Operation am triefenden Herzen

Nach zwanzig Jahren kehrt die „Schwarzwaldklinik“ zurück. Das Krankenhaus im idyllischen Glottertal ist ein Symbol der Sehnsucht nach einer heilen, freundlichen Welt – damals wie heute. Wussow, Dohm, Hehn: Die Rückkehr der alten Werte spiegelt sich auch in der Besetzungsliste der Neuauflage

AUS DEM SCHWARZWALDJAN FREITAG

„Guck mal, das isser doch, oder?“ Der Seniorin mit Hut fällt fast die Kirschtorte vom Löffel. „Nee“, zweifelt ihr Gegenüber und blinzelt zur bevölkerten Wiese nebenan, „das isser nicht!“ Falsch, er ist es. In zehn Meter Entfernung und Lebensgröße. Etwas älter als damals, etwas grauer, etwas faltiger, aber er ist es: Professor Brinkmann. Dass er im richtigen Leben Klausjürgen Wussow heißt, fällt den Touristen nicht gleich ein. Aber hier, am Titisee, ist ja auch irgendwie nicht das richtige Leben.

Hier wohnt der Deutsche, wie ihn globale Reiseprospekte konstruieren: Trachten tragend, Kuckucksuhren verkaufend, Dialekt sprechend und Ordnung schaffend. Hier steht der Krankenhauschef a. D. im Garten eines edlen Hotels, bereit zur Wiederaufnahme des Dienstes. Sein Sohn zur Rechten, eine strahlende Blondine in der Mitte, alle ganz in Weiß. Davor klicken die Kameras, zu dutzenden. 20 Jahre nach ihrer Geburt entsteht eine neue Folge der „Schwarzwaldklinik“. Die wirklich letzte, heißt es. „Operiert der wieder?“, will die behütete Frau von ihrem Mann wissen und lässt offen, ob sie scherzt oder an Realitätsverlust leidet.

Vermutlich beides, die „Schwarzwaldklinik“ war schließlich nie richtig fiktiv. Kranke wollten sich darin operieren lassen, Ärzte demonstrierten davor gegen verzerrte Berufsbilder, Intellektuelle kritisierten überall Verblendung. Ein leitkulturelles Paradebeispiel: Was das Feuilleton hasst, liebt der Mainstream umso mehr. Und nun kommt die erfolgreichste TV-Serie zurück. Zehn Jahre nach der letzten Klappe dreht das ZDF in der deutschesten aller Regionen an der deutschesten aller Familienepen. Für 90 Minuten Herz-Schmerz nistet sich der Filmtross vier Wochen lang zwischen Freiburg und Bodensee ein und alle sind wieder dabei: Filmprof Wussow, Filmgattin Gaby Dohm, Filmsohn Sascha Hehn, Filmpfleger Jochen Schroeder, Filmfurie Evelyn Hamann, alle, die laut Drehbuch oder real überlebt haben. „Wir sind sozusagen heimgekehrt ins Reich“, berlinert ein überdrehter Wolfgang Rademann und man mag dem Produzenten solche Entgleisungen verzeihen an diesen adrenalinsatten Medienkampftag.

Es herrscht Kaiserwetter, passend zur Präsentation einer Institution. Der „Legende aller Legenden“, wie Rademann schwärmt. Der ersten Serie, ergänzt ZDF-Unterhaltungschef Claus Beling nüchterner, „die sich zur fiktionalen Unterhaltung mit einem hohen Maß an Emotionalität bekannt hat“. Sie begann Ende Juli 1984, als deutsches Pendant der tschechischen Serie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“. Rademann bewies Spürsinn – seiner Vorlage folgten 25 Serien.

Die heile Welt funktioniert noch immer als Sedativ für die von der tosenden Realität gebeutelten Bundesrepublikaner – 20 Jahre nach der Schwarzwälder Ursuppe beweisen „Bergdoktor“, „Landarzt“ oder „Onkel Doc“ die Massentauglichkeit des Schmusekurses. „Wir wollten ein Familienklima schaffen“, sagt Rademann über seine Erfindung, „etwas, wo nix passiert“, vervollständigt er seinen Satz und verdrängt allen Ärger um eine Vergewaltigung in Folge 19 oder die Kindesmisshandlung zwei Sendungen darauf. „Wo es einfach nur nett ist.“ Im Glottertal zum Beispiel, einer idyllischen Senke, die in Reiseführern vor der „Schwarzwaldklinik“ kaum Erwähnung fand. Die Innenaufnahmen entstanden in Hamburg, doch die Schwarzwaldklinik, jenes fünfstöckige Haus im Grünen, ist seit 20 Jahren bekannt wie der Reichstag und Schloss Neuschwanstein.

Sie hält alle Rekorde. Bis zu 28 Millionen Menschen sahen in der öffentlich-rechtlichen Ära zu, mehr als bei jedem WM-Endspiel – eine Quote von 63 Prozent. Schon deshalb wurde das Werk auch international beachtet: Fünfzig Länder, von Ungarn bis Namibia, kauften die 73 bodenständigen Angriffe auf Dallas und Denver. „Hurra, jetzt werden wir weltberühmt!“, jubelte Glottertals Bürgermeister schon 1984 im Hausfrauenorgan Neue Welt.

Fritz Schill hat Artikel wie diesen akkurat archiviert. Sieben Ordner stehen im Büro seines Cafés mit Souvenirshop nahe der „Schwarzwaldklinik“. Die heißt zwar „Glotterbad“ und ist ein Reha-Zentrum für Familien. Aber wen kümmert das. „Als die Serie noch lief, kamen 400 Besucher täglich“, erinnert sich der 56-Jährige. Und am 3. Oktober 1990 zeigte sie ihr mauersprengendes Potenzial: Nie rollten mehr Gäste an, als am ersten Einheitstag. Nun machten also auch Ossis bei Schill Rast, bestellten Obstkuchen mit Schlag, atmeten den Duft der Filmwelt und kauften Tassen, Teller, Kerzen, jeden erdenklichen Klinikkitsch.

Der Rekord lag bei 61 Bussen an einem einzigen Tag. An Schill kam keiner vorbei. Auch die Schauspieler nicht. Sein Büro ist tapeziert mit Fotos – Wussow beim Kaffee, Wussow mit Dohm, Wussow mit Schills Kindern im Arm. Die Postkarten, sagt er, kamen palettenweise. Noch heute sind die Regale gefüllt mit der Kliniksilhouette in allen Varianten. Eine Vitrine seltener Stücke ist mit „unverkäuflich“ gekennzeichnet. „Wie damals“, sagt er traurig, „wird's nie wieder.“ Doch in seinen Augen blitzt es. Denn es geht wieder los. Endlich. Fritz Schill hat gerade den achten Ordner eröffnet.

Seit die Nachricht vom Sequel rauskam, entflammte es aufs Neue – das Feuer für die heilste aller hierzulande je verfilmten Serienwelten. „Sicher, es sind noch nicht so viele wie früher“, sagt Glotterbad-Chef Carsten Däntjer, „aber 30, 40 kommen schon jetzt jeden Tag hier hoch.“ Zu Fuß, vom eigens gebauten Schwarzwaldklinik-Parkplatz, vorbei am Café mit der „Klausjürgen Wussow Brücke“ davor. Der neue, alte Name prangt bereits überm Eingang, auch die Notaufnahme ist wieder beschildert. Sie führt zu einer Seitentür.

„Ah, hier isch’s“, schwäbelt ein Tourist keuchend und legt sein Objektiv an. Es sind die Älteren, die Zuschauer der ersten Stunde, die hochkraxeln. Sie kriegen im Winter „Die nächste Generation“ geboten – so heißt das Special. Der Schwarzwald – unendliche Weiten. The Next Generation fernab der „Enterprise“, das sind Wussows Sohn Alexander als Chirurg, seine Verlobte Eva Habermann, Jungstars wie Frank Stieren und Katja Woywood. Sie werden nicht zwischen Hamburg und Schwarzwald hin und her gekarrt, sondern bleiben während der gesamten Drehzeit in der sonnigen Region.

Viel Zeit werden sie in einem braun-beige-braunen Staffelbau am Rande Titisee-Neustadts verbringen. Die Helios-Klinik, mehr sozialistischer Realismus als konservative Romantik. Hier werden Udo Brinkmann also operieren, Oberschwester Hildegard schimpfen und Udos Frau Elke spuren. Nur: Die Drehorte Station 8 und OP 3 sind für Besucher gesperrt, entschuldigt Monika Müller vom Klinik-Marketing – „vertraglich vereinbart“. Wie spannend. Die anderen Stationen seien aber baugleich. Sie blinzelt verschwörerisch – „da können Sie ja mal rein“.

Das hat etwas von Staatsgeheimnis. Auch die Handlung ist tabu. Aber dass hier bald Großes vor sich geht, ist allen klar. „Wir haben Patienten, die sich zur Drehzeit operieren lassen wollen“, sagt Müller. Damals wie heute werden die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen. „Ich werde noch immer als Herr Professor angesprochen“, sagt Klausjürgen Wussow in Titisee. Die Souvenirshops der Region rüsten wieder auf, Fritz Schill kann noch so manchen Ordner füllen und besonders Gläubige werden wieder auf Heilung im Glottertal hoffen. Vor allem das ZDF.