Bodenständig in der Krise

Vision und Vielfalt (I): Die „Frankfurter Rundschau“ muss um ihren Ruf als unabhängige Zeitung bangen. Sie setzt nun verstärkt auf Regionalisierung und den selbstlosen Einsatz ihrer Mitarbeiter

aus Frankfurt HEIDE PLATEN

Betulich, hausbacken, alte Tante – die Frankfurter Rundschau (FR) hat Häme der anderen meist nur mit mäßiger Souveränität verdaut. Aber sie hat Kurs gehalten, links von der Mitte, den Gewerkschaften wie der SPD ebenso zugeneigt wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung dem Konservativen und der CDU verhaftet.

Der Markt im mit Tageszeitungen gesegneten Frankfurt war durch diese klare Positionsbestimmung jahrzehntelang klar aufgeteilt. Der Frankfurter Neuen Presse (FNP) blieben die Rentner. Das war lange Zeit ein sanftes Ruhekissen, die Arbeitsplätze waren so sicher, als sei die FR eine Behörde und ihre Angestellten verbeamtet auf Lebenszeit. Nur die FNP musste bangen, denn ihre Klientel starb nach und nach weg.

Für Linkssein gescholten

Der Niedergang traf die FR-Mitarbeiter wie ein Donnerschlag, lange verdrängt, aber insgeheim wohl doch geahnt – und daher umso mehr als Schock empfunden. Er war eine Summe seiner Teile: der Einbruch des kleinen und des großen Anzeigenmarktes, Rückgang der externen Druckaufträge an die blatteigene Druckerei, fehlende Rücklagen, verunglückte Blattreformen, Abwanderung der Abonnenten.

Unversehens sah sich die FR außerdem im Rollback des Neoliberalismus für ihre linke Tradition als gestrig gescholten. Die Zahl der Abonnenten sank auf 112.000, 70 Millionen Euro Schulden häuften sich an.

Der stellvertretende Chefredakteur Stephan Hebel hat alles mitgemacht, die einstigen Höhen und die derzeitigen Tiefen des Blattes. 1985 hat er sein Volontariat begonnen, seit zwei Jahren sitzt der 48-Jährige in der Chefetage. Die FR war seine Wunschzeitung, sie ist ihm eine Herzensangelegenheit. Er verortet sie „am linken Ende des etablierten Spektrums“. Manchmal, sagt er, habe er Sorge gehabt, „ob sie da bleibt“. All dem Modernisierungsgerede der letzten zehn Jahre zum Trotz: „Diejenigen zu verteidigen, die keinen Namen in der Öffentlichkeit haben“, davon will er nicht lassen. Die traditionelle SPD-Nähe gebe es schon längst nicht mehr. Die kritische Berichterstattung über die Agenda 2010 beweise doch, dass „wir unabhängig von Rot-Grün sind“.

Allerdings musste die FR 2002 eine Landesbürgschaft aufnehmen. Damit habe sie, so ihre Gegner, den ersten Schritt getan, ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Die Rettung durch die Übernahme eines 90-Prozent-Anteils durch die SPD-eigene Medienholding Deutsche Druck und Verlags Gesellschaft (DDVG) im Frühjahr 2004 habe den Ruf des Blattes endgültig zerstört. Die DDVG weist solche Unterstellungen ebenso zurück wie die Chefredaktion. Sie habe sich, sagte SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier, nicht gerade um den Ankauf gerissen – und will 2005 wieder schwarze Zahlen sehen. Dafür hat die DDVG gerade den ehemaligen Springer-Manager Michael Meyer-Böhm verpflichtet. Und voraussichtlich müssen von den derzeit knapp 1.000 Mitarbeitern rund 250 gehen. Nach dem Willen der DDVG soll die Zahl der Vollzeitstellen – vor gut drei Jahren waren es noch 1.600 – auf 750 reduziert werden.

Hebel weiß, dass das die Stimmung im Haus nicht verbessert, Stress und Fehlerquoten erhöht. Jedoch sei der Idealismus der Mitarbeiter bewundernswert. Schon lange verzichten sie auf ein Fünftel ihres Gehaltes, auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld, arbeiten mehr, 230 Redakteure füllen die entstandenen Personallücken in der Zentrale und den Regionalredaktionen durch „selbstlosen Einsatz“. Und mehr zu tun als vorher gibt es allemal: Seit einer Blattreform 2003 erscheint werktäglich „FRplus“ – eine Schwerpunkt-Beilage der unterschiedlichen Ressorts – sowie das wöchentliche Veranstaltungsmagazin „plan.F“, das donnerstags in Hessen die Zeitung ergänzt. Die Auflage hat sich durch diese Anstrengungen bisher allerdings nicht verbessert.

Blick in die Region

Hebel ist dennoch zuversichtlich. Redaktionell sieht er die Zukunft der FR in der Bodenständigkeit: Während sich die andere große liberale Überregionale, die Münchner Süddeutsche Zeitung, mehr und mehr aufs Überregionale konzentrieren will und Lokalteile im Münchner Umland ausdünnt, will die FR ihre regionalen Standbeine in den bevölkerungsreichen Regionen in Süd- und Mittelhessen verstärken. Gerade hier war das Blatt in den vergangenen Jahren massiv hinter die regionale Konkurrenz zurückgefallen. Die Relation zwischen den immer wichtiger werdenden AbonnentInnen in der Region und der überregionalen Auflage stimmt bei der FR, anders als bei der Süddeutschen, schon länger nicht.

Doch das Wiederanziehen des Werbemarktes nach über drei Krisenjahren ist derzeit fast ausschließlich auf den Einzelhandel beschränkt – und der annonciert lokal. Diesen Trend will die FR nicht an sich vorüberziehen lassen: Diesen Sommer warb sie in den S-Bahnen mit Gratiszeitungen und Rabatt-Coupons des örtlichen Einzelhandels: „Einsteigen. Lesen. Aussteigen. Sparen.“