Immer aus dem Vollen schöpfen

Mag die Fontäne auch eine Metapher des Überflusses sein, so ist der Überfluss rein technisch doch ein Fake: Die Fontäne speist sich nicht aus einer nie versiegenden Quelle wie etwa unser Trinkwasser, sondern stets aus derselben trüben Brühe. Eine kleine Kulturgeschichte des Springbrunnens

VON BURKHARD BRUNN

Schatten und Wasser sind im Sommer für die in der Großstadt Daheimgebliebenen ein kostbares Gut. Aber wo gibt es Wasser mitten in der Stadt? In den Brunnen, an deren Rändern die jungen Leute sitzen und ihre Füße kühlen. Die so genannten Zierbrunnen wurden einst von der Bürgerschaft oder wohlhabenden Großbürgern zum Schmuck ihrer Stadt gestiftet, ausgestattet mit symbolischen Figuren, deren Bedeutung bald niemanden mehr interessieren sollte.

Wichtiger ist das Wasser selber, das oft in einer Fontäne gebündelt in die Luft schießt, um sich klatschend und spritzend in das Becken zu ergießen. Die Fontäne ist eine besondere Art von Wasserspiel, das – wie das Feuerwerk – einst ein Hauptspaß des lustvollen Rokokos war. Was sie ausdrückt, ist wortwörtlich der Überfluss. Die Lebensfreude der adligen Rokokomenschen, deren Maxime im Gegensatz zum frühbürgerlichen Sparen das Verschwenden war, bestand stets darin, aus dem Vollen zu schöpfen. Natürlich auf Kosten anderer. Als reich und mächtig galt der, der sein Hab und Gut verschleuderte und es nicht für nötig befand, die Schneiderrechnungen zu bezahlen. So versinnbildlicht die Fontäne die nie versiegende Potenz – selbstredend des herrscherlichen Mannes – als Symbol des Überflusses, wohlverstanden auch von dem zur Macht gelangten Bürgertum, das nun selber an der demonstrativen Verschwendung Gefallen fand. In der Belle Époque, der großen Zeit der Bourgeoisie bis zum Ersten Weltkrieg, spritzten die Bonvivants in den Séparées den Champagner in das Dekolleté ihrer Damen. Heute spritzen nur Rennfahrer aus der Magnum-Flasche. Honni soit qui mal y pense.

Ist also die Fontäne eine Metapher des Überflusses, so ist der Überfluss doch ein Fake: Die Fontäne speist sich nicht aus einer nie versiegenden Quelle wie unser Trinkwasser, sondern stets aus derselben Brühe, in welcher die Touristen ihre Füße gekühlt haben. Wer davon trinkt, fällt sofort um. Ja, aber trinken wollen wir auch. So erinnern wir uns, wie kostbar das Trinkwasser in der Stadt war und ist, da es über riesige Aquädukte in die städtischen Brunnen eingespeist wurde oder in vergrabenen Leitungen von weit her gepumpt wird.

In Venedig, wo man das Regenwasser notgedrungen in Zisternen sammelte, musste das Trinkwasser auf der Brenta zu Schiff herbeigeschafft werden – bis die österreichischen Besatzer Fernleitungen legten. „In Paris kauft man das Wasser“, schreibt Louis-Sébastien Mercier in seinem 1781 veröffentlichten „Tableau de Paris“, das als die bedeutendste Beschreibung der modernen Großstadt vor der Revolution gilt. „Die öffentlichen Brunnen sind so selten und so schlecht instand gehalten, dass man auf das Flusswasser zurückgreift. Kein Bürgerhaus ist mit ausreichendem Wasser versorgt. Zwanzigtausend Wasserträger steigen von morgens bis abends mit zwei Eimern vom ersten bis zum siebten Stock. Ist der Fluss trübe, trinkt man trübes Wasser.“

Trübe? Kann man wohl sagen. Denn auch die Fäkalien wurden in die Seine geleitet – „und verseuchen die Ufer, wo die Wasserträger morgens mit ihren Eimern das Wasser schöpfen“. In London, schrieb der junge Engels, war das Wasser schwarz von Ruß. „Königswasser“ hieß das nicht von Fäkalien verunreinigte Wasser. In vielen Städten vermischten sich die Fäkalien unterirdisch mit dem Wasser der Brunnen, eine Ursache der furchtbaren Epidemien – bis im 19. Jahrhundert schließlich eine Kanalisation gelegt wurde, die es im Altertum in Rom längst gegeben hatte, und die Häuser an Wasserleitungen angeschlossen wurden. Als ein Wunder bestaunte nach einer gern kolportierten maliziösen Geschichte ein junger „Iwan“ 1945, dass Trinkwasser aus der Wand floss. Er soll den Wasserhahn abgeschraubt und seiner Mutter als Geschenk mitgebracht haben – in der Hoffnung, dass das Wunder sich in der Bauernkate wiederhole. Aber ist die Geschichte nicht eher poetisch? Eben weil sie das Trinkwasser in der Stadt als das erkennt, was es ist: ein Wunder. Im Wasserkreislauf der Fontäne entpuppt sich nun aber der feudale Überfluss als bürgerliches Sparen. Oder bürgerliche Sparsamkeit gibt sich den Anschein der Verschwendung. Doch ist es gleichgültig, ob die Verschwendung echt ist oder nicht – wichtig ist die Metapher, nämlich den Eindruck zu erwecken, als handele es sich um einen nie versiegenden wunderbaren Wasserluxus. Eine Inszenierung, im Rokoko war ja alles inszeniert.

Während man dösig solchen Gedanken nachhängt, macht es einen gewaltigen Platscher. Großes Gekreisch: Mitten durch das runde Brunnenbassin wälzt sich prustend und spritzend etwas rosafarbenes, großes Nacktes, ein Kerl, der jetzt über den Brunnenrand klettert, sein Hinterteil zeigt und dann erstaunlich schnell davonwetzt. Ein „Flitzer“, tatsächlich, es gibt sie noch, die mutigen Jungs, die splitternackt durch die Fußgängerzone sprinten. Ein Mädchen, die Freundin vielleicht, fährt ihm auf dem Rad Hose, Hemd und Sandalen hinterher. Alle lachen, frecher Kerl! Aber nun wollen alle kleinen Jungs es ihm nachtun. Keiner kann sie mehr halten, und es beginnt eine gewaltige Wasserschlacht. Mitten in der Stadt. Nur ein kleiner Woody-Allen-Typ darf nicht mittun – wegen seiner Brille. Er schießt hin und wieder mit seiner Wasserpistole, die wie ein Delphin aussieht. Gewünscht hat er sich aber eine Maschinenpistole, so groß wie die von Terminator Schwarzenegger.