Jeder kann dabei sein

Lebensstandort Deutschland (3): Alle waren zufrieden, als das Literarische Colloquium Berlin zum Sommerfest lud. Der Wagenbach-Verlag feierte 40. Geburtstag, die Kleidung war leger, und der Wannsee kräuselte sich sanft

Am vergangenen Wochenende war es so in Berlin, am schönen Wannsee: Kinder tollten über den Vorgarten einer repräsentativen Jahrhundertwendevilla. Sie ließen sich als Piraten schminken, es wurde ihnen vorgelesen und der Radiosender Radio Eins verteilte viele, viele Luftballons.

Die Eltern standen derweil im hinteren Garten der Villa in Grüppchen rum. Sanft fällt das Grundstück zum See hin ab, eine romantische Seelenlandschaft mit einer Rotunde direkt am Wasser. Die Eltern waren ganz leger gekleidet, es wurde ihnen vorgelesen, und der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verteilte in seiner Eröffnungsrede viele, viele Komplimente. „Tout Berlin“ war hier unter sich, bei diesem Sommerfest des Literarischen Colloquiums – der Wirkungsstätte, an der Schriftstellerinnen und Schriftsteller ganz ungestört vom Lärm der Großstadt an ihren Werken feilen können. Das Fest stand unter dem Motto „40 Jahre Wagenbach“, was dem Tag zusätzlich noch den Anstrich von etwas Toskanahaftem verlieh. Der italienische Einschlag des Wagenbach-Verlages fand sich in vielen Details wieder; nur die Pasta, stand hinterher irgendwo zu lesen, soll nach Babybrei geschmeckt haben.

Was soll’s, lächelnde Gesichter überall. 3.000 Menschen sollen da gewesen sein. Es war ein schöner Tag, da waren sich hinterher alle einig – die Autoren, die Bücher schreiben und sich von Stipendium zu Stipendium hangeln; die Juroren, die die Stipendien vergeben; die Journalisten, die über die Bücher Artikel schreiben; die Verleger, die mit den Journalisten noch auf einen Absacker in die Paris Bar gehen.

Im Ernst: Man kann sich über Tage wie diesen herrlich mokieren. Weil die Szene, die sich hier selbst feierte, sehr nach altem Westberlin roch. Weil die Themen in den Gesprächen oft recht schnell von den Büchern zu Einrichtungsfragen sprangen. Weil das Hartz-IV-Deutschland weit, weit weg war – allen, so war den Gesprächen zu entnehmen, schien es ausnehmend gut zu gehen. Und das bei der von Krisen geschüttelten Buchbranche!

Aber: Warum mäkeln? Warum Verlogenheit, Oberflächlichkeit und Eine-Hand-wäscht-die-andere-Absprachen wittern? Warum sich nicht einfach freuen darüber, dass das möglich ist: Mehr Menschen, als der Verlag im Schnitt Leser für seine Bücher hat, kommen zusammen, um einen runden Geburtstag zu feiern. Unter dem Deckmantel der Literaturbeflissenheit gerät das Ganze schnell zu einem etwas ausgeweiteten Familienfest. Und jeder kann dabei sein! Man braucht nur irgendwo ein Buch oder ein paar Artikel geschrieben oder auch nur ein Praktikum gemacht haben, schon kommt man über irgendeinen Weg an eine kostenlose Eintrittskarte.

Das Schönste: Niemand regte sich wirklich darüber auf, dass man eine Stunde für ein Bier oder eine Bratwurst anstehen musste. Diese Creme des deutschen Literaturwesens, die sich hier versammelte, mag provinziell gewirkt haben. Aber sie war auch leicht zufrieden zu stellen. Wie egalitär es bei uns zugeht! Wie locker und nett! In Ländern, in denen es um Leistung geht (Amerika) oder Verbindungen zählen (Frankreich), gäbe es so etwas jedenfalls nicht. Nur die Bücher, denkt man, könnten hier und da etwas interessanter sein.

MORTEN SCHWARZKOPF