Vertriebenes Licht

State of the Art in der Berufsfotografie – bis die Nazis kamen: Ein Bildband über Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg

VON BRIGITTE WERNEBURG

Der Titel der Ausstellung wie des soliden, schön gemachten Katalogbuchs trifft sein Thema nicht ganz: „Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen. Die Fotografen Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan, Kurt Schallenberg“. Nicht vergessen? Wem sagen diese Namen denn heute noch etwas? Es gibt daran nichts zu deuten: Diese Fotografen, die bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten in Hamburg bekannt und prominent waren, kennt heute niemand mehr. Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg waren Juden und damit Opfer der Rassenpolitik der Nazis. Alle vier sahen sich gezwungen zu emigrieren, wollten sie ihr Leben retten. Ihr Lebenswerk zu retten war ihnen schon nicht mehr vergönnt. Der Verlust hatte zunächst seine Ursache im Berufsverbot und den Ausreisebestimmungen, die es den Zwangsemigranten nicht erlaubten, ihre Archive zu retten und die Urheberrechte an ihren Bildern zu wahren.

Paradigmatisch aber stehen sie auch für den State of the Art der professionellen Berufsfotografie in Deutschland. Denn Hamburg, wie Rolf Sachsse in seinem Vorwort ausführt, zeigte seit Anfang des 20. Jahrhunderts eine hohe Fotokultur. Das war dem Einsatz des Direktors der Kunsthalle Hamburg, Alfred Lichtwark, und dem Sammler Ernst Juhl geschuldet, die sich beide für das Medium als Kunstform wie als Bildungsinstrument einsetzten. An den Standard, der durch ein reges Ausstellungs-, Vereins- und Verbandswesen wie durch internationalen Informationsaustausch geschaffen wurde, knüpften Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg in je eigener Art an. Emil Bieber war der Porträtist schlechthin des Bürgertums, der internationalen Prominenz und dazu Hoffotograf Kaiser Wilhelms II., der auf moderate Weise durchaus Anschluss an die neusachliche Porträtfotografie fand. Bis heute vielfach veröffentlichte Porträts von Max Halberstadt zeigen Sigmund Freud, seinen Schwiegervater. Halberstadt, der ebenfalls an die Neue Fotografie der 20er-Jahre Anschluss suchte, vor allem für seine Werbefotografie, emigrierte wie Emil Bieber nach Südafrika. Erich Kastan, der Jüngste der vier, konnte nur innerhalb der jüdischen Gemeinde und ihrer Aktivitäten fotografieren, was einige außerordentliche Dokumente über die allmähliche Auslöschung und Vertreibung der Hamburger Gemeinde zeitigte. In die USA emigriert, profilierte er sich dort als Porträtist großer Musiker. Kurt Schallenberg schließlich war nach dem Ersten Weltkrieg Gründungsinitiator der „Gesellschaft Deutscher Lichtbildner“, als der er aber 1969, anlässlich der Feier und Ausstellung zu ihrem 50-jährigen Bestehen, gerade mal namentlich erwähnt wurde.

Wilfried Weinke: „Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen. Die Fotografen Emil Bieber, Max Halberstadt, Erich Kastan, Kurt Schallenberg“. Kunstverlag Weingarten 2004, 304 S., 29 €; gleichnamige Ausstellung, Jüdisches Museum, Frankfurt am Main, bis 12. 9.