Wunsiedel wehrt sich gegen Nazi-Gedenken

Heute marschieren Fans des NS-Verbrechers Heß durch Wunsiedel. Allein bleiben werden sie diesmal nicht

BERLIN taz ■ Sie sind wieder da, die Kameraden mit den „Thule“-T-Shirts. In kleinen Gruppen laufen sie durch Wunsiedel. Der Kampf um das oberfränkische Städtchen geht morgen in eine neue Runde.

Wie jährlich seit 2001 werden auch in diesem Jahr wieder mehrere tausend Neonazis in der 7.000-Seelen-Gemeinde erwartet. Angemeldet ist ein Trauermarsch für den hier im Familiengrab beigesetzten „Führer-Stellvertreter“ Rudolf Heß, der am 17. August 1987 starb. Noch bis 2001 war der Marsch seiner braunen Fans verboten worden. Doch das Landratsamt Wunsiedel scheiterte auch in diesem Jahr mit seinem Verbotsantrag. Am Dienstag genehmigte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den braunen Aufzug.

Mit einem Aktionstag wollen sich die Wunsiedeler ihre Stadt zurückerobern, wie Breschkai Ferhad es sagt. Die 41-Jährige ist Mitarbeiterin des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz“, das nach dem „Aufstand der Anständigen“ vor vier Jahren gegründet wurde. Seit Ende Juli versucht sie, die Nazigegner in der Stadt zu vernetzen. Neue Ideen brachte die Berlinerin ein, half, Gesprächsbarrieren zwischen Jung und Alt, links und rechts abzureißen – denn das Ziel war ja allen gemeinsam: „die Stadt wieder zurückzuhaben“.

Zusammen mit dem Ersten Bürgermeister Wunsiedels, Karl-Willi Beck (CSU), dem Stadtrat und der Bürgerinitiative „Wunsiedel ist bunt“ will eine Jugendinitiative gegen den Aufmarsch den Aktionstag nach einer Pressekonferenz mit einer Ausstellung „Heß – wir klagen an“ eröffnen. Es folgen ein ökumenischer Open-Air-Gottesdienst, eine Kundgebung auf dem Marktplatz und schließlich mit Beginn des braunen Marsches ab 16 Uhr verschiedene Protestformen der Wunsiedeler – was genau geschieht, bleibt eine Überraschung. Nach dem braunen Aufmarsch werden die Nazigegner im Müllmänneraufzug „den braunen Dreck wegkehren“, erklärt die Diakonin Andrea Heussner, eine der Initiatorinnen der Protestaktionen.

Besondere Brisanz könnte der Protest in diesem Jahr gewinnen, weil Nazigegner und Stadt es den Heß-Fans möglichst ungemütlich machen wollen. Statt auf dem Festplatz müssen sie ihre Trauerkundgebung in einer ziemlich engen Straße abhalten. Die Polizei sei darüber nicht sehr glücklich, berichtet Ferhad. Eine in einer Straße zusammengepferchte Gruppe sei aggressiver und könne weniger gut überwacht werden. Neben etwa 3.000 Neonazis werden die rund 1.000 Polizisten auch noch einige hundert Antifas erwarten.

Die Rechten machen ihren Gegnern ebenfalls das Leben schwer: Neonazis pöbeln Jugendliche an, fotografieren jeden, der sich bei Diskussionen zu Wort meldet, und hetzen über die Jugendinitiative im Internet. Neulich, erzählt Heussner, waren Rechte auch in der Gemeinde und fotografierten die jungen Leute, die gerade Transparente gegen den Naziaufmarsch anfertigten. Vertrieben werden konnten sie erst, als sie selber fotografiert wurden.

Bürgermeister Beck möchte das Problem lieber von oben gelöst sehen: Er hofft wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) auf eine Novellierung des Versammlungsrechts. Die aber griffe in die Versammlungsfreiheit ein – und wäre wohl ein Fall für das Verfassungsgericht. Und nicht nur Andrea Heussner bezweifelt, dass dies der richtige Weg ist. Zunächst wird es dabei bleiben, dass Menschen wie sie den Rechten entgegentreten. Sie studiert eigentlich schon länger in Würzburg. Weil sie aber mithelfen wollte beim Protest, ist sie seit Wochen wieder in der Stadt. Der Protest sei schließlich „mein Kind“ gewesen, sagt sie. Da wolle sie nicht zusehen, wie es langsam stirbt. PHILIPP GESSLER