Orient zum Blättern

Die Zeitschrift „Bidoun“ versucht, die junge Kulturszene der arabischen Welt auch dem Westen näher zubringen – ganz ohne die üblichen Stereotype

VON DANIEL BAX

Das Titelbild auf der Rückseite? Beim Durchblättern stellt sich leichte Irritation ein, denn die Zeitschrift Bidoun muss man von hinten nach vorne lesen – so, wie Zeitschriften in der arabischen Welt gewöhnlich gedruckt werden. Dabei sind alle Texte auf Englisch. Für Verwirrung sorgen auch die vielen orientalischen Ornamente, die sich über die Seiten ziehen und die Handschrift eines ambitionierten Art Directors verraten.

Auf den ersten Blick wirkt Bidoun wie eine weitere Variante jener Lifestyle- und Kulturmagazine, die sich in Folge von Wallpaper und AD rund um den Globus verbreitet haben: ein Magazin für die sprichwörtlichen coffee table, nur eben in orientalischem Dekor. Doch für die arabische Welt ist Bidoun ein Novum. Und nicht nur für die: Das Heft erscheint vierteljährlich in den Metropolen des Nahen Ostens, in Dubai, Kairo und Beirut, es wird aber auch in New York, London, Istanbul und Deutschland vertrieben. Damit könnte Bidoun tatsächlich eine publizistische Lücke schließen.

Der Name bedeutet schlicht „ohne“ – womit die Macher vor allem hoffen, ihre Zeitschrift vor den üblichen Stereotypen und Zuschreibungen zu bewahren, die immer fallen, wenn es um die Region geht: Orient, Islam, Terrorismus. In Kuwait wird der Begriff übrigens für Staatenlose verwendet. Und das passt ja auch wiederum irgendwie.

Erweiterter Nahost-Begriff

Um den inhaltlichen Fokus zu beschreiben, führt man im Untertitel das Schlagwort von den „Middle Eastern Talents“, denen man ein Forum bieten möchte: Im aktuellen Heft sind das etwa der ägyptische Videokünstler Hassan Khan oder die Doku-Projekte des iranischen Filmemachers Mohammed Schirvani. Daneben finden sich Berichte über aktuelle Ausstellungen nahöstlicher Künstler, die HipHop-Szene im Libanon oder eine Modestrecke des US-palästinensischen Designers Rami Kashou.

Ebenso globalisiert liest sich das Impressum von Bidoun, dessen Redaktion über mehrere Kontinente verteilt ist: Brooklyn gilt zwar als Postadresse, denn dort lebt die persisch-amerikanische Herausgeberin Lisa Farjam. Gedruckt wird allerdings in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo auch der Hauptsponsor des Hefts sitzt, ein Industrieller und Kunstsammler aus Dubai. Zu den festen Redakteurinnen (es sind ausschließlich Frauen) zählt die Deutsch-Palästinenserin Alia Rayyan, die von einem Büro in Berlin-Kreuzberg aus mitarbeitet. Sie sieht Bidoun als Chance, um Künstler aus dem Nahen Osten und darüber hinaus miteinander in Kontakt zu bringen. Der erweiterte Nahost-Begriff von Bidoun schließt auch den Maghreb, die Türkei und den Iran mit ein sowie Kulturschaffende aus der Diaspora, die oft nichts voneinander wissen. Ihnen sind nicht Religion oder Herkunft gemeinsam, sondern allenfalls der Bezug auf eine Ästhetik, die auch mal mit islamischen Motiven spielt. Oder aber ihr „Platz im System der Globalisierung“, wie Alia Rayyan meint. Denn der Nahe Osten steht in der globalisierten Welt an der kulturellen Peripherie: Von westlicher Warte wirkt er oft wie ein monolithischer Block.

Ohne Werbung

Um sich von solchen Blickweisen zu befreien, konzentriert sich Bidoun auf individuelle Künstler, nicht auf die großen Fragen. „Wir haben nicht den Anspruch, dem Westen den Islam zu erklären“, betont Alia Rayyan. So kommen identitäre Fragen allenfalls am Rande vor.

Dafür steht die zeitgenössische Kunst bei Bidoun im Mittelpunkt, was mehrere Gründe hat. Alia Rayyan ist überzeugt, dass in der Kunstszene derzeit die spannendsten Entwicklungen zu beobachten sind. Denn die junge Künstlergeneration der Region greift die Themen auf, die ansonsten lieber unter den Teppich gekehrt werden. Von den politischen Akteuren der Region fühlt sie sich die schon lange nicht mehr repräsentiert, und die aktuelle Kunst als eher elitäre Nische erlaubt eine gewisse Narrenfreiheit.

Das gilt auch für die Macher von Bidoun, doch ihre Probezeit ist begrenzt: Der Sponsor zahlt aus seinem Portfolio nur die Kosten für die ersten vier Ausgaben, danach müssen andere Finanzierungsquellen aufgetan werden. Welche, ist noch unklar. „Werbung könnte das Heft zu sehr verändern“, fürchtet Alia Rayyan den Einfluss von Werbekunden.

„Bidoun. A Quarterly Forum for Middle Eastern Talent“. Issue 1, Summer 2004, 8 €