Irrsinnsbereinigt

„Der schwarze Stern der Tupamaros“, Gerhard Seyfrieds Roman über die undogmatische Linke der Siebzigerjahre in München und Berlin

von DETLEF KUHLBRODT

Gerhard Seyfried war der Zeichner der undogmatischen Linken der Siebziger- und frühen Achtzigerjahre; Hausbesetzer, politisierte Kiffer und andersdenkende Schüler im Westen, aber auch Oppositionelle in Osteuropa zum Beispiel fanden Trost in seinen einfachen Zeichnungen.

Als das Umfeld, in dem und für das er gezeichnet hatte, spätestens nach 1989 verschwand, funktionierte das alles nicht mehr, auch nicht finanziell. Er verlegte sich auf Zeichnungen für Schweizer Hanfblätter, machte auch mal Wahlplakate für Ströbele und überraschte vor anderthalb Jahren mit einem historischen Roman aus der deutschen Kolonialzeit, „Herero“, der sich ganz gut verkaufte.

Sein neues Buch „Der schwarze Stern der Tupamaros“ dagegen spielt in den Siebzigerjahren im Milieu der undogmatischen Linken in München und Berlin. Seyfried war eben hier zu Hause – anzunehmen, dass der eher schüchtern wirkende Held des Romans autobiografische Züge trägt. Fred ist also 26, lebt in München und ist in der Roten Hilfe engagiert. Als Anarchist trägt er einen schwarzen Stern, liebt seine Lederjacke, hat lange Haare, raucht Hasch und geht auf Demos, die oft gewalttätig enden. „Auf den Schildern stand kein abstrakter Blödsinn, wie Hoch die internationale Solidarität, da hieß es Der Staat ist scheiße oder Bild macht blind.“ Statt Marx und Engels liest er anarchistische Klassiker wie Max Stirner und Peter Kropotkin oder Enzenbergers „Der kurze Sommer der Anarchie“.

Fred lernt die abgebrochene Germanistikstudentin Jenny kennen. Die beiden werden ein Paar, haben letztlich aber nicht so viel voneinander, denn Jenny beteiligt sich wohl an größeren Aktionen (welcher Gruppe bleibt unklar), wird verhaftet, entkommt später und taucht in der DDR unter. Ab und zu treffen sie sich – in Ostberlin oder Jugoslawien – aber das ist sehr kompliziert: Sie müssen vermeintliche Verfolger abhängen, indem sie in letzter Minute aus einer U-Bahn raus- oder reinspringen, in Kaufhaustoiletten ihre Kleidung wechseln etc. – man kennt das aus Filmen, aber es war wohl auch echt so.

Dies alles geschieht in den Siebzigerjahren. Der Enthusiasmus von 68 ist vergangen; die 68er Bewegung ist gespalten, die RAF und die Bewegung 2. Juni sind sehr aktiv, die ersten gewalttätigen Anti-AKW-Demos finden statt, die Organe des Staats jagen die Linken. Jede WG gilt als Sympathisantensumpf. Die Helden des Buchs, Anarchisten, die der Gruppe „Tupamaros München“ nahe stehen, sind ständig in der Defensive. Häufig wird Fred vorgeladen, schweigt aber stets bei den Verhören. Die linksradikale Identität ist vor allem Reaktion auf die Verfolgung. Am Abend wird gekifft oder ein Trip geschmissen. Wie „Herero“ ist auch „Der schwarze Stern der Tupamaros“ ein historischer Roman mit allen Stärken und Schwächen dieses Genres. Seyfried bemüht sich, die Geschichte der undogmatischen Linken von 1968 bis 1980 lückenlos zu schildern. Die handelnden Personen bleiben aber etwas blass, wirken wie Fotos, etwas oberflächlich, ohne Innenleben und oft so, als dienten sie nur dem pädagogischen Zweck, die historischen Ereignisse zu illustrieren und dabei ja nichts zu vergessen.

Das ist ehrenwert – etwa an die zu erinnern, die während der Terroristenhatz versehentlich von Polizisten erschossen wurden –, erschwert es aber, Anteil zu nehmen an der Geschichte. Oft scheint das verwendete Material allzu sehr durch, wenn es etwa irgendwo im Agitationsstakkato heißt, der Mord an Rudi Dutschke sei eine Folge gewesen „der massiven Hetze in der Springer Presse, etwa: Stoppt den Roten Terror jetzt“. Manches ist auch unglaubwürdig: Wenn etwa Fred vom Selbstmord der in Stammheim inhaftierten Terroristen aus der FR erfährt, nicht aus dem Radio oder Fernsehen. Da wollte Seyfried wohl einfach den entsprechenden Artikel zitieren.

Manchmal wirkt seine Sprache etwas behäbig – „der brave Daimler brummt beruhigend“ –, vor allem aber erstaunt es, wie wenig man erfährt von der Beziehung zwischen Fred und Jenny. Die Liebesgeschichte der beiden wird nur mit dürren Worten erzählt. Vielleicht liegt das am Naturell des Autors – die klassischen Seyfriedcomics waren ja auch ausgesprochen keusch. Es kann auch sein, dass die Siebzigerjahre-Linke die Trennung zwischen Kopf und Körper, zwischen Trieb und Geist, gegen die die 68er Kommunarden auf die Barrikaden gegangen waren, wieder eingeführt hatte.

Irgendwie jedenfalls kommen einem die Personen so vernünftig und unsinnlich vor. Das ist seltsam, weil es doch eigentlich recht unvernünftig war, sich linksradikalen Gruppen anzuschließen, zu meinen, man könne dem Staat Paroli bieten. Andererseits ging es dabei wohl auch um Familienersatz, um die Vorstellung eines interessanteren Lebens in der Szene, die sich nicht erfüllte: Die Helden des Romans sind ja so in die Ecke gedrängt, dass sie gar nicht dazu kommen zu agieren.

Das Berichtete wirkt authentisch gerade auch im Banalen – aber den ideologischen Irrsinn dieser Zeit, der sich aufdrängt, wenn man anarchistische Reprints aus dem Karin Kramer Verlag („Gefundene Fragmente: 1967–1980, Band 1“, die Reprints der Zeitung „883“) oder auch nur die ersten Ausgaben der taz liest, unterschlägt Seyfried.

Gerhard Seyfried: „Der schwarze Stern derTupamaros“, Roman, Eichborn Berlin, Berlin 2004, 280 Seiten, 19,90 Euro