Reigen der Affekte

Braunschweig intensiv: Im Herzog-Anton-Ulrich-Museum läuft die Peter-Paul-Rubens-Ausstellung „Barocke Leidenschaft“, das Museum für Photographie widmet sich dem „Aufruhr der Gefühle“

VON BRIGITTE WERNEBURG

In Braunschweig gebieten zurzeit die „Barocken Leidenschaften“ des Peter Paul Rubens über das kulturelle Leben der Stadt. Und auch im direkt neben dem Herzog-Anton-Ulrich-Museum gelegenen Museum für Photographie herrscht der „Aufruhr der Gefühle“. Das Haus feiert mit der Ausstellung, die in ihrem Titel an die Rubens-Schau anschließt und die „Leidenschaften in der zeitgenössischen Fotografie und Videokunst“ untersucht, sein 20-jähriges Jubiläum. 1984 wurde es in privater Initiative zu einer Zeit gegründet, als es in Deutschland kaum Institutionen gab, die sich speziell mit dem Medium Fotografie auseinander setzten. Seither konnte das Museum seine Aktivitäten stetig erweitern. Der Erfolg seiner Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Sammlungspolitik zur Bild-, Kultur- und Technikgeschichte der Fotografie führte zuletzt zu einer weiteren Stelle im Bereich wissenschaftliche Mitarbeiter.

Es wundert daher kaum, dass hier nun ein Aufruhr der Gefühle auch in anderer Hinsicht herrscht. Gleich drei Ausrufezeichen deuten auf die Empörung hin, die in einer Presseerklärung ihren Ausdruck findet: „Achtung: nicht verwechseln!!! Nach 20 Jahren hat das Museum für Photographie Braunschweig einen Namenszwilling bekommen.“ Der Namenszwilling sitzt in Berlin. Pompös als „Deutsches Centrum für Photographie“ angedacht, führte seine enttäuschende Realisierung nun im Juni dazu, den alten Namen beiläufig und ohne weitere Erklärung in „Museum für Fotografie“ abzuändern. In Braunschweig kam es zu irritierten Nachfragen, insbesondere aus dem Ausland. Der Bitte, die Umbenennung noch einmal zu überdenken, wurde von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz selbstverständlich nicht nachgekommen. „Von unseren Mitgliedern, Besuchern und Kennern der Fotoszene wird dieses Vorgehen der Stiftung als arrogant empfunden“, schließt die Erklärung.

Leider, so muss nach einem Rundgang durch den von der Affektenlehre geprägten Reigen der Rubens-Bilder gesagt werden, ist Arroganz kein Affekt, sondern eine Haltung. Anders als die Affekte, die wechselhaften, der Vernunft widerstreitenden Gemütsregungen, ist diese stabil. Der Fall der Stiftung ist also hoffnungslos – allerdings auch nicht weiter kunstwürdig. Der Zorn, die Furcht, die Trauer, die Wut, der Hass, die Liebe und nicht zuletzt die Begierde aber sind es. Schon weil sie sich körperlich manifestieren und damit im Bild festhalten lassen. Jeden Tag sehen und erleben wir diese starken Gefühle zuhauf – auf Fotografien, im Film und im Fernsehen. Doch ist das wirklich wahr? Die Ausstellung macht da unsicher. Ganz besonders die brillante Arbeit von Candice Breitz, „Becoming Julia“ (2003), trägt dazu bei: Das Video zeigt parallel Spielfilmsequenzen mit Julia Roberts und Candice Breitz’ Versuch die Mimik und Gestik der Schauspielerin identisch nachzuahmen. Das Erstaunliche an dieser Installation ist es nun, zu sehen, wie sehr Julia Roberts die Gesichter und Körper in Rubens’ Gemälden verständlich werden lässt; wie sehr sie in jedem Moment ein Rubens-Porträt abgäbe. Gleichzeitig ist es, dank Candice Breitz’ Mimikry, faszinierend zu sehen, wie übertrieben und artifiziell die Gestik des Stars erscheint. Das sieht man nicht jeden Tag. Julia Roberts und Peter Paul Rubens begegnen sich im mimischen Ausnahmezustand.

Von dem ist Stefan Panhans mit seinem Video „Juice & Gin, Merle/Denilo/Isabel“ (2003) weit entfernt. Es geht um ein fiktives Casting, und die Aufgabe besteht darin, möglichst indifferent, möglichst cool dreinzuschauen. Bei seiner intelligenten Versuchsanordnung fühlt man sich sofort im Hier und Heute. Coolness, Indifferenz, Ambiguität heißt unser – auch medialer – Alltag. Es fällt jedenfalls auf, dass die Mehrzahl der ausgestellten Arbeiten um die Undeutbarkeit der Gefühlsausdrücke kreist, wie Sam Taylor-Woods Videoprojektion „Hysteria“ (1997), bei der nicht klar wird, ob die gezeigte Frau lacht oder weint. Jenny Holzer vermeidet den Gefühlsausdruck in ihrer bekannten Arbeit „Lustmord“ (1994) gleich ganz und gar, hier werden die Emotionen in Worte gefasst. Ähnliches gilt für Jeff Burton, der am Set für Pornofilme fotografierte und statt der Darsteller die Requisiten fokussierte; oder für Noritoshi Hirakawa, der die Fußstellungen eines Paares auf dem einsehbaren Boden einer Toilette festhielt. Wir dürfen vermuten, sehen tun wir nichts.

„Aufruhr der Gefühle“ versammelt sehr gediegen auf der einen Seite klassische Fotoarbeiten, angefangen bei Valie Exports Serie „Liebesperlen/Nonpareille“ (1976) über Cindy Shermans „Untitled Film Still, # 27“ (1979), Anna und Bernhard Blumes „Prinzip Grausamkeit“ (1993–1998) bis zu Rineke Dijkstras „Torrero“ (1994). Auf der anderen Seite überrascht die Schau mit jungen und weniger bekannten Künstlern wie etwa Adi Nes, einem 1965 geborenen israelischen Fotografen, der den Kriegsschauplatz nicht als einen der Mimik und somit der Gefühle erkennt, sondern als einen des Make-ups und der Maske. Weniger elementar als virtuell stellt sich heute im Rahmen des Mediums Fotografie der „Aufruhr der Gefühle“ dar. Und hier sei noch angefügt: Mit der Institution selbst, dem Berliner Museum für Fotografie, hat das Braunschweiger Museum keine Probleme. Vom 29. bis 31. Oktober veranstalten beide Häuser zusammen mit der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig die Tagung „Fotografische Leidenschaften“.

Bis 31. Oktober. Katalog 14 € („Aufruhr der Gefühle“) und 27 € („Barocke Leidenschaften“)