Hartz muss weg – und dann?

Die zahlreichen Gegner der rot-grünen Arbeitsmarktreform haben nicht mehr gemeinsam als die Intensität ihrer Empörung über Hartz IV

VON CHRISTIAN FÜLLER

Von wegen Zukunftsangst. Unter den Aktivisten gegen die Fusion von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV) machen inzwischen rosarote Szenarien fürs Arbeiten und Leben die Runde.

„Her mit dem schönen Leben für alle!“, heißt die utopistische Alternative zu Hartz. „Unsere Agenda heißt 3010: 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich – und 10 Euro Mindestlohn.“ Das ist freilich noch das fröhlichste Gegenmodell, skandiert vom Anti-Hartz-Bündnis Nordrhein-Westfalens.

Ansonsten aber ist der Chor der Kritiker und Alarmisten noch größer als sonst. Kein Wunder, denn die unter den technokratischen Kürzeln Agenda 2010, Hartz IV bzw. Arbeitslosengeld II diskutierte Reform ist die drastischste Maßnahme, die Rot-Grün bisher in Angriff genommen hat. Union und FDP hatten das Hartz-IV-Gesetz im Vermittlungsausschuss weiter verschärft.

Hartz IV fasst vorderhand nur die beiden getrennt verwalteten Hilfetöpfe für Langzeitarbeitslose und Stützeempfänger zusammen. Tatsächlich verändert sich dabei die Gestalt des Sozialstaats: Auf Arbeitslose wird viel massiver Druck als bisher ausgeübt. Die Unterstützung für Arbeitslose wird ab Januar 2005 viel kürzer und viel geringer ausfallen als früher. Künftig müssen Jobs angetreten werden, die bislang als unzumutbar galten.

Allerorten werden daher Alternativen zu Hartz IV auf die Straße getragen und in Mikrofone diktiert. Echte Alternativen sind jedoch kaum dabei. Der Chor der Kritiker lässt sich sortieren in eine kleine Fundamentalopposition – und ein weites Feld von Populisten, Wahlkämpfern, Ostbeauftragten und Kosmetikern.

Fundamentalopposition

Die klarste Position hat Attac. „Hartz IV stoppen“, heißt die Parole der Globalisierungskritiker. Ihr Gedankengang ist schlicht: Die Agenda 2010 ist die Variante der „globalen neoliberalen Politik“. Und ihr übelster Auswuchs ist Hartz IV, mit dem – so Attac – Millionen Erwerbslose gegängelt und bestraft werden.

Das ist eine grundsätzliche Ablehnung von Hartz IV – allerdings sperrt sich Attac nicht gegen eine Reform des Wohlfahrtsmodells à la Bismarck. „Wir wollen nicht einfach zurück zum alten Sozialstaat“, steht im Attac-Aufruf. Leitmotive der jungen Leute: menschenwürdiges Leben, Grundeinkommen und Mindestlöhne, Umverteilung der gigantischen Vermögen, Gerechtigkeit und Solidarität. Ärgerlich für Attac ist, dass die Braunen ihre Parolen abkupfern – und sich als Extremopposition stilisieren wollen. „Schluss mit dem Volksbetrug – Hartz IV stoppen“, übertitelt etwa die rechtsradikale NDP Sachsen ihren Aufruf zu einer Demonstration, die heute in Dresden stattfinden soll.

Populisten und Blender

Cornelia Pieper, Generalsekretärin der FDP, findet die Fundamentalopposition sympathisch. „Ich bin auf der Seite der Demonstranten“, sagt sie. Und plädiert „für eine Verschiebung des ganzen Unternehmens“ Hartz IV. Pieper ist der Prototyp der Populisten, die auf der Protestwelle mitsurfen. Sie spielen Fundi, sie heucheln Solidarität mit Entrechteten – und sind im Zweifel dafür, das Ganze noch härter durchzuziehen. Piepers Vorgesetzter, FDP-Chef Guido Westerwelle, jedenfalls sieht Hartz IV nur als Anfang: „Wir haben noch den entscheidenden Weg der Reformen vor uns“, sagt er, denn „die Lage Deutschlands im internationalen Wettbewerb ist dramatisch“.

Eine Variation der Populisten sind die Blender und Trittbrettfahrer. Sie benutzen die Wut auf Hartz IV, um mit flotten Sprüchen zu gefallen – und andere Ziele schmackhaft zu machen. Meister dieses Fachs ist Sigmar Gabriel (SPD), der nicht etwa Hartz IV stoppen will, sondern die Absenkung des Spitzensteuersatzes auf 42 Prozent, die gleichfalls am 1. Januar 2005 kommen soll. Es sei „geradezu obszön“, die Reichen zu entlasten, wenn von Kleinverdienern und Arbeitslosen Einschränkungen verlangt würden. Auch Gabriel hat natürlich nichts gegen Hartz IV. Im Gegenteil, er will helfen, die Zusammenlegung der Arbeitslosen- und der Sozialhilfe politisch durchzusetzen. Dafür hat er einen „New Deal für Bildung und Arbeit“ aus dem Hut gezaubert. Dessen Elemente: neue staatlich geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Ostdeutschland, gesetzliches Mindesteinkommen, staatliche Lohnzuschüsse und die Auslobung einer „Nationalen Stiftung Bildung und Wissenschaft“.

Wahlkämpfer

Dabei hat Sigmar Gabriel gar keine Wahlen vor, sondern eine niederschmetternde Wahlniederlage hinter sich. Aber auch die Spezies der Wahlkämpfer findet sich unter den vermeintlichen Hartz-Gegnern – und ihre Ablehnung des Projekts wird umso engagierter, je näher der Urnengang rückt. Jürgen Rüttgers zum Beispiel, der bei den Kommunalwahlen im Herbst die ehemaligen SPD-Hochburgen Nordrhein-Westfalens vollends für die CDU gewinnen will. Rüttgers forderte vor wenigen Tagen, zur allgemeinen Überraschung, eine Generalrevision von Hartz IV. Seine Ablehnung ist freilich gar keine. Er sieht vor allem handwerkliche Fehler und will im Übrigen nur „noch einmal reden“, um Korrekturen am Gesetz vorzunehmen.

Zu den wahlkampftaktisch inspirierten Hartz-Kritikern gehören auch die Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) und Georg Milbradt (CDU). Auch wenn sie ein zweites, wichtigeres Motiv für ihre Gegnerschaft vorbringen können: nämlich „dass Hartz IV für westdeutsche Verhältnisse gemacht ist“ (Platzeck).

Ostbeauftragte

Die Auftritte der selbst ernannten Ostbeauftragten sind spektakulär bis irritierend. Sachsens Landesfürst Milbradt etwa, der sich bislang mehr zwischen Aktendeckeln als im Volke aufhielt, kündigte seine Teilnahme an einer Montagsdemonstration gegen Hartz IV an. Inzwischen reicht es ihm allerdings, „auf die Menschen zuzugehen“ – und Informationen über die Reform zu verbreiten.

Inhaltlich lässt sich gegen Berufsostler wie Milbradt wenig vorbringen. In Ostdeutschland, so sein Brandenburger Pendant Matthias Platzeck, „gibt es wesentlich mehr Langzeitarbeitslose und eklatant weniger Jobangebote“. Das stimmt – und bedeutet, dass die Hartz IV zugrunde gelegte Maxime des „Forderns und Förderns“ in Regionen hoher Arbeitslosigkeit kaum funktionieren wird. Wer mehr Druck auf das Bewerberverhalten ausüben will, muss für die Arbeitslosen auch Stellen schaffen, um die sie sich bewerben können.

Kosmetiker

Die Kosmetiker sind die vielleicht perfideste Variante der Kritiker: Sie sind für Hartz IV, wollen aber dem Volk auch ein bisschen nach dem Mund reden. Der Trick, beides unter einen Hut zu bringen, ist einfach:leichte beschönigende Änderungen vorschlagen.. Peter Müller, der saarländische Ministerpräsident Peter Müller ist so ein Kosmetiker. In Focus Money rückte er von Hartz IV ab und bot der Bundesregierung gleichzeitig Zusammenarbeit bei Korrekturen an. Der schlimmste Kosmetiker aber ist der Kanzler selbst: Halten die Demonstranten nur lange genug durch, kommen die nächsten „Nachbesserungen“ ganz bestimmt. Obwohl das Hartz-Konzept doch eigentlich alternativlos ist.