Keine Chance für Busch

Die Achselbehaarung verschwindet aus dem Straßenbild: Jetzt stehen auch Männer unter Epilier-Zwang

„Is it true that germans don’t shave?“, wurde man früher in den USA gefragt. Diese transatlantische Legende kann mittlerweile widerlegt werden, wie ein einfacher Blick ins Straßenbild beweist: Das ungenierte Tragen von Achselbehaarung hat sich aus dem zivilisatorischen Konsens endgültig verabschiedet. Für Frauen ist dies schon lange selbstverständlich, abgesehen von Vertreterinnen des orthodoxen Ökomilieus trägt Frau keinen Busch mehr unter den Armen. Er verträgt sich einfach nicht mit der Optik des sommerlichen Tank-Tops.

Laut einer Umfrage der Waschbrettbauch-Postille Men’s Health rasieren sich mittlerweile auch Männer mehrheitlich unter den Armen (52 Prozent). David Beckham, der oberste „Metrosexuelle“, etwas hilfloses Label für die seit den 60er-Jahren sich sukzessive ausweitende Feminisierung des Mannes, hat sich seiner Körperbehaarung jüngst sogar in Gänze entledigt, weil Gattin Victoria Behaarung im „Intimbereich“ unhygienisch findet.

Diese Ansicht amerikanischer Provenienz verweist auf die ursprüngliche Kodierung der Achselbehaarung: Sie war von jeher eine sexuelle Verheißung, ein Versprechen auf die eigentliche Schambehaarung, die unter der Kleidung verborgen bleibt. Unter den Achseln verströmt Mensch seinen ureigensten „Sexualgeruch“, ein Odeur, das naturgemäß polarisiert und im Zuge der modernen Tendenz, genuin menschliche Körperfunktionen einfach auszublenden, als nicht mehr erwünscht gilt.

Frauen stehen seit je unter dem Druck, gesellschaftlich vorgegebenen Schönheitsidealen zu entsprechen, der diesbezügliche Mainstream weht aus den USA herüber, genauer: aus dem kalifornischen Venice Beach. Ein Strand, der als Chiffre für moderne, westliche Körperkultur fungiert. Bodybuilder stellen dort ihre rasierten Brustmuskeln aus, Blondinen ihre künstliche Oberweite. Körper werden nur präsentiert, zueinander finden sie nicht, denn Sex wird als unhygienisch empfunden.

Die Schambehaarung, seit je Insignie der erwachenden Geschlechtlichkeit, fällt, kaum gesprossen, bereits dem Epiliergerät zum Opfer: Junge Menschen sind sich des Wertes ihrer juvenilen Körperlichkeit, die von den Älteren so sehnsuchtsvoll zelebriert wird, mittlerweile bewusst. Ein haarloser Körper steht eben auch für Jugendlichkeit, für präpubertäre Ästhetik.

Der moderne Mann, laut Ansicht des Zukunftsinstituts Kelkheim „die Problemzone der postindustriellen Gesellschaft“, verzichtet freiwillig auf eine seiner wichtigsten Insignien, die ihn von der Frau unterscheiden: die Körperbehaarung. Nur vereinzelte Jungmänner fragen im Chat: „Ist das nicht irgendwie schwul?“ MARTIN REICHERT