Die Onkelz gehen – bitte weitersagen

Die Böhsen Onkelz sagen „Adios“. Nicht ohne die Charts zu stürmen – aber ohne Reue

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Die Böhsen Onkelz sind wieder da – mit einer neuen und wohl auch letzten Platte. „Adios“. Bereits in der zweiten Woche auf dem ersten Platz der Charts und längst mit Platin dekoriert. Womit die Band selbst, so lässt sie auf ihrer Homepage verkünden, am allermeisten gerechnet hatte. Ist aber auch keine allzu große Überraschung. Gemeinsam mit den Ärzten sind die Böhsen Onkelz die derzeit erfolgreichste Band im Land. Was man, kurz gedacht, als Sehnsucht nach dem vermeintlich Authentischen und dem konkret Handgemachten lesen könnte. Echte Gitarren, echter Lärm, echte Wut.

Ich habe kein Talent, aber Disziplin – Und lasse mich am Piercing durch die Medien zieh’n“, textet Onkelz-Mastermind Stephan Weidner denn auch ganz in diesem Sinne über die mediengekrönten Superstars von Bohlens und Bertelsmanns Gnaden. Und ist damit gar nicht mal weit weg von dem, was auch die taz aus diesem Anlass geschrieben hatte. Die Unlust am reglementierten, disziplinierten Popbetrieb treibt derzeit beide um – das linke Feuilleton ebenso wie die vielleicht gar nicht mal so rechte Rockband.

„Die Revolution braucht neue Lieder. Volle Deckung, wir sind es wieder“

Wo aber das linke Feuilleton nur ein bisschen das System kitzelt, blasen die Stromgitarren der Böhsen Onkelz zur selbst ernannten Revolution. Machen uneingeweihten Hörern Angst – zumindest symbolische. „Kinder und Frauen werden evakuiert“, heißt es im ersten Song „Feuer“ gleich mal vorsichtshalber. Auch im Forum auf der offiziellen Internetseite der Band mit seinen gut 79.000 registrierten Mitgliedern sind es überwiegend männliche Fans, die sich mal kontrovers, mal im kanonischen Korpsgeist über harte Jungs oder Hartz IV unterhalten. Aber längst nicht nur. Böhse Mädchen sind auch darunter. Aus Städten und aus Dörfern, aus dem Vogelsberg, dem Ruhrgebiet oder der Uckermark. Die Frankfurter Band ist im 25. Jahr ihres Bestehens längst ein gesamtdeutsches Phänomen. Wenn auch eines, das sich seinen kommerziellen Status gerade in den unmittelbaren Nachwendejahren erarbeitet hat. In einer Zeit, in der man in verwelkten Landschaften über alles dankbar war, was irgendwie nach einer Antwort aussah. Oder wenigstens nach einer Ausrede.

„Wenn du fällst – helfe ich dir aufzustehen“

Und während die Scorpions mit ihrem staatstragenden „Wind of change“ 1989 den Song zur Wiedervereinigung pfiffen, lieferten die Böhsen Onkelz mit Platten wie „Heilige Lieder“ oder der Compilation „Gehasst, verdammt, vergöttert …“ den Soundtrack für viele, die von der Wiedervereinigung ausgepfiffen wurden. Zumindest von den subjektiv erlebten Transformationsprozessen in den Neunzigerjahren. Einer ethnologischen Feldforschung zufolge ist es die Onkelz-Titelzeile „Nur die Besten sterben jung“, die am häufigsten in Todesanzeigen von jungen Menschen aus den neuen Bundesländern zu lesen ist. So genannte Discoraser. Ein paar Selbsttötungen sind auch darunter. „Nur die Besten sterben jung“, das klingt schön trotzig – und gleichzeitig auch ein bisschen tröstlich.

„Wir sind onklifiziert voll und ganz. Wir sind Teil einer Protestallianz“

Keine Frage, sie beherrschen die Kunst der einfachen Ansprache. Benennen die Misere. Zielen in die Magengruben. Die Böhsen Onkelz holen ihre Hörer dort ab, wo es wehtut. „Seelentrost“ nennt das Sänger Kevin Russel im Videointerview, das dem aktuellen Tonträger „Adios“ als eine von vielen Zugaben draufgepackt wurde. Und Bandleader Stephan Weidner beschwört an selber Stelle das widerspenstige Potenzial der Subkulturen. Spricht davon, dass HipHopper, Thrasher, Punks und Gothics „gemeinsam wirklich Power hätten“. Was ein wenig nach gutem altem Gegenkultur-Pathos klingt und dem seligen „If the kids are united, they will never be divided“ der Skinpunkband Sham 69. Auch die Böhsen Onkelz, so sieht es die Band selbst im Rückblick, waren einmal eine Skinpunkband. Politisch ihrem Verständnis nach nur im stürmenden Verlangen, dagegen zu sein. Gegen den Staat, gegen Politiker und gegen die „Türken-Popper“ aus der Jugendgang von gegenüber, denen sie „Türken Raus“ gewidmet hatten. 1980 war das, drei Jahre später folgte mit „Deutschland den Deutschen“ ein weiterer unverzeihlicher Titel, angeblich nur einmal live gespielt – auf einem Konzert in Berlin. Wahr ist, dass beide Songs existieren. Wahr aber auch, dass sie auf keinem offiziellen Album zu finden sind und für die Band so nie zu den kommerziellen Erfolgen wurden, als sie etwa Der Spiegel einmal ausgemacht haben wollte. Begehrt sind die Demoaufnahmen von einst trotzdem geblieben. Zumal, seit sie im unendlichen Orkus des World Wide Web zu finden sind. Als datenkomprimierte MP3-Datei.

„Wir waren doof, aber selbstbewusst“

Auf dieser neuen, letzten Platte reagiert Stephan Weidner auf jene Jugendsünden zwischen Eintracht-Frankfurt-Fanblock und Fascho-Geplärre mit etwas, das er selbst „sehr viel Selbstironie“ nennt. Und tatsächlich liest sich die Singleauskopplung „Onkelz vs. Jesus“ einmal mehr als halbherziger Erklärungs- wie Entschuldigungsversuch. Genauso aber als breit ausgestelltes Bekenntnis, dass es eigentlich nur wenig zu entschuldigen gibt. Solche Sowohl-als-auch-Songs hat es einige gegeben in den vergangenen Jahren. In diesem hier heißt es: „Es herrscht ein rauer Umgangston auf dem Weg zum Rockdiplom“. Wobei das Rockdiplom selbstredend nichts für die Böhsen Onkelz wäre. Schließlich steht ein Diplom für eine hochoffizielle Anerkennung von oben. Von Seiten der Musikindustrie etwa. Vom Popministerium gar. Die Böhsen Onkelz aber zelebrieren stolz die eigene Nischenexistenz auf dem vielleicht größten Marktplatz, den Pop in Deutschland momentan zu bieten hat. Einem Marktplatz immerhin, auf dem die Frankfurter auch Lieder singen, die es, wären sie beispielsweise von den Toten Hosen, sogar in den Sozialkundeunterricht schaffen könnten. „Hass-tler“ ist ein simpel gestrickter Klopper, so plakativ wie ein Gegen-Nazis-Sticker. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Von Prolet zum Prophet – ja so was geht, wie ihr seht

Im beigelegten Booklet zu „Adios“ bedankt sich Stephan Weidner – der Mann, der den Auftritt der Marke Böhse Onkelz zu mindestens 80 Prozent lenkt – unter anderem beim Techno-Urgestein Sven Väth – „für Indien 93 und unsere Xtasen“. Da war seine Band längst auch Teil einer Frankfurter Pop-Boheme, die sich früh den Gestus eines Türstehers zugelegt hatte. Auch Moses Pelham vom Rödelheim Hartreim Projekt wurde hin und wieder im Onkelz-Shirt gesehen. Und erzählte, dass deren direkte Texte sein Verhältnis zu deutschsprachiger Musik maßgeblich gewandelt hätten. Kennen gelernt hatten sich der Rapper und der Rocker im Skateboard- und Streetwearladen Cadillac Ranch, den Stephan Weidner in den frühen Neunzigerjahren gemeinsam mit Eddy Hartsch, dem heutigen Pressechef der Band, betrieben hatte. T-Shirts verkauft Weidner inzwischen nur mehr in eigener Mission. Mit ihren Merchandising-Produkten scheinen die Böhsen Onkelz beinahe noch erfolgreicher als mit ihren Tonträgern. „Ich spreche durch meine Kleidung“, hat Umberto Eco einmal formuliert, was im Falle der Onkelz-Fans zum vielstimmigen, baumwollenen Kanon anschwillt. Es gibt Schulklassen, in denen ist das Label Onkelz prominenter vertreten als das Label H&M.

„Wir nehmen unseren Hut. Alles wird gut“

Und nun soll’s das also gewesen sein. Man wolle nicht als Rockrentner enden. Ein Satz, den man sich von vielen wünschen würde. Nicht zuletzt von den Rolling Stones, deren Entscheidung, die Böhsen Onkelz als Vorgruppe zu engagieren, im vergangenen Jahr für einige moralische Verwirrung gesorgt hatte. Auch unter denen, die den Rock ’n’ Roll einmal gerade für seine Tritte in den Hintern der Moral geschätzt hatten. Aber der Rock ’n’ Roll ist ja auch nicht mehr das, was er mal war. Und während sich Mick Jagger im VW Phaeton zum Niedersachsenstadion kutschieren lässt, prangen Böhse-Onkelz-Schriftzüge auf den Heckscheiben von Opel Astras und Hyundai Ponys. Es ist das Logo einer Band, der es momentan wahrscheinlich am professionellsten gelingt, mitten im Mainstream dessen Gegenteil zu verkörpern. Die Opposition auf der Pole Position. Die Presse dürfte daran nicht ganz unschuldig sein. Und eine Band, die sich darauf versteht, den schlechten Ruf von einst auch in die CD-Player der Nachgeborenen zu schieben: „Ich bereue nichts.“