Wende zum Weniger bei den Grünen

Statt ABM-Stellen werden von den Grünen jetzt Billigjobs bei den Wohlfahrtsverbänden für ein bis zwei Euro Stundenlohn akzeptiert. Beschäftigung soll sechs bis neun Monate lang dauern, etwa für arbeitslose Migrantinnen in der Pflege

aus Berlin ULRIKE HERRMANN

Auch die Grünen begrüßen jetzt die Ein- bis Zwei-Euro-Jobs, wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckart gestern vor den Kameras erklärte. Das wirkt zunächst nicht besonders originell. Schließlich sind diverse Parteien, Personen und Institutionen für diese Billigjobs – zum Beispiel SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, die Bundesagentur für Arbeit oder einige große Wohlfahrtsverbände.

Aber der stromlinienförmige Ersteindruck täuscht: Es ist eine Nachricht, dass sich die Grünen plötzlich mit den Billigjobs anfreunden können. Noch vor zwei Wochen gab Arbeitsmarktexpertin Thea Dückert eine Pressemitteilung heraus, die den Titel trug „Ein-Euro-Beschäftigung führt in die Sachgasse.“

Stattdessen wurden sozialversicherungspflichtige Jobs gefordert – eine Art ABM. „Das ist für die Langzeitarbeitslosen nicht so perspektivlos“, hieß es damals aus der grünen Fraktion. „Ein richtiger Arbeitsvertrag motiviert mehr als ein Billigjob.“ Zudem schienen die Kosten kaum zu steigen, wenn man die Langzeitarbeitslosen sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Als Beleg zogen die Grünen einfach die offizielle Rechnung von Wirtschaftsminister Clement heran: Ein alleinstehender Langzeitarbeitsloser erhält künftig im Westen 345 Euro monatlich. Hinzu kommen die Unterkunftskosten. Zwar weigert sich Clement beharrlich, eine Wohnungsverordnung zu erlassen – aber das Wirtschaftsministerium rechnet damit, dass im Westen durchschnittlich etwa 379 Euro für Miete und Heizung zu überweisen sind. Wenn der Langzeitarbeitslose zudem für seinen Billigjob nicht einen, sondern zwei Euro pro Stunde bekommt, dann erhält er einen Zusatzlohn von 340 Euro – macht insgesamt ein Nettoeinkommen von 1.064 Euro. Außerdem überweist der Staat für ihn rund 218 Euro an die Sozialkassen.

Kurz: Viel teurer waren die klassischen ABM-Kräfte auch nicht, die ungefähr 1.200 Euro brutto verdienten. Hinzu kämen noch etwa 250 Euro Arbeitgeberanteil für die Sozialkassen.

Und diese schöne Rechnung soll nicht mehr aufgehen? Thea Dückert dementierte gestern, dass sich die Grünen umorientiert haben: „Es macht keinen Sinn, die Billigjobs flächendeckend auszubauen“, sagt sie der taz. „Das gilt nach wie vor.“

Aber sie ist nun bereit, einem begrenzten Angebot von Ein- bis- Zwei-Euro-Jobs bei den Wohlfahrtsverbänden zuzustimmen. Ein gemeinsames Gespräch mit Caritas, diakonischem Werk, Rotem Kreuz und Paritätischen Wohlfahrtsverbänden fand sie gestern „ganz beruhigend“.

Es sei zugesichert worden, dass die Langzeitarbeitslosen „zusätzlich“ eingesetzt und die regulären Beschäftigten nicht verdrängen würden. Außerdem sollen sie nicht nur als billige Arbeitskräfte genutzt, sondern auch qualifiziert werden. Ein Fallbeispiel hatten die Wohlfahrtsverbände gestern schon parat: Man könnte doch Migrantinnen in der Pflege einsetzen, die noch Sprachprobleme haben – und ihnen gleichzeitig einen Deutschkurs finanzieren. Solche Experimente sollen nicht unbeobachtet vonstatten gehen: Wissenschaftliche Begleitforschung wurde ebenfalls zugesagt.

Sechs bis neun Monate lang wollen die Wohlfahrtsverbände ihre neuen Billigjobber beschäftigen. Mit dieser kurzen Frist haben die Verbände längst gute Erfahrungen gesammelt: Auch ihre Zivildienstleistenden bleiben momentan nur zehn Monate. Theoretisch, faktisch sind viele Plätze vakant. Unersetzlich in der Pflege könnte es zudem sein, dass die Zivildienstleistenden bald ganz ersetzt werden müssen – falls die Wehrpflicht entfällt. Da kommen die Billigjobber gerade rechtzeitig.