„Eigentlich ist Chávez unpolitisch“, sagt Francisco Arias Cárdenas

Nach seinem Sieg im Referendum muss der venezolanische Regierungschef nun auf seine Gegner zugehen

taz: Präsident Hugo Chávez hat das Referendum über seine Absetzung deutlich gewonnen. Kann er jetzt machen, was er will?

Francisco Arias Cárdenas: Er hat jetzt die Möglichkeit und die Verpflichtung zu einem Neuanfang. Es muss ihm gelingen, nach Jahren der Auseinandersetzung das Land zusammenzuführen und den Venezolanern Hoffnung zurückzugeben. Für Werte wie Einheit und Ehrlichkeit haben wir, Chávez und ich, am 4. Februar 1982 die Waffen in die Hand genommen und sind dafür ins Gefängnis gekommen. Chávez muss sich wieder auf unsere alten Ideale besinnen.

Aber hat er einen Neuanfang nach diesem Erfolg überhaupt nötig?

Wenn er politisch überleben will, hat er keine andere Wahl. Immerhin haben 40 Prozent der Wahlberechtigten gegen ihn gestimmt. Das ist sehr viel. Wenn er seinen Konfrontationskurs fortsetzt, vertieft sich die Spaltung des Landes. Letztlich droht uns dann die Anarchie.

Chávez bleibt mindestens bis 2006 im Amt. Bislang hat er alle Versuche, ihn abzusetzen, überstanden: einen Putsch, einen Streik in der Erdölindustrie und jetzt das Referendum. Warum sollen die Venezolaner nun hoffen können, dass jetzt Ruhe einkehren wird?

Einen neuen Putsch können wir ausschließen. Chávez kontrolliert die Streitkräfte, von denen droht keine Gefahr. Aber ob Venezuela in politischer Instabilität versinken wird, hängt auch sehr stark von Chávez ab. Wenn er sich weiter so unflexibel gegenüber seinen Gegnern zeigt, dann droht uns eine permanente Krise, weil sich die Fronten weiter verhärten. Deshalb ist Chávez gut beraten, wenn er sich mit der Opposition an einen Tisch setzt und verhandelt. Aber auch die Opposition hat sich als extrem unflexibel erwiesen. Sie will diese Niederlage nicht hinnehmen. Das ist absurd.

Warum wird er von seinen Gegnern so stark angefeindet?

Weil er so konfrontativ ist. Als er am Sonntagmorgen vom Balkon des Präsidentenpalasts das alte Freiheitslied sang „Oligarchen nehmt euch in Acht“, da dachte ich nur: Ach mein Gott! Er greift diese Leute mit seiner kriegerischen Sprache direkt an. Wenn er weiter so macht, dann wird es in Venezuela mehr Gewalt geben. Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass er einlenken und weniger stark polarisieren wird.

Aber ist denn Chávez alleine verantwortlich für den Widerstand gegen ihn?

Nein, natürlich nicht. Viele politische Führer in Venezuela kämpfen derzeit um ihr politisches Überleben. In ganz Lateinamerika sind die traditionellen Parteien in der Krise, eine Partei ist eben nichts für die Ewigkeit. Und die Oppositionsparteien in Venezuela glauben nun, alles auf Chávez schieben zu können: Armut, Kriminalität, Arbeitslosigkeit. Daraus versuchen sie politisches Kapital zu schlagen und sich auf Chávez’ Kosten zu profilieren. So als wären sie nicht für die vierzig Jahre zuvor verantwortlich gewesen. Das ist kein demokratischer Stil.

Wo steht Chávez politisch?

Der Chávez, den ich kenne, ist von einer christlich-westlichen Gesellschaft geprägt und hat einen starken Gerechtigkeitssinn. Im Grunde ist er unpolitisch. Vielmehr baut er auf Prinzipien: Er hat gute Absichten, will den Armen helfen. Aber er kann nicht politisch denken. So erfindet er jeden Tag neu, was er am nächsten Tag tun wird. Sein permanenter Kampf gegen George W. Bush ist mehr Folklore als Politik. Er will zeigen, wie ein kleiner Kerl mit einem Großen fertig wird.

Chávez wirkt stets als Dickkopf. Stimmt das Bild?

Er ist eigentlich ein sensibler Mann. Aber er hat mir einmal gesagt, die Leute sähen es gerne, wenn er kämpft. Da habe ich geantwortet: Im Wahlkampf ist das auch gut, aber wenn man an der Macht ist, muss man integrieren können. Wir wurden uns nicht einig. Seine raue Art wirft für ihn aber noch immer politische Dividenden ab. Er gefällt sich in der Rolle des Rächers. Angreifen ist sein politischer Stil.

INTERVIEW: INGO MALCHER