Endgültig nur noch Geld

Thomas Ramges Buch über „Die Flicks“ spekuliert mit dem neu entbrannten Interesse an der Familie. Dank der öffentlichen Debatte um die Friedrich Christian Flick Collection, die in Berlin eröffnen soll

VON BRIGITTE WERNEBURG

1883 wurde er im Siegerland als Sohn eines Holzhändlers geboren. 1925, nach der Inflation galt er als Industriemagnat und verfügte über einen weit gestreuten Konzernbesitz. Entsprechend tauchte der Name Friedrich Flick vermehrt in der Presse auf. Die allerdings schätzte Flick erst einmal nur als Börsenjobber ein, der zwar enorme Börsengewinne realisieren konnte, „aber bisher noch keinen neuen Hochofen, kein neues Walzwerk oder sonst was gebaut hat“. Die Beobachter konnten hinter seinen Transaktionen „eine große, wirklich produktive Idee“ nicht entdecken.

So ergeht es auch dem Leser, der diese Zitate in Thomas Ramges Buch „Die Flicks. Eine Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik“ liest. Die Schilderungen der mehr oder minder feindlichen Übernahmen und Tauschgeschäfte im Bereich der Eisen- und Hüttenindustrie des Friedrich Flick ermüden und langweilen ziemlich schnell. Der Mann, der im Zentrum der Studie des Journalisten steht und die Familie zum Randereignis macht, war selbst ein ziemlich langweiliger Geselle, diszipliniert, fleißig, sparsam, spartanisch in der Lebensführung, allerdings gesegnet mit einem Tunnelblick fürs Geschäftemachen, der es ihm ersparte, die Welt noch in anderer Hinsicht wahrzunehmen. Zum Geschäftemachen allerdings gehört es auch, die Politik zu instrumentalisieren – nicht aber sie zu verstehen. Weswegen die Vorstellung, man könne dabei selbst gehörig unter die Räder kommen, stets jenseits des Horizonts von Friedrich Flick lag.

Den Staat einspannen

Spannend jedenfalls, freilich auch unangenehm bis widerwärtig wird Ramges Bericht erst da, wenn er beschreibt, wie Flick erstmals praktiziert, was im Nationalsozialismus direkt in das Kriegsverbrechen führt, deswegen aber in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute nicht weniger Usus ist, bei Männern, die den Namen Flick tragen: Man spannt den Staat für sich ein. Die öffentliche Hand bezahlt, was man selbst nicht bezahlen kann – häufiger aber noch, was man selbst nicht bezahlen will.

1929, nach dem New Yorker Schwarzen Freitag, stand Flick vor dem Konkurs, die Schulden, die er bedienen musste, überstiegen den Wert seiner stark gefallenen Aktien bei weitem. In dieser Situation gelang es ihm, das Reich unter der Regierung Brüning 1932 dazu zu bewegen, ein Aktienpaket im Börsenwert von 24 Millionen Reichsmark zum Nennwert von 99 Millionen Reichsmark von ihm zu übernehmen. Ob durch Erpressung, nämlich die Drohung, wirtschaftspolitische Interna des Deutschen Reiches öffentlich zu machen oder nur durch geschicktes Taktieren, unter anderem der Androhung, an ein französisches Konsortium zuverkaufen, lässt sich laut Ramge bis heute nicht klären. Der Versuch, die Transaktion geheim zu halten, scheiterte, der Skandal war da. Kurz vor der Machtübernahme der Nazis, während deren Herrschaft sich Flicks Geschäftspraktiken nicht mehr nur skandalös, sondern schlicht kriminell entwickelten. Seine besonderen Beziehungen zu Göring halfen Flick bei Arisierungen seinen Konkurrenten von Ruhr und Rhein zuvorzukommen, die ebenfalls keine Scheu zeigten, von der Verfolgung der Juden zu profitieren.

40.000 Zwangsarbeiter

Was Ramge über die Geschichte der Friedrich Flick KG während Nazi- und Nachkriegszeit zu sagen weiß, geht über das schon Bekannte nicht hinaus, doch es ist beklemmend genug. Mindestens 40.000 Zwangsarbeiter, die stets ausreichend zugeteilt zu bekommen das Flick-Management sich mit allen politischen Winkelzügen bemühte, schufteten in den Fabriken. Gegen Ende des Krieges stellten sie die Hälfte der Belegschaft, wobei die Hälfte unter ihnen aus der Sowjetunion stammte. Sie arbeiteten unter so schlechten Bedingungen, dass selbst eine staatliche Untersuchungskommission im Dezember 1942 Kritik übte und die Ankläger in Nürnberg davon sprechen konnten, „dass in allen Betrieben des Flick-Konzerns besonders schlechte Bedingungen herrschten“. Sie verurteilten Friedrich Flick am 22. Dezember 1947 zu sieben Jahren Gefängnis wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Doch schon 1950 kam Flick aus dem Landsberger Gefängnis frei, aus dem heraus er mit Hilfe seiner alten Gewährsleute seinen Konzern schon längst zu reorganisieren begonnen hatte. Obwohl er über 75 Prozent seiner Anlagen verloren hatte, weil sie im Osten lagen, gelang es ihm innerhalb von zehn Jahren durch die gewohnten An- und Verkäufe ein zweites Mal, einen gigantischen Privatkonzern aufzubauen. Bis zu seinem Tod weigerte sich Flick, seinen Zwangsarbeitern auch nur einen Pfennig zu bezahlen. Eine solche Zahlung wäre in seinen Augen einem Schuldeingeständnis gleichgekommen, das er immer verweigerte. Auch seine Erben blieben – mit Ausnahme des Enkel Gert-Rudolf Flick und der Enkelin Dagmar Ottmann – dieser Linie treu.

Das Geld arbeitet

Die Geschichte über „Die Flicks“ lahmt, weil nirgendwo eine Heldengeschichte erzählt werden kann, so verzweifelt Thomas Ramge dies auch versucht. Das Umschichten der Aktienpakete nach dem Krieg, weg von der Eisen- und Kohleindustrie hin zum Autobau und zur Chemie, war vernünftig, die unternehmerische Großtat, als die Ramge dies hinzustilisieren versucht, war es nicht. Flick profitierte von einer Revolutionierung des Lebensstils, bewirkte sie aber nicht. Erbstreitigkeiten zwischen dem alten Flick und seinen Söhnen Ernst-Otto und Friedrich-Karl zunächst, später der Flick-Skandal um die gekaufte Republik, als Friedrich Karl seine Beteiligung an Daimler-Benz steuerfrei veräußern konnte, machten danach die Schlagzeilen aus. Als Friedrich Karl Flick 1985 den Konzern im Ganzen an die Deutsche Bank losschlug, hatte die Familie endgültig nur noch Geld. Umgeben von einem Heer von Finanzberatern pflegte sie den in der Schweizer Wahlheimat üblichen Lebensstil: hier arbeitet man nicht selbst, hier arbeitet das Geld.

Ramges Buch erscheint zeitlich passend zur Eröffnung der Kunstsammlung von Friedrich Christian Flick im Berliner Museum für Gegenwartskunst, dem Hamburger Bahnhof, die für den 22. September terminiert ist. Es spekuliert deutlich mit dem erneuten Interesse, das um den Namen Flick entbrannt ist. Doch in diesem Zusammenhang lohnt sich die Lektüre des Buches nun überhaupt nicht. Mit Friedrich Christian Flick selbst hat der Autor offenbar nie gesprochen. Über dessen Motive des Sammelns und die Kunstsammlung selbst kann er nur sehr allgemein und oberflächlich berichten. Den Streit um die Leihgabe nach Berlin will er offensichtlich nur sehr oberflächlich schildern: „Auf den Partys der Berliner Society ist Mick Flick, der geistreiche und sympathische Junggeselle mit den grauen Schläfen, ein besonders gern gesehener Gast, seit der Deal mit der Stadt beschlossene Sache ist.“ Das mag so sein, doch wen interessiert das schon?

Züge des Großvaters

Vergleiche hätten Ramges Buch vielleicht aus seiner Lethargie herausgeholfen, wenn er schon die eigenen Recherchen und Thesen nicht über das hinaustreiben wollte oder konnte, was man aus den Büchern kennt, die seine Bibliografie auflistet. Geht es um die Kunst, könnten doch an anderen Leitfiguren des Kapitalismus wesentliche Unterschiede deutlich gemacht werden. George Soros zum Beispiel sammelt nicht zeitgenössische Kunst, er fördert sie; über seine Institute für zeitgenössische Kunst, die er weltweit aufbaute, half er ihr gewiss weiter, als es jede noch so schöne Kunstsammlung tun kann. Andere Sammler wie Frieder Burda bauen und unterhalten ihr Museum selbst und kooperieren dabei mit der öffentlichen Hand. In diesem Fall wird die Kunsthalle in Baden Baden über die mit ihr nun verbundene ständige Sammlung am neuen Besucherinteresse profitieren. Bei Friedrich Christian Flicks Auftritt in Berlin dagegen kann man dank Thomas Ramge die Züge des Großvaters wiedererkennen: was die Sammlung betrifft, groß einkaufen, und was das Ausstellen angeht, den Staat zur Kasse bitten.

Thomas Ramge: „Die Flicks. Eine deutsche Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik“. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2004, 288 Seiten, 20 Schwarz-Weiß-Abbildungen, gebundene Ausgabe, 24,90 €