des schönen Wetters in Buchhandlungen herumtreibt, dem dürften an den Ein- und Ausgängen die Aufsteller mit den grell gestalteten Taschenbüchern darin auffallen: Verführerisch-bieder lächeln dort junge Damen von einem bunten Fünfzigerjahre-Retrodesign-Cover herunter und sollen bei einem Preis von 6,99 Euro zum schnellen Mitnehmen animieren. Allerdings lassen sich vor lauter Grellbuntheit kaum Titel und Autoren der Bücher erkennen: Frédéric Beigbeiders Werberroman „39.90“ etwa, Virginie Despentes Literaturporno „Baise-moi“, Jack Kerouacs Beatklassiker „On The Road“, Michel Houllebecqs „Plattform“ – alles Bücher, die sich bei ihrer Erstveröffentlichung irgendwo zwischen den Polen Kult, Provokation und Skandal bewegten.

Ausgedacht hat sich diese Aktion der in Reinbek bei Hamburg residierende Rowohlt Verlag, der damit wie jeden Sommer etwas für seine Taschenbuchreihen tut und ältere Klassiker und jüngere Erfolgstitel ein weiteres Mal unter die Leute bringen will. Umso weniger jedoch Verpackung und Inhalt der Bücher so recht miteinander übereinstimmen, um so weniger sich mit dieser vermeintlich trendigen Aufmachung die Bedürfnisse eines seriösen wie eines auf schnell konsumierbaren Trash abonnierten Publikums erfüllen lassen, umso besser weist diese eher verunglückte Werbeaktion auf die Situation des Rowohlt Verlags in diesen Tagen hin: ein traditionsreicher Verlag (Hemingway, Tucholsky, Nabokov, Updike, Pynchon), der in Alexander Fest einen charismatischen, verlegerisch talentierten Mann an der Spitze hat, im Moment aber nicht die richtige Balance findet. Ein Verlag, dessen aktuelles literarisches Profil durchaus scharf ist, der sich Literatur leistet, die kein großes Publikum anspricht; der aber selbstverständlich zu wirtschaftlichem Arbeiten gezwungen ist und unter dem Druck steht, laufend Publikumserfolge zu landen, also Bücher zu verkaufen, die mit dem literarischen Profil wenig gemein haben.

Höchstwahrscheinlich aus diesem Missverhältnis heraus ist der Rowohlt Verlag 2004, was der Suhrkamp Verlag im vergangenen Jahr war: ein unfreiwillig ordentlicher Schlagzeilenproduzent. Sein Soap-Anteil ist zwar gering, doch laufend muss er Bücher zurücknehmen und neu prüfen, laufend ist er dabei um Schadensbegrenzung bemüht. Man denke an Nina Zamars zweifelhaften Bericht aus dem Innern des israelischen Geheimdienstes, der Anfang Januar unter dem Titel „Ich musste auch töten“ erschien, dessen Auslieferung nach Fälschungsvorwürfen aber gestoppt wurde; dann natürlich an Thor Kunkels Nazi-Porno „Endstufe“, der kurz vor Drucklegung aus dem Programm genommen wurde, dem Verlag in den sich anschließenden Querelen aber einige Kratzer am Image zufügte.

Und man denke schließlich an den aktuellsten Problemfall, an Norma Khouris Buch „Du fehlst mir, meine Schwester“. Khouri erzählt die Geschichte einer Jordanierin, die von ihrem Vater getötet wird, weil sie als Muslimin eine Beziehung mit einem Christen eingegangen ist. Das Buch erschien beim Rowohlt-Imprint Wunderlich zwar in der Belletristikabteilung und sollte in diesem Sommer als Rowohlt-Taschenbuch herauskommen. Es wurde von Rowohlt jedoch gerade wegen seiner Authentizität beworben, denn Norma Khouri geriet als Freundin des Opfers angeblich in Lebensgefahr und musste Jordanien verlassen. Nachdem eine australische Zeitung jedoch die gefakte Lebensgeschichte von der seit ihrem dritten Lebensjahr in den USA und inzwischen in Australien lebenden Autorin recherchiert hatte, zog Rowohlt das Buch ebenfalls zurück.

Nun steht erst einmal jeder dieser „Fälle“ für sich – das Buch von Khouri etwa ist noch von Alexander Fests Vorgänger eingekauft worden. Auch beweist die jeweilige Zurücknahme der Bücher eine gewisse Umsicht. Trotzdem ist die Häufung doch auffällig, signalisiert sie die Schwierigkeiten von Rowohlt, jenseits des klassisch literarischen Programms Punkte zu machen, wie dünn das Eis ist, auf dem sich der Verlag etwa mit „bewegenden Frauenschicksalen“ (Verlagswerbung) bewegt. Da ist nur zu wünschen, dass es mit dem im Januar nächsten Jahres erscheinenden Sachbuch der Kosovo-Albanerin Hanife Gashi, in dem es um einen Ehrenmord in Deutschland geht, alles seine Richtigkeit hat.

Zu diesen Buch-Missgriffen kommen der Krise der Verlagsbranche geschuldete Strukturveränderungen, die irgendwie unentschlossen wirken und zeigen, was für Probleme der Verlag damit hat, Tradition und die Erfordernisse der Zeit miteinander zu vereinbaren. Nur schwer nachzuvollziehen ist die Geschäftspolitik bezüglich des zu Rowohlt gehörenden und bis vor kurzem von Berlin aus geführten Kindler Verlags. Dieser residiert der „Synergieeffekte“ halber nun in Hamburg, hat sein Sachbuchprogramm eingebüßt und veröffentlicht nun hauptsächlich Belletristik – ein Kindler Verlag, der den Namen der Verlegerlegende Helmut Kindler führt, lässt sich eben nicht so einfach abwickeln wie etwa ein Argon Verlag, ein vor kurzem erst eingestelltes Imprint der S. Fischer Verlage.

Beim Kursbuch fiel die Entscheidung zur Trennung anscheinend leichter, auch wenn sie innerhalb des Hauses nicht unumstritten war. Doch mehr noch als ein Traditionsblatt sei das Kursbuch eben laut Fest „das Unternehmen einer bestimmten Generation“ gewesen, das zuletzt weder Leser hatte noch Gewinne abwarf – über Ersteres lässt sich streiten, Zweiteres dürfte stimmen, doch drittens fragt man sich: Ist das Schassen des Kursbuchs nun der entscheidende Schritt in eine wirtschaftlich bessere Zukunft? Das Einstellen eines Magazins, das viermal im Jahr erschien und sowieso nur mit geringen finanziellen Mitteln produziert wurde? Kein Schelm, der auf den Gedanken kommt, dass der Rechteerwerb für ein Buch wie das von Norma Khoury auf dem internationalen Markt mindestens genauso teuer ist wie die Produktion von vier Kursbüchern im Jahr.

Schon eher lässt die Abwicklung des im Rowohlt Berlin Verlag erscheinenden Kursbuchs eine nächste mögliche Baustelle erahnen. Denn Rowohlt Berlin, ein Verlags-Sublabel, das im Zuge der Berlin- und Osteuropa-Euphorie gegründet wurde, existiert nach dem Abgang vieler osteuropäischer Autoren momentan eher profillos neben dem Hauptverlag vor sich hin. Rowohlt Berlin beweist höchstens jede Saison aufs Neue, dass Berlin-Romane und die Bücher jüngerer Autoren trotz hoher Autorendichte gerade in Berlin nicht unbedingt Konjunktur haben. Wahrscheinlich würde es kaum einer bemerken, würde Rowohlt Berlin kurzerhand aufgelöst und in den Hauptverlag integriert.

Nur gut und bestens ins momentan widersprüchlich-zerrissene Bild des Verlags passt, dass das aktuelle Rowohlt-Programm ein gutes, interessantes ist: mit neuen Büchern etwa von Georg Klein, den jungen Amerikanern Augusten Burroughs und David Mitchell, dem portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago und last but not least von Martin Walser. Dessen Roman „Augenblick der Liebe“ stieg übrigens diese Woche auf Platz drei der Spiegel-Bestsellerliste ein und scheint nach Jonathan Franzens Roman „Korrekturen“ für Rowohlt in pekuniärer Hinsicht der nächste und dringend benötigte Verkaufserfolg zu werden.