Böser Bube ohne Bums

Auf ihrem neuen Album versuchen die zum Solo-Act geschrumpften The Prodigy sich noch einmal im Dreck zu suhlen – doch wirklich schmutzig machen sie sich dabei nicht

The Prodigy haben ihr Gesicht verloren. Es waren die beiden Tänzer Maxim und Keith Flint, die dieser, nun ja, Band ihre physische Präsenz verliehen – Letzterer posierte etwa für das „Firestarter“-Video so eindrücklich verschwitzt und mit rot gefärbtem Irokesenschnitt in engen Kanalröhren, dass er dem eh schon mitreißenden Song eine Kraft und Widerständigkeit verlieh, die der Song selbst allein vermutlich so nicht hätte behaupten können. Das Video zu „Breathe“, Ende der Neunziger, zeigte beide Tanzer komisch-archaisch aufgemacht in wüsten, dunklen Räumen, ohne direkten Bezug zueinander, in einer gefesselten Wut, wenn man so will.

The Prodigy lebten von ihrem Auftreten – das war nicht nur bei dem Hit „Smack my bitch up“ so, dessen Clip bereits ohne die Gesichter, besser Körper von Flint und Maxim auskam, das war so, solange es die Gruppe als Band gab. Denn eigentlich waren The Prodigy nie eine Band, für den gesamten musikalischen Teil – von einigen Gesangssprenkeln mal abgesehen – sorgte und sorgt Liam Howlett, die restlichen Mitglieder der Formation dienten lediglich dazu, dem geilen bösen Bass-Bums eine entsprechende Bühnen- und Videoshow zu liefern. Und weil es sich mit den Chart-Erfolgen von The Prodigy ein bisschen so verhielt wie mit jenen, die aus der Metal- oder Indie-Szene heraus entstehen – die breite Masse mag es erst, wenn sie sich daran gewöhnt hat, so lange ist dieser Sound zunächst nur etwas für die härtere Fraktion, die ja auch nicht unbedingt wenige Mitglieder zählt – suchten sie einerseits den Skandal, provozierten Jugendwächter mit Drogen- und Sex-Hymnen und knüpften andererseits bei den Punks oder den härteren HipHoppern an.

Nun ist unter dem großartig größenwahnsinnigen Titel „Always Outnumbered, Never Outgunned“ ein neues Album erschienen, und weder Flint und noch Maxim sind noch Teil dieser Gruppe. Auch „Baby’s Got A Temper“, die gefloppte letzte Single, auf der Keith Flint als Sänger unter anderem die Droge Rohypnol anpries, ist nicht zu hören. Gerüchten zufolge warf Howlett, nachdem die Single so einbrach, alles bisherige Material weg und besann sich komplett neu. Er soll das neue Album im Schlafzimmer programmiert haben, weitab von den großen Studios, Howlett, der schon in den Achtzigern als DJ und Mixer arbeitete, will nun zu seinen „Wurzeln“ zurückgekehrt sein.

Tatsächlich jedoch ist es ein Album, dessen Sound genau zwischen den beiden Vorgängern siedelt – es ist laut, ein bisschen sperrig, es hat Bass und Energie, doch verpufft der ganze Zauber leider auch recht schnell. Als Ersatz für seine bösen Buben hat Howlett nun verschiedene Stars gedungen, etwa Kool Keith, die Gallagher-Brüder sind bei einem Song mit von der Partie, auf einem anderen Take ist Juliette Lewis zu hören, die sich neuerdings als Musikerin versucht. Das ist ziemlich schön verrucht, versucht auch wieder, sich im Dreck zu suhlen, doch wird es dabei leider nicht richtig schmutzig. Howlett hat, so scheint es, das Händchen für den wirklich bösen Bums verloren. Vielleicht gerade deshalb, weil er nun nicht mehr für seine Hupfdohlen komponieren musste.

Ob die vielen Gaststars nun für eine gute Videoperformance herhalten können, ist fraglich, eine gute Bühnenshow wird die Ein-Mann-und-seine-Computer-Kapelle The Prodigy kaum abliefern. Vielleicht hätte Howlett auch in einer anderen Hinsicht von den Vorbildern Sex Pistols oder Specials lernen sollen, deren Erfolg auch nur auf einer, bislang nicht gehörten ungewöhnlichen Variante von Glam Rock beziehungsweise Ska beruhte. Diese lösten sich auf, bevor es um die Legende geschehen war.

JÖRG SUNDERMEIER