Am Elend vorbeifahren

Die Grünen sind die Partei der gut Verdienenden. Das ist nicht überraschend. Um grün zu sein, braucht man Geld

Die Anhänger der Grünen sind die besseren FDPler. Besser verdienend, aber mit einem schlechteren Gewissen. Wahlforscher haben herausgefunden, dass die Grünen-Gemeinde auf ein mittleres Monatseinkommen von 1.750 bis 2.000 Euro kommt, während FDP-Sympathisanten im Schnitt 200 Euro weniger verdienen. Das heißt, die Klientel der Grünen ist solventer und kreditwürdiger als jene, die der einstigen Partei der besser Verdienenden zugerechnet wird. Man könnte natürlich einen Niedergang der FDP vermuten. Doch die Gründe sind anderer Art. Die Grünen haben sich erstens auf die FDP zubewegt, nicht umgekehrt. Und zweitens braucht man Geld, um grün zu sein.

Der gesellschaftliche Aufstieg der Alt-Grünen ist unübersehbar, personifiziert in einer gut betuchten Ministerriege, die so gar nichts gemein hat mit dem Klischee des in gebatiktes Nesseltuch gewandeten Naturschützers. Den modernen, umfassend gebildeten, Rotwein trinkenden Grünen unterscheidet wenig vom smarten Rotwein trinkenden FDPler. Beide sind Vertreter einer überschaubaren und privilegierten Schicht. Bei den Grünen sammeln sich eher die Professorentöchter, die Pastorensöhne und die Lehrerkinder, die FDP zieht den Unternehmernachwuchs an. Doch auch da klauen die Grünen den Gelben die Wähler: „Die soziale und ökologische Marktwirtschaft ist diejenige Form, die am meisten Freiraum für Selbstbestimmung und individuelle Gestaltungsmöglichkeiten schafft“, schreiben die jungen Grünen, die sich selbst als neue Linke sehen. Das sehen junge Liberale ähnlich, obwohl sie sozial und ökologisch nicht so betonen und sich deshalb auch nicht als Linke bezeichnen würden.

Doch unter dem Anzug trägt die GrünIn immer noch das Nesselhemd. Beim Geldverdienen kratzt ihn/sie das schlechte Gewissen. Grüne schreiben die ProfessorIn mit Binnen-I, um dieser kleinen Gruppe, die nicht einmal zehn Prozent unter allen Professoren ausmacht, gerecht zu werden. Grüne, die nie materielle Not erlitten haben, reisen nach Bombay und Manila und berichten gemessen erschüttert über das Elend, das sie mit eigenen Augen im Vorbeifahren gesehen haben. Grüne kaufen fair gehandelten Kaffee für 12 Euro das Pfund, obwohl Tchibo gleiche Qualität für die Hälfte bietet. Sie kaufen die taz für 1,40 Euro und dazu noch eine andere Zeitung für das Tagesgeschehen. Sie spenden Geld für mutterlose Seehundbabys. Sie wollen Gutes tun, das ist nicht billig.

Deshalb müssen sie gut funktionieren, viel Geld verdienen, denn im Unterschied zum FDPler, der Aufwendungen und Erträge nur auf sich beziehen muss, sitzt dem Grünen die ganze verschmutzte, verslumte, versklavte Welt im Nacken. Der FDPler propagiert: nicht allen kann es gleich gut gehen. Die Grünen haben das akzeptiert. Manchmal haben sie deshalb ein schlechtes Gewissen. Und tun Buße im Nesselhemd. ANNA LEHMANN